Lo & Leduc im «Mercato»-Interview
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February
2022

Von Menschen und Melodien

Lo & Leduc im «Mercato»-Interview

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2022

Von Menschen und Melodien

Lo & Leduc im «Mercato»-Interview

Luca Mosberger
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Lo & Leduc im «Mercato»-Interview
Quelle:
Maximilian Lederer
Die zwei begnadeten Lyricists melden sich zurück mit «Mercato», ihrem siebten Studioalbum. Mit ihnen haben wir über das neue Album, ihre Lieblings-CH-Rap-Newcomer:innen, die Macht der Worte und die potenzielle Problematik hinter ihrem Hit-Song «079» gesprochen.

Auf ihrem neusten Werk lassen Lo und Leduc ihre Hörer:innen mit feinfühligem Writing in eine eigene Welt eintauchen. Innerhalb alltäglichen und auf den ersten Blick nicht gerade spektakulären Geschichten greifen die Künstler in ihren Songs aber Themen auf, die so gross wie das Leben sind: Es geht um Herkunft, Liebe, das Künstlerdasein und die Sprache – alles verstrickt in durch scharfe Beobachtungsgabe niedergeschriebene Zeilen über eine Taxifahrt oder zerbrochenes Geschirr.

«Mercato» vereint moderne Pop-, HipHop-, R’n’B- und Dancehall-Einflüsse. Ab und zu lassen sich in der Tracklist aber kleine Ausreisser und Überraschungen finden, die einen völlig anderen Ton einschlagen. Das hat mit dem Konzept des Albums zu tun. Nahe an den Entstehungsorten des Albums in einer Wohnung im Tessin und in Kreuzlingen, wo Sir Jai vom deutschen Producerkollektiv Jugglerz sein Studio hat, befanden sich kleine Mercati, also kleine skurille Gemischtwarenläden, in denen man alles findet, was das Herz begehrt. Aber eben auch mehr als nur das, erklärt Lo.

«Ein Mercato kann eine Art Sammelsurium sein. Es hat alle Essentials, und andererseits findet man immer wieder Dinge, die man noch nie gesehen hat, oder von denen man gar nicht wusste, dass man sie gesucht hat. Mercato hat die Essentials drauf, sowie auch kleine Ausreisser, die man vielleicht nicht erwartet. Ein anderer Vibe. Wie «Häreta» zum Beispiel.»

Auf «Häreta» rappen die beiden über verlorene Gegenstände und die Verworrenheit des Alltags. Die humorvollen Zeilen über vergessene Passwörter und Sicherheitsfragen (D Sicherheitsfrag isch, wie d Chatz vo mim Grosi heisst / Salazar, Balthasar, nei, ds stimmt beides nid) funktionieren überraschend gut auf den satten Bässen des ungewohnten Trap-Instrumentals. Wie Leduc witzelt: «Häreta ist ein Song, der beim Autofahren und gleichzeitigen Hupen schon hard ist.» Der Track entstand in einem kreativen Rausch innerhalb einer Viertelstunde. Es scheint, als machten die beiden Künstler auf dem Album das, worauf sie gerade Lust hatten. Alles wirkt locker und ungezwungen. «Mercato» ist deshalb kein fokussiertes und stark durchstrukturiertes Album. Aber das gibt einem Mercato auch seinen Charme.

Foto: Maximilian Lederer

Die Aussagekraft und Dringlichkeit der einzelnen Lieder variiert, die Vibes der Songs unterscheiden sich stark voneinander. Man hört dem Album an, dass es nicht von Anfang an als ein solches, sondern als zwei verschiedene EP’s konzipiert war. Die Tracklist ist eine kleine Wundertüte - aber nicht sorglos zusammengetragen. Das diverse Sortiment des Mercatos bringt eine kleine Achterbahn der Gefühle und einen konstanten Wechsel an Anspruch und Stimmung mit sich, wenn nach dem schrägen Trap-Song «Häreta» die beiden Rapper plötzlich zu den epischen Synth-Klängen von «6.00 am» in poetischer Sprache über ihren Beruf philosophieren oder auf dem poppigen «Tribut» eine nostalgische Ode an alle Liebeslieder, deren Versprechen sie nicht erfüllen können, singen.

Das Album wird nach einem Skit, der das Mercato-Ambiente etabliert, mit «Taxi Taxi» eingeläutet. Der Song handelt von einer Aufbruchsstimmung, die symbolisch als eine Taxifahrt aus der eigenen Heimatstadt geschildert wird. Auch hier verstecken sich mehr als nur leichte, alltägliche Themen zwischen den Zeilen.

«Shout out a Pinto, wär isch Jesus? / Alli wei Jeff sy aber renne für di Bezos / Mir sy Hirte unger Elons Liechterchetti / Egal wie warms wird, dr Mars isch nie mini Rettig»

Es scheint den beiden Spass zu machen, in Rätseln zu sprechen und kleine Überraschungen einzubauen. Eine Inspiration für die beiden war dabei der kürzlich verstorbene Mundart-Sänger Endo Anaconda, der auf«Taxi Taxi» kurz vor seinem Tod noch ein Shoutout der beiden erhielt. Endo war schon früh ein wichtiger Kompass und eine grosse Inspiration:

«Es ist nicht zu verkopft, aber extrem intelligent, es trifft die Schweizer DNA. Er war ein sehr authentischer, kritischer Beobachter unseres Landes. Man konnte ihn nicht vereinnahmen. Eher hat er uns vereinnahmt.»

Das Musikvideo zu «Taxi Taxi» zeigt völlig verschiedene Menschen auf der Fahrt auf dem Rücksitz eines Taxis. Im Video haben auch einige Leute aus dem Umfeld der Künstler ein Cameo-Auftritt, darunter Baze, Amos Joan und Newcomerin Soukey. Leduc, dessen Musik-Rotation sich im Moment auf ein paar wenige auf sein Flip-Phone geladene Mixtapes und Alben beschränkt, gibt an, den Track «144» der Künstlerin immer noch regelmässig zuhören. Beide sind fasziniert von der Kreativität und dem Fokus auf Ästhetik der Künstlerin. Für das Video repräsentiert sie eine neue Generation.

Ein unerwarteter Gast im Taxi ist SP-Nationalrätin Tamara Funiciello, die 2018 Lo und Leduc’s Hit «079» wegen angeblichem Sexismus kritisiert hatte und dafür einen üblen Shitstorm kassierte. Es herrschte aber nie böses Blut. Lo und Leduc verteidigten zwar den Song, doch verurteilten den Shitstorm und betonten die Wichtigkeit solcher Diskussionen. Es lässt sich darüber streiten, ob sich der gesellschaftliche Sexismus damals in diesem Pop-Song zeigte. Zweifelsohne zeigte er sich aber in der verbalen Gewalt, die Tamara Funiciello nach ihrer Kritik an «079» erfuhr. Für Lo und Leduc verdeutlichte dieses Ereignis, wie relevant solche Sexismus-Diskussionen noch immer sind. Da die beiden Sänger und Funiciello ohnehin viele politische Ansichten teilen, war eine Zusammenarbeit gar nicht mal so abwegig. Es ist kein Zufall, dass Funiciello zu dieser Zeile eingeblendet wird: «Mir hei üs scho lang vo däm Chlystadtblues ernährt / Taxi ire Uber-Wäut, ire «You can do it!»-Wäut.» 

Für die Künstler steht die Politikerin für den Kampf gegen strukturelle Ungleichheit. Für diese Zeile passte sie deshalb wie die Faust aufs Auge ins Video.  

Lo:  «(…) es geht um das kapitalistische System, welches dir verkauft, dass man alles erreichen kann. Man muss sich nur genug anstrengen und wenn man seine Ziele nicht erreicht, hat man sich nicht genug angestrengt. Dabei wird ausgeblendet, dass es strukturelle Benachteiligungen gibt.»

Würden Lo und Leduc auch vier Jahre nach der «079»-Debatte den Song über den liebeskranken Anrufer nochmals genau gleich schreiben? Leduc glaubt, solche Figuren dürfen und sollen in Liedern vorkommen. Ein wenig Selbstkritik übt Lo dann aber doch. Er kann eine negativere Auslegung des Songs nachvollziehen. In der ersten Zeile heisst es: «I lüte jede Tag ar Uskunft aa». Über welchen Zeitraum dies passiert, wird lyrisch aber offen gelassen:  «Darin sehe ich eine mögliche Lesart, bei der ich sagen muss: Ah shit, das klingt, als würde sich jemand von einem Nein nicht abschütteln lassen.»

Politisch wird es auch auf «Melodie», in dessen Text es nicht wirklich um Musik, sondern um Menschen und ihre Herkunft geht. Melodien sind vergänglich, sie tauchen auf und verschwinden wieder. Manche bleiben länger, bewegen das Weltgeschehen, leiten Revolutionen an. Doch sie alle vergehen mit der Zeit. Lo erklärt:

«Man weiss nicht, wo eine Melodie herkommt. Sie ist nichtwirklich greifbar. Sie kommt einem in den Sinn, vielleicht ist es auch ein Mix aus Melodien, die man mal gehört hat. Das ist alles nicht mehr greifbar oder zu verorten. Es gibt keinen Ort, wo sie hingehört. (…) Es ist irritierend, dass man es bei Menschen nicht so sieht. Dabei ist es eigentlich dasselbe. Du weisst nicht, warum du hier bist, du weisst auch nicht, wo du herkommst. Es gibt keinen Ort, an den du objektiv gehörst. Wo du geboren wirst, ist ein absoluter Zufall.»

Diese Gegensätze wollten die beiden Künstler auf dem Closer des Albums hervorheben. Viele der aufgezählten Ortsnamen sind hierzulande mit Migration assoziiert. Ein Exempel dafür, wie die beiden Künstler mit subtilem Songwriting starke Momente erschaffen und Messages vermitteln.

Ein paar der besten Momente auf dem Album strahlen starke Melancholie aus. Da wäre der Song «Rewind», welcher im Stil einer rückwärts abgespulten Videokassette eine zerbrochene Beziehung unter die Lupe nimmt. Ein Song, der zurückbleibende Sehnsucht so gut beschreibt, er braucht gar kein Musikvideo. Und dann ist da auch der fantastisch produzierte Track «Gschirr», in dem in bildhafter Sprache ein Streit beschrieben wird. «ich werfe beim Streiten natürlich nicht mit Geschirr», versichert Lo. «Es ist eine literarische Überspitzung und steht für den Gegensatz zum Konflikt, der nicht mehr ausgetragen wird und dadurch eine Entwicklung, ein Weiterkommen erschwert.» Auch hier wirkt das Songwriting beinahe cinéastisch, das Instrumental von wainvel und Ruck P hypnotisierend.

Eines der wenigen Song-übergreifenden Themen auf dem Album ist die Macht der Worte. Das beschäftigt Lo und Leduc nicht erst seit gestern. Schon 2019 thematisierten die beiden als «Häberli Oggier» in ihrem Spoken Word-Programm «Wörter wie wir», wie Sprache zur Erzeugung von Angst gebraucht werden kann. Weniger satirisch greifen sie das Thema Sprache mit Songs wie «Jedes Wort» und «Wär simer wemer säge mir» auf. Das ist ein Thema, welches dem Duo offensichtlich am Herzen liegt. Lo erklärt, dass man immer mehr sagt, als man sagt.

«Es ist eine laufende Sensibilisierung. Es geht immer wieder um die Frage, wie man etwas formuliert, so dass damit man auch wirklich das mitteilt, was man mitteilen möchte. Welche anderen Lesarten gibt es für diese Formulierung? Es geht darum, sich nicht zu zensieren, bewusst Position zu beziehen oder bewusst etwas offen zu lassen.»
Bild: Maximilian Lederer
«Ich glaube nicht, dass man erwarten kann, dass sich alle Menschen plötzlich von heute auf morgen mit der Sprache als Machtinstrument befassen. Es kommt auch darauf an, was und wo du arbeitest oder wie streng dein Alltag ist. Vielleicht magst du am Abend nicht mehr Adorno lesen. Oder den neusten feministischen Blog.»

«Mercato» hat ziemlich alles, was man sich als Lo & Leduc-Fan von ihnen wünscht: Ausgefallene Wortspielereien, humorvolle Beobachtungen über die Gesellschaft, Gute-Laune-Tunes und auch politische Messages, mit stilvollem Writing in clevere Metaphern verpackt. Das Album bietet einen breiten Katalog an verschiedenen Stilen, alle mit Liebe zum Detail und Leidenschaft umgesetzt. Was das Album aber an mangelndem Fokus einbüsst, macht es mit seinem Gemischtwarenlädeli-Charme wieder wert. «Mercato» ist ein gut umgesetztes, cleveres Pop-Album mit viel Replay Value.

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