Big Zis hatte die Bounce-Organisator:innen noch extra aufgefordert, in der Besprechung «Facts z'vermittle und Platz z'mache für die Wegdruckte». Heisst: eine kritische Auseinandersetzung aus einer linken Perspektive, also genau, was HipHop in seiner Geschichte eigentlich zu sein versucht hat. Die Stimme der Unterdrückten, das Sprachrohr von unten, verpackt in verschiedenen Formen, war auch am diesjährigen Cypher vertreten: In Erfolgshunger aus Notwendigkeit, etwas anderes als Rap machen zu können, in den erstaunlich häufigen sprachlichen Schüssen gegen Bundesrätin Karin Keller-Sutter und natürlich auch die CS-Banker, in Kritik des gegenwärtigen Systems und des Kapitalismus, in Anti-Misogynie-Lines, in Luuks Fall in Märli-Metaphern und so weiter.
Aber so glasklar wie systemkritische Lines am Cypher ins Mic gerappt wurden, so unklar wurden diese Kritiken besprochen. Ein hungriger, eingeladener Cypher, räumten Gigi und Pablo ein, aber wie unzufrieden alle diese Kulturschaffenden waren, ging ein wenig unter. Obwohl das als Kulturmedium eigentlich wichtig wäre: zu diskutieren, was die Lieblingsrapper:innen eigentlich anstossen. Aber vielleicht ist das auch unfair, denn wir machen das auch nicht im grossen Stil. Dennoch: Ich meinte, Fatima Moumouni ab und an ein innerliches Augenverdrehen angesehen zu haben. Aber man muss der Organisation des diesjährigen Bounce Cyphers durchaus auch Props aussprechen. Die konservativsten Mindsets waren nicht im Raum, sondern im Livechat unterwegs. Gigi hat es in der Nachbesprechung gut auf den Punkt gebracht, was Pablo und Sirah in der Cypher-Besetzung und vielleicht auch mit den eingeschobenen explicit-content-disclaimern versucht haben: Dass auch der grösste Assi-Rapper sich Gedanken gemacht hat – auch wenn er es nie zugeben würde.
Das war vielleicht auch die Schwierigkeit, wie Pablo selbst sagte. Der Cypher ist keine Veranstaltung mehr, die im «HipHop-Rüümli» passiert, sondern vor einem sehr breiten Publikum. Und Rapper rappen nunmal sprachlich, nett gesagt, nicht immer unproblematisch. Deshalb ist es, wie Pablo betonte, umso wichtiger, keine Augenwäscherei zu betreiben, wenn es um den sprachlichen Standard im HipHop geht. Diskriminierung findet nunmal statt. Und die Rapper verstehen vielleicht das Wort auch nicht ganz richtig. Sulaya meinte in der Nachbesprechung, man diskriminiere bei einem Diss ja immer das Individuum. Aber Diskriminierung ist nicht gleich Beleidigung. Ein Diss müsste eine Beleidigung sein. Zur Diskriminierung wird er, wenn eine soziale Gruppe miteinbezogen wird, meist anhand von Klischees, Verallgemeinerungen und oft auch straight up hate speech gegen diese Gruppen. Im HipHop ist sowohl das eine als auch das andere nunmal vertreten. Und wenn die Rapper dann «umebrüeled», das sei keine Diskriminierung, dann meistens nur, weil sie sich persönlich angegriffen fühlen. Und hier setzt das an, was Fatima Moumouni gesagt hat und was Drini in einem anderen Kontext gesagt hat, aber dennoch gilt: Step your game up. Denn Diskriminierung in HipHop-Texten geschieht nicht unbedingt aus bösem Willen, sondern aus Faulheit oder Nicht-Bereitschaft zu einer Art des Textens, bei der man sich ein wenig mehr Mühe gibt. Und das wäre – sorry – wirklich nicht zu viel verlangt. Und es wurde auch zur Genüge gezeigt, insbesondere dank vielen Rapperinnen, dass das eigentlich auch für die Dudes nicht allzu schwer sein sollte. Nochmals: Step your game up. Oder in den Worten von Big Zis: «Nie geg abe, immer geg ufe drucke». Das kann man übrigens auch mit Liebe für die Traditionen, wie OG Florin und Cachita mit Reimbuch statt Handynotiz bewiesen. Oder wie Manillio, der zwar trotz einem leicht boomerigen Take gegen das Soundbild von Hatepop, einen 1A-Diss mitgebracht hatte: «Musig, wo tönt, als würed Autos zäme schlegle».
Ohnehin war ein Highlight des diesjährigen Cyphers die ausgeteilten Disses: Sowohl gegen anwesende MCs als auch gegen Institutionen, Politiker:innen, natürlich die Polizei und auch gegen Personen aus der Mainstream-Unterhaltung – besonders beim SRF: Dominic Deville kam bei Danase nicht gut weg, Sascha Ruefer gleich in mehreren Verses, Jule X als offenbar SRF-Praktikant. ISMA nahm sich derweil gleich die halbe Rap-Szene vor. Und auch wenn Pablo in der Nachbesprechung gerne den Rap-Nerd zu Reimstrukturen raushängen liess, waren die witzigsten Lines vielleicht genau die plumpen. Wie etwa Projekt ETs: «Ich ha kei Zit für Polizei aber bald isch 1. Mai – da hani frei». Sich mehr Gedanken zu machen, zu was man präsentiert, kann auch unterhaltsam sein, ohne «nach abe» zu drücken, sondern beispielsweise schnell und technisch zu rappen – wie das Starrlight fast schon in Perfektion vorführte. Gleichzeitig schauen, dass wenn der Zeigefinger gehoben wird, es nicht nur die Moralkeule ist – sonst kanns schon echli cringe werden. Lieber gut verpacken. Also auch hier: Step your game up.
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