Was ist «Pushing P»? Während Ü40-Show-Hosts diese Frage diskutierten, war es am 31. Januar für einige besonders dedizierte Gunna-Fans insbesondere eines: ein Shilling-Scam. Darunter versteht man die Werbung für eine zu diesem Zeitpunkt wertlose Cryptowährung, für die eine enorme Wertsteigerung in kürzester Zeit versprochen wird. Die dadurch angelockte get-rich-quick-crowd investiert fleissig, insbesondere wenn der «Shitcoin» von einer Person mit öffentlicher Relevanz beworben wird, bevor das Scam-Schema in einem sogenannten «rug pull» zu Ende gebracht wird: Durch die Interaktion mit dem «Shitcoin» wird Wert generiert, der Wert steigt und die Verantwortlichen verkaufen koordiniert ihre Mehrheit der generellen Coinsumme beim Werthöchststand auf einen Schlag – bevor der Preis dadurch abstürzt. Vereinfacht: Sie verdienen sich eine goldene Nase an der Naivität anderer.
Das ist keine Seltenheit im Crypto-Universum. Alle zwei Stunden wird der nächste, beste Coin kreiert, den die ganze Community auf dem Schirm haben sollte. Das hatte auch Gunna ausgenutzt. Der PushingPETH-Coin wurde von Gunna natürlich in den Himmel gelobt: «I’m taking this to the moon». Acht Stunden nach dem Tweet hatte der Coin seinen Wert um 90% verloren und Gunnas Tweet war gelöscht. Weniger dramatisch, ähnlich stumpf benannt an dieser Stelle: Akons Crypto-Währung AKOIN – nur dass das auch vermerkt ist. Mit dieser hat der «Lonely»-Sänger übrigens Grosses vor: in seiner eigens mitfinanzierten, noch zu bauenden Stadt Akon City im Senegal soll der AKOIN als Währung akzeptiert sein.
Zurück zum Thema: Dass Artists ihre Fanbase nicht nur über den Tisch ziehen, sondern – um das auch beim Namen zu nennen – sich durch Betrug an ihr bereichern, ist in den letzten Monaten keine Seltenheit geblieben. Insbesondere in den USA hat sich das als Trend abgezeichnet. So wurden beispielsweise auch Soulja Boy und Lil Yachty im Kontext einer Sammelklage gegen den CEO der Cryptowährung SafeMoon mitangeklagt: Betrug durch eine Pump and Dump-Strategie. Solche Vorkommnisse sind sicherlich nicht nur auf Böswilligkeit der Künstler:innen zurückzuführen, sondern auch auf Naivität und völlige Ignoranz in der Kollaboration mit Werbepartnern. Aber: Crypto hat eine vermeintliche Tür geöffnet. Blockchain-basierte Technologie und die materialistische Rapkultur passen leider gut zusammen. Dumm nur, dass es nicht wirklich funktioniert.
Singer / Rapper turned Selfmade-Entrepreneur und personifizierter Albtraum von Megan Thee Stallions Fuss Tory Lanez hatte 2021 ein ähnliches Projekt aufgegleist. Auch wenn scheinbar nicht mit denselben fragwürdigen Ambitionen wie bei Gunna, hatte der selbsternannte Crypto-Spezialist einen NFT-Release lanciert – ein Album, das nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte, sondern nur in den Besitz von dedizierten Fans und einigen geldhungrigen Crypto-Bros, die das Album später dank potentiellem Hype «flippen» und sich damit eine goldene Nase verdienen sollten. Dem ging ein chaotischer Monat auf Torys Twitter voraus, in dem er meist in all caps verschiedenste Coins, NFTs und andere Projekte des heiligsten freien Markts bewarb. Am Releasetag des NFT-Albums behauptete Tory Lanez schliesslich, das Album hätte innert einer Minute eine Million Kopien verkauft und dass eines seiner NFTs bereits für einen Profit in Höhe von 50'000$ geflippt worden war. Ein klassisches get-rich-quick-scheme? Jein.
Tory hatte sich durchaus extrem am Verkauf bereichert. Die Plattform, mit der Tory Lanez für den Release gepartnert hatte, verzeichnete eine Gebühr von 15% auf jeden Verkauf. Ausserdem war sie direkt nach Release für einen Tag nicht aufrufbar. Ein Käufer beschwerte sich daraufhin auf Twitter, dass keine seiner sonst konsultierten Seiten für NFT-Käufe eine so hohe Gebühr verlangten mit Ausnahme derjenigen von Tory und konfrontierte ihn, dass eine solche Gebühr einen Profit ohnehin unbedeutend machen würden. Darauf entgegnete der Musiker: «Viele Leute haben VIEL mehr herausbekommen, als sie investiert haben. Aber auch wenn ich das, was du sagst, ernst nehmen würde –wenn das NFT für einen Dollar gekauft und für zwei verkauft würde, hättest du dein Investment noch immer VERDOPPELT», gefolgt von zwei Clown-Emojis. Auf seine grundlegend falsche Rechnung nahm Tory nie medial Stellung – trotz mehrerer Anfragen.
Die Clown-Emojis fassen die Problematik dieses Geschäftsmodells gut zusammen. Was von einigen «gutes Marketing» genannt wird, ist per Definition ein «Bigger-Fool-Modell»: Eine Anlagestrategie, bei der von einem preislich überschätzten Objekt ausgegangen wird mit der Annahme, dass ein bigger fool – ein grösserer Trottel – dieses Objekt zu einem noch höheren Preis ersteigern wird. Die Differenz steht dann als Gewinn da. Dieses Modell wo alles über Hype und Engagement der Community Wert bekommt, funktioniert sehr gut mit dieser Strategie zusammen. Aber ist es bei Objekten mit einem Sammlerwert wie Merchandise ebenso so nahe am Scam? Es scheint zumindest eine Nische zu sein, wo ein NFT einen real festmachbaren Wert haben kann, je nach dem, was als NFT verkauft wird. Viel mehr als ein Gimmick ist es wohl aber auch nicht. Das zeigt sich beispielsweise im deutschsprachigen Raum, wo Merchandise in NFT-Format einfach aus Prinzip zur Auktion gestellt wird – meist erfolglos.
In Deutschland und auch in der Schweiz sind die Verhältnisse zahmer. Haiyti hat beispielsweise anlässlich ihres letzten Albums «SPEED DATE» zu jedem Song ein Artwork als NFT auf dem Token-Marktplatz mit Monopolstellung OpenSea (etwas ironisch, dass bei allem Geschrei um Dezentralisierung durch Crypto Monopole einfach diskussionslos hingenommen werden – Markt regelt schon oder so, right?) veröffentlicht. Scheinbar hat das niemanden wirklich interessiert – alle Tokens sind noch in Haiytis Besitz, keines der 22 NFTs hat jemals den Besitzer gewechselt. Aber: Das Gewinnpotential, das in Amerika bei 6ix9ine, T.I., Lupe Fiasco und deren massives Absahnen beobachtet wurde, hat man nun auch im deutschsprachigen Raum erkannt.
Aber trotz Verspätung – auch die Deutschrapszene findet Gefallen an der NFT-Masche. Nur ist es entgegen der Erwartung, dass neue mediale Formen von Merchandise eher von jungen Künstler:innen gepusht werden, eben nicht eine primär junge, technisch versierte und grenzendurchbrechende Generation von Artists, die diesen Merchandise vertreibt – sondern eher die Urgesteine. So hat beispielsweise Bushido am 20. März seine erste NFT-Kollektion auch auf OpenSea veröffentlicht. Und zugegebenermassen – Bushidos NFTs sind ästhetisch nicht grässlich. Vorteile habe man auch – gratis Eintritt zu Bushidos Konzerten, ein kostenloses Exemplar zu künftigen Alben sowie eine goldene Schallplatte aus Bushidos Sammlung nach Wahl. Die Auktion hat einen Startpreis von 0.5 Ether –momentan ca. 1400 Franken. Am Sonntag ging die Auktion zu Ende und Bushido hatte wenigstens zwei der NFTs verkaufen können.
In Deutschland gäbe es weitere Beispiele für Künstler:innen, die eine exakt selbe NFT-Merchandise-Strategie zu haben scheinen. Kool Savas’ Twitter ist seit längerer Zeit ein Teilzeit-Hub der Crypto-Expertise, auf OpenSea finden sich Cros Masken, Kollegah hat eine «Mischung aus Cover und Instrumental seiner neuen Single» auf derselben Plattform. Schön und gut – an was andere Freude haben, soll ja nicht einfach in Grund und Boden gestampft werden. Aber es ist doch etwas fragwürdig, ob die ganzen Vorteile, die Bushido etwa verspricht, auch überhaupt irgendwie haltbar sind. Muss Bushido immer informiert sein, wem die NFTs gerade gehören, dass er Ihnen Konzerttickets zu jeder Show schicken kann? Was geschieht beim Besitzwechsel? Kommt er seine goldene Schallplatte dann höchstpersönlich abholen? Für mich klingt es doch mehr nach viel Versprechen für wenig Return und viel Geld für wenig real einsetzbarem Wert. Aber trotzdem – es ist ein Sammlerobjekt und ein Besitzwechsel wohl nicht unbedingt vorgesehen.
In der Schweiz haben die meisten Künstler:innen noch die Finger vom Phänomen gelassen. Einer war aber früh auf der Welle mitgeritten – und apropos Urgesteine bei Bushido und Savas – EKR hat eine Vintage-Kollektion veröffentlicht. Auch hier bislang keine Besitzwechsel und wohl kein Ertrag für Eki, aber die Zürcher Ikone hat grosse Pläne. Für 22 Eth – also rund 70'000 Franken (!!!) – kann man sich beispielsweise den Song «Ein König Regiert» gönnen. «Susi» oder «Chreis 5» ebenso für dieselbe Summe – alle drei in ihrer jeweiligen Gold-Version. Was das heisst, erschliesst sich auf OpenSea nicht ganz. Die normalen und Silver-Versionen sind jeweils mit einem Preisschild von 0.2, respektive 2 Eth, deutlich billiger. Die grössten Ambitionen hat EKR bei dem Token «Ultimate» -für 44 Eth – rund 150'000 Franken – hat man unbegrenzten Zugang zu einem unveröffentlichten, noch nie gehörten EKR-Song. Und das ist (hoffentlich auch) nicht alles – weiter darf man einen Featurepart aufnehmen, hat freien Konzert-, Backstage- und Studio-Zugang mit zwei Gästen und bekommt vielleicht noch von Eki den Rücken gekrault? Würde ich mindestens erwarten, wenn ich 150k hinblättere. Verkauft hat EKR scheinbar noch keines der NFTs. Wer also eine alte Festplatte findet demnächst– meiner Meinung nach wohl die beste Investition, wenn man sich anschaut, was man sonst so von den NFT-affinen Persönlichkeiten der Rap-Szene so bekommt.
Was ist hier also los? Beobachten wir die neuste Generation von Merchandise? Ist es die neue Welle? Naja. Klar – für eingefleischte Fans können diese digitalen Objekte durchaus einen Sammlerwert haben, der auch völlig verständlich ist. Aber: Es ist in diesem Umfeld an diesem Zeitpunkt ausschliesslich Marketing. Nicht mehr, nicht weniger. Vielleicht manchmal mehr Scam als Marketing – aber primär ein hypegesteuertes Marketingphänomen. Die Crypto-Szene bekommt durch ihre der Öffentlichkeit als Werbung präsentierten Erfolgsstories einen ordentlichen Push durch die so abgeholte Community, entgegnet aller Kritik, dass die Zahlen schliesslich knallgrün wären und so gar niemand verlieren könne und kaschiert so den allergrössten Teil der Verluste, die sich auf die «Opfer» dieser Werbung abwälzen. So weit ist das nicht entfernt vom Pump & Dump-Schema.
Aber was, wenn das Geld egal ist und die Kollektion im Vordergrund steht? Ob man den mit Musik in Verbindung stehenden Tokens etwas abgewinnen kann, ist letztendlich völlig subjektiv. Aber was doch etwas heikel zu sein scheint bei aller Exklusivität, ist, ob alle Vorteile, die mit dem Erwerb kommen, auch durchgesetzt werden können. EKR’s Featurepart auf dem unveröffentlichten Track würde ja wohl kaum gestrichen und neu aufgesetzt werden, wenn es einen Besitzer:innenwechsel des Tokens gibt. Und was zusätzlich noch dazu kommt: Derart exklusiver Merchandise ist nichts Neues. Viele erinnern sich wohl an das Wu-Tang-Album, das an einer Auktion versteigert wurde. Und alle, die sich daran erinnern, erinnern sich auch an den Aufschrei und das ewige Umebrüele um das Kulturgut, das hier der Öffentlichkeit entzogen wird, dass nun sogar die Pharmabranche Kultur gatekeept etc.
Grundsätzlich ist es beim NFT-Phänomen dasselbe: Nur weil es bei NFTs nicht nur die stinkreichen Pharma-Sunnyboys wie Martin Shkreli sind, die öffentlich hinstehen und damit angeben, sich die exklusiven Objekte gekrallt zu haben – am Ende landet alles doch in den Händen derselben Domäne von Leuten, die sich ordentlich an ihrem eigenen, «unabhängig» erworbenen Eigentum aufgeilen. Und übrigens – dreimal dürft ihr raten, bei wem das Wu-Tang-Album heute gelandet ist: einem NFT-Sammler.