Unsere Antwort auf den SRF-Artikel
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April
2019

Phänomen Capital Bra

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2019

Phänomen Capital Bra

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Quelle:
Ein kollektives Statement der LYRICS-Redaktion zu der Capi-Diskussion.
Die Chart-Erfolge von Capital Bra erfuhren ein grosses mediales Echo, neulich ging unter Gregi Sigrists Facebook-Update ordentlich die Post ab. Da Sigrist uns explizit nach unserer Meinung fragte, möchten wir uns als Redaktion positionieren. Wir möchten den Sachverhalt differenziert angehen und kritisieren, was es zu kritisieren gilt. Read the following:

Songs wie «Cherry Lady» können durchaus als Zeichen für einen Trend im aktuellen HipHop-Mainstream gelesen werden, der mit einem Minimum an Kreativität das Maximum an Reichweite und Kapital generieren möchte.Capital Bra war einer der Ersten, der den Playlisten-Sound von heute kreierte, es folgten zig alte und neue MCs, die es ihm gleichtun wollten. Songs werden am Reissbrett konzipiert, alte Erfolgsrezepte neu gemischt, Spotify-Playlisten spielen immerwährend gleichförmige Songs, Inhalte und Soundbilder stagnieren. Es ist problematisch, dass in solchen Songs die Kunst nicht mehr für sich steht, sondern sich immer stärker an einer Verwertungslogik des Musik- und Streamingmarkts orientert.Das alles ist kaum von der Hand zu weisen, ist aber auch nicht mehr eine Zeitaufnahme, eine Fussnote in der langen Geschichte von Musik im Allgemeinen und HipHop im Besonderen.Wir sprechen hier wohlgemerkt vom HipHop-Mainstream, genauer gesagt vom Spotify-Playlisten-Sound. Auf keinen Fall sollte man den Teufel an die Wand malen, denn durch Streaming und die Digitalisierung der Musikbranche ganz generell gibt es 2019 so viel Musik wie noch nie – und dabei wohl auch so viel gute Musik wie je zuvor. Auch diese Künstler finden abseits der Spotify-Playlists ihre Aufmerksamkeit und Publikum.

Zum Künstler Capital Bra

Sigrist schreibt, dass dieser sich hauptsächlich durch «Quantität, Timing und ein bisschen Provokation» auszeichne. Was er vergisst, sind die Attribute Wandelbarkeit und Kreativität.Wir haben es hier mit dem Übervater eines Mega-Trends im deutschen HipHop zu tun, einem Vollblutkünstler, der in jeder freien Minute Musik zu machen scheint – und sie im gefühlten Stundentakt publiziert. Es ist so oder so ein offenes Geheimnis der Pop-Industrie, dass Chart-Hits oft in kürzester Zeit entstehen – auch schon Jahrzehnte vor Spotify und Apple Music.Capital Bra beweist in seinen Songs ein Gespür für den musikalischen Zeitgeist, das ihn bis anhin vor dem Fall in die Bedeutungslosigkeit rettet. Es war noch nie so einfach und günstig, hochwertig produzierte Musik zu generieren, noch nie lagen der Aufstieg und Fall eines Künstlers so nahe beieinander – und dennoch scheint Capital Bra der Konkurrenz immer einen Schritt voraus zu sein. Allein dieser Tatsache, die sich auch in seinen schier unglaublichen Chart-Erfolgen manifestiert, gebührt Respekt.Und doch kommt man auch nicht um die Beobachtung herum, dass ihm sein Erfolg zu Kopf gestiegen ist. Der ehemalige Battle-Rapper schwebt weit weg von allen Strukturen der HipHop-Szene in einer eigenen Bubble aus Pop-Schaum und Drogen-Hallus. Seinem Erfolg schadet das jedoch in keiner Weise. Das irritiert auch uns.

«Cherry Lady»

Der vielkritisierten Song ist ein Cover des Klassikers von Modern Talking. Eine Coverversion ist per definitionem die Interpretation eines bereits existierenden Lieds. Dabei geniesst Kreativität nicht immer die erste Priorität. Man überlege, wie oft irgendein 0815-Singer-Songwriter «Hallelujah» von Leonard Cohen schon neu verwurstelte, ohne dass überhaupt nur ein Akkord geändert wurde.Capital Bra machte sich immerhin die Mühe, einen neuen Part zu schreiben. Über die Qualität des Songs lässt sich aber definitiv streiten, es handelt sich wohl kaum um einen modernen Klassiker des Künstlers, wie es etwa «Neymar» oder «One Night Stand» waren. Zu viel Plastik, zu wenig Liebe zum Detail, zu schrottig die Produktion.

Doch wir sollten uns nicht als Qualitätshüter erster Güte aufspielen: Wer geht schon nicht gerne an eine «Bravo Hits»-Party, um die Songs von Britney Spears laut mitzusingen? Diese waren ihren Zeitgenossen übrigens ein Gräuel. Was heute scheisse ist, kann morgen schon Kult sein.Dasselbe gilt für «Cherry Lady»: Man mag den Song noch so furchtbar finden, in Deutschland füllt Dieter Bohlen immer noch Clubs, in Russland sogar Stadien mit seiner Musik. So gesehen ist «Cherry Lady» nicht weniger zeitlos als «Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band» – so fürchterlich sich das auch anhören mag.

Was uns an der Diskussion ganz allgemein stört

Jugendliche werden nicht nach ihrer Meinung gefragt! Das ist ein Symptom eines Kultur-Journalismus, der an den Kultur-Konsumenten vorbeischreibt. Hier sind ganz generell etwas mehr Neugier und investigatives Interesse gefragt. Auch wir vom LYRICS sollten wohl wieder einmal vor einer Sekundarschule in Uster mit den Teenagern von heute abcornern.Für viele Jugendliche im Alter von 13 bis 20 Jahren ist Capital Bra DER stilprägende Künstler, der sie seit etwa zwei Jahren begleitet und den modernen Playlisten-Sound mitbegründet hat. Sie kennen weder das Oeuvre der Beatles noch interessiert es sie, dass «Cherry Lady» bereits von Dieter Bohlen gesungen wurde. Gut möglich, dass sie in 40 Jahren dem grossen Capital-Bra-Comeback im Bierzelt beiwohnen werden. Weil er den Sound ihrer Jugend machte, weil er sie geprägt hat.

P.S.: Mehrere Mitglieder der Redaktion feiern die Musik von Capi heimlich. Die Songs und Melodien sind einfach zu catchy… es ist uns nur etwas peinlich, dazu zu stehen ;)

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