Schon seit einigen Jahren wird im HipHop immer wieder mit neuartigen Geschäftsmodellen wie virtuellen Konzerten, Crypto-Währungen, oder auch NFTs experimentiert. Zwar stiessen solche Experimente beim Publikum immer wieder auf Widerstand und Kritik, waren aber dennoch in vielen Fällen kommerziell sehr erfolgreich. Genug sogar, um Musikmanager und Geschäftsführer Anthony Martini davon zu überzeugen, mit virtuellen Artists und AI-generierter Musik die Industrie revolutionieren zu können. Seine Vorstellung von der Rolle von Artists machte er in seinem Interview mit MBW klar:
«Um nicht ganz philosophisch zu werden, aber was ist heute ein ‚Künstler‘? Denken Sie an die größten Stars der Welt. Wie viele von ihnen sind nur Gefässe für kommerzielle Zwecke?»
Das Ergebnis seiner Vision ist der virtuelle Artist FN Meka, der wie eine Kreuzung aus 6ix9ine's verschollenem Bruder und einem Fortnite-Charakter aussieht und mittlerweile über 10 Millionen Follower auf TikTok hat.
Das als AI-Rapper vermarktete Produkt post in TikTok-Videos mit sämtlichen Hype-Schlagwörtern und Marken, die gerade Klickzahlen garantieren: PS5, Starbucks, Among Us, Louis Vuitton, Supreme. Wie entsteht daraus Content? Zum Beispiel, in dem FN Meka im einen Video seine Airpod-Shotgun lädt, damit einen mit Louis Vuitton-Muster überzogenen Among-Us Charakter erschiesst und dieser dann in zwei Hälften auseinanderfällt, womit klar wird, dass sein Inneres nur aus Kuchen besteht. Eine Referenz an ein anderes virales Meme. Im nächsten TikTok verprügelt FN Meka einen virtuellen 6ix9ine, weil dieser eine Snitch sei. In einem anderen verkauft er NFT's. Hat das irgendeinen tieferen Sinn? Wohl kaum, abgesehen davon, dass diese Augmented Reality-Videos mit animierten Elementen in realen Umgebungen Abermillionen von Views generieren. Diese bizarren Clips werden aber entgegen Erwartung nicht auch von einem berechnenden Computer konzipiert und gestaltet, sondern von realen Menschen.
Die Milliarde Views auf TikTok überzeugte wohl auch Capitol Records, eine Division von Universal Music, den virtuellen Rapper unter Vertrag zu nehmen. Am Freitag erschien so FN Meka's erste offizielle Single auf allen Streamingdiensten, mit einem Feature von Gunna wie auch des 17-jährigen Fortnite-Streamers Clix.
Gerappt wird der Song aber nicht von einem Vocalizer, sprich einem Stimmen-imitierenden Computerprogramm, sondern von einer echten, anonymen Person. Die Lyrics hingegen sollen von einem Computer stammen. Wie das genau funktioniert, wird nirgendwo erklärt. Das Resultat klingt aber genau nachdem, was man von einer Clout-chasenden, Rapper-imitierenden Hypebeast-AI erwarten würde:
«'Nother n**** talking on the fucking internet (Yuh) / Buddy big mad cause his bitch gave me neck (Neck) / Worked her all night, like the shit Bowflex (Bowflex) / Nigga why you mad? Go and get yo self a check (Broke)
Es ist zu vermuten, dass es sich bei dieser gross vermarkteten künstlichen Intelligenz um eine Software handelt, die moderne HipHop-Chart-Hits analysiert hat und daraus nun gelernt hat, eigene Lyrics zu schreiben.
Zu Recht musste das Projekt Rassismus-Vorwürfe einstecken, so zum Beispiel auch vom Industry Blackout-Movement. Ein von weissen Musikmanagern geschaffener virtueller Rapper, der das N-Wort rappt, wirft nämlich eine völlig neue, haarsträubende Problematik auf den Plan. Man kann natürlich kaum einer künstlichen Intelligenz Rassismus vorwerfen, die erfolgreiche Rap-Texte analysiert und deshalb auch das N-Wort verwendet. Allerdings zeigt die gesamte Gestaltung des Charakters das zynische Bild auf, welches diese Musikmanager von der modernen HipHop-Kultur haben. FN Meka, die rassistische Karikatur eines schwarzen Rappers, flext mit Marken, rappt über Sex und Waffengewalt und macht vor allem eines: Clout chasen. Alles, was in den Augen seiner Creators einen erfolgreichen Rapper ausmacht. Industry Blackout führt in ihrem Statement weiter aus, wie respektlos das Projekt gegenüber echten Rappern sei: Ganz im Gegensatz zu Gunna, welcher aktuell im Gefängnis sitzt, muss sich Meka nicht davor fürchten, mit ähnlichen Lyrics gerichtlich belastet werden zu können.
Auch der Vorwurf der kulturellen Aneignung wird laut. Kapitalistische Musik-Executives haben mit FN Meka eine digitale Marionette, die sich zwar so benimmt, aber offensichtlich nie erlebt hat, was es heisst als Afroamerikaner in armen und kriminellen Verhältnissen aufzuwachsen. Ebenfalls machte ein mittlerweile gelöschter Screenshot eines Instagram-Posts des Characters die Runde, in welchem aus Polizeigewalt eine Pointe gemacht wird. Der grosse Shitstorm veranlasste nun Capitol Records, ihr Verhältnis mit FN Meka aufzulösen.
Wie es mit dem Projekt FN Meka und der Zukunft von virtuellen Artists geht, steht in den Sternen geschrieben. Fakt ist, dass wichtige Player in der Musikindustrie aktiv probieren, die Artists aus der Musik-Business-Gleichung zu entfernen. Wenn die Musikmanager ihre Rapper steuern könnten, wie sie wollen, würden sie natürlich auch viel mehr Geld damit verdienen. Technische Innovation in der Musikindustrie ist grundsätzlich wichtig, aber wenn die Kunst dabei auf der Strecke bleibt, darf sie nicht voranschreiten.