Jamal platzierten wir Ende 2018 auf dem Cover des LYRICS-Print-Magazins. Zusammen mit zwei weiteren Acts galt er als der Hoffnungsträger des Schweizer Rap. Ausschlaggebend war, dass er im Bounce Cypher Lorbeeren einheimste, vielversprechende Singles veröffentlichte und sich im NO-BASIC-Camp als neues Signing mit grossem Potenzial präsentierte.
2019 folgte das Debut: «M1NDWHACK», eine EP, die den Mindstate des jungen Künstlers einfing, ohne sich wirklich zu positionieren, geschweige denn den Vorschusslorbeeren entsprechend zu präsentieren. Obwohl einige Songs sehr zu überzeugen wussten, entpuppten sich der ästhetische Rahmen und das Konzept eher als Understatement. Auf dem Mini-Album war Jamal experimentell, suchend (nicht nur musikalisch), noch immer unglaublich spannend und gut, aber – und da mögen mir wohl viele beipflichten – noch nicht da, wo man sich das Talent wünschte. Ein bedachter Zwischenschritt, so schien es, sollte helfen, sich musikalisch zu finden, ehe man sich der Szene mit dem grossen Wurf offenbaren wollte.
«Gsehn ich würklich so us als het ich Cash i de Pockets, wieso wott jetzt jede öpis ha vo dem N***?» («Drama King»)
Eineinhalb Jahre später sind wir soweit: Nach drei vorausgekoppelten Videosingles (diesmal wird das Promo-Game ganz ordentlich durchgespielt) releast der Winterthurer «Lifestream». Ein 11-Song-starkes, mehrheitlich von Questbeatz, HSA und Ikara produziertes Werk. Doch was macht das Album aus?
Der durch Medienauftritte und Berichterstattung vermittelte Eindruck Jamals gleicht dem eines ruhigen, besonnenen jungen Mannes, der nicht um jeden Preis Aufmerksamkeit und Position erhaschen will. Von einer kreativen und hingebungsvollen Aura begleitet, ergibt sich fast schon etwas Geheimnisvolles um die Figur Jamal.
«Renn um d’Welt und lern vo andere. Du bisch erst en Gwünner wenn du weisch wo du hie wotsch» («Running Man»)
Diese Figur gewinnt nun an Kontur. Auf dem neuen Album lässt er seine Hörer*innen genug nahe heran, dass Identifikationsfläche entsteht. Jedoch ohne «blank zu ziehen», ohne dass sich dieser Zauber in totaler Transparenz auflöst. Parts auf Songs wie «Running Man», «Up & Down» oder «Herz vor Verstand» leben von Jamals Authentizität und der Absicht, dem Werk eine gewisse Weitsicht beizulegen. Man hört: Hier teilt ein junger Mensch Gedanken, die tatsächlich beschäftigen und nicht einfach deep wirken sollen. Themen der Adoleszenz, die sich entlang eines urbanen Lifestyles der heutigen Zeit anbahnen. Fragen, die junge Menschen dieser Generation ansprechen (oder teilweise sollten): Wie werde ich ein Mensch, der zu sich findet, Verantwortung übernimmt, bodenständig bleibt (man erinnert sich an Jamals starken Opener «Wie söll i de Vogelperspektive bodenständig blibe?» aus einem seiner ersten Songs «Was jetzt», den er auf «Smoke» rezitiert) und doch gross träumen kann, zelebriert und hin und wieder über die Stränge schlägt?
Auf Albumlänge zeigt sich, dass es sich gelohnt hat, sich für sein erstes Album Zeit zu lassen. Anstatt einer skizzenhaften Momentaufnahme («M1NDWHACK») hören wir Songs, die etwas ausgewählter, mit mehr Feinheit und Tiefgang daher kommen. Damit bewegt es sich jedoch längst nicht im Bereich des zu Erwartenden, schliesslich fehlte es seiner bisherigen Musik auch nicht an Finesse. So ist «Meh Life» mit dem grundsoliden, aber noch gänzlich unbekannten französischen Sänger ERO ein zarter und tanzbarer Hit, der sich gut im Radio spielen liesse. Ein Gewand in dem man Jamal noch nicht erlebte, er es jedoch überzeugend verkörpern mag. Und auch sonst zeigt sich Jamal auf mehr als der Hälfte des Albums vor allem musikalisch in frischen Facetten, bleibt dabei aber stilsicher. Auch die beiden eingespielten Sprachaufnahmen, wohl aus seinem nahen Umfeld stammend, geben dem Album einen gewissen thematischen Rahmen.
«Han e Wife doch bin en grotteschlechte Lover» («Perfect Revelation»)
Der Glauben ist für viele Menschen etwas Persönliches. Sodass man ihn als Anteil in die eigene Musik trägt – klar, wieso nicht? Auf Jamals «Lifestream», noch deutlicher als zuvor, fällt dies doch sehr ins Gewicht: Da wechseln sich Begriffe wie «Preach», «Engel», «Sünden», «Paradise», «sacrifice» oder Zeilen wie «God bless City», «Perfect Revelation» und «Pray und du bisch safe» gegenseitig ab, als hätte man – um es etwas überspitzt zu sagen – eine biblische Geschichte aufgeschlagen. Unabhängig der damit einhergehenden Werte wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit – die ja durchaus edel sind – muss man mit den vielen Verweisen aufs Christentum etwas anfangen können. Ansonsten irritiert es ziemlich.
Jamal ist ein Ausnahmekünstler. Darüber sind sich auch Musikschaffende, Behind-The-Scenes-Menschen und Medienleute abseits des Die-Hard-Fanblocks einig. Grund für diese Einschätzung sind diese magischen one-of-a-kind-Momente, die sich trotz der vielen guten Acts hierzulande nicht häufen. Denn so manche talentierte Rapper*innen wissen mit ihren Fähigkeiten zu überzeugen – Skills und Werke, die sie erarbeitet haben. Jamal hat das auch, doch es scheint ihm alles ein bisschen leichter von der Hand zu gehen. Seine Raps sind intuitiver, verspielter und seine Musik meist origineller als die der direkten Konkurrenz.
Etwa wenn er wie auf «Perfect Relevation» im zweiten Part in Doubletime dem Takt davonrennt, um sich dann in der nächsten Zeile mit lässiger Pause wieder einzureihen. Wie genrekonform und doch unvergleichlich er die Hook auf «Smoke» viben lässt. Oder sein Flow gepaart mit seiner Delivery, wie beispielsweise auf «Say My Name», die zwar selbstüberzeugt, gar in grosskotziger Battle-Manier daherkommt, zugleich aber wie so oft von einem vorsichtigen Stimmeinsatz geprägt ist.
Ob ein solches Gespür für Musik lernbar oder gegeben ist, darüber lässt sich streiten. Dass es sich im Falle von Jamal nicht wie schrittweise erarbeitet anhört, ist auf jeden Fall einer der Gründe, ihn und dieses Werk zu feiern.
«Nimm min Name i dis Muul und du hesch Glück für hundert Jahr» («Say My Name»)
«Lifestream» wird Jamal-Fans mehr als zufrieden machen. Zudem hat es das Zeug, Neider zu ärgern und Zweifler zu stillen. Es ist das ernsthafteste, naheste und ausgereifteste Werk eines nach wie vor vielversprechenden Anfangszwanzigers, der sich mit grosser Selbstverständlichkeit Künstler nennen soll.