Seine bisherigen Projekte, sei es seine Debüt-EP «M1NDWHACK», sein diesjähriges Album «Lifestream» oder zuletzt seine Kollaboration mit Rapper Ardian Vibe und Producer yngscorpio, fokussierten sich wenig auf Storytelling und zusammenhängende Struktur in der Tracklist. Auf «TIME WILL TELL» scheint Jamal dies ändern zu wollen: Schon im Introsong «R.I.P» lässt er sein lyrisches Ich sterben.
«Mis Herz liit mit hundert Schnitt imne Sterbebett / mis Herz isch scho vill älter als es eigentlich werde sött»
Das Piepen des Herzmonitors integriert Produzent yngscorpio in das ruhige Gitarreninstrumental. Das emotionale Intro endet mit dem Stoppen von Jamals Herzschlag, der Herzmonitor piept seinen letzten, langgezogenen Ton. Vielleicht was es nötig für ihn zu sterben, um ein neues Kapitel als Künstler zu beginnen.
Statt aber um sich selbst zu trauern bleibt Jamal hoffnungsvoll: Er ist sich sicher, dass seine Musik seinen Tod überdauern wird. Der Sinn des EP-Titels «Time Will Tell» wird hier deutlich. Die Stimmung der Songs fühlt sich aber nie übermässig dramatisch oder tragisch an. Jamal schwebt auf denn sanften Melodien der Instrumentals und glänzt mit bildhafter, poetischer Sprache.
Mit dieser bildhaften Sprache zeichnet Jamal das Bild eines jungen Mannes, der nach vielen «Ups and Downs» seinen Platz in der Welt gefunden hat. Die Farbpalette: Asphaltgrau und Ozeanblau. Die farbarme Strassenästhetik integriert Jamal in «WINNETOU» oder auch «ASPHALT GRAU», auf dem er über das Leben philosophiert. «Chume vo schwarz und wiiss, chume vo Ups and Downs, chume vo blond und bruun, direkt vo Ma und Frau» rappt er in der Hook. In den Verses thematisiert er seinen steinigen Lebensweg und die Einstellung, mit der er diesen bewältigt. Dem Zuhörer gibt er lyrisch Rat, wie auch er weiterkommen kann auf diesem Weg. Dabei wirkt er erwachsener und gereifter als bisher: Er hat akzeptiert, dass Struggles im Leben unvermeidbar sind, aber dass er mittlerweile die mentale Stärke hat, sie zu bezwingen.
«Lieb de Bode uf dem ich lauf, N*gga mis Läbe isch asphaltgrau.»
Das Thema des Weges, der Strasse oder auch der Reise zieht sich durch die ganze EP, so wie auch das Motiv von Leben und Tod. Das Projekt hat einen philosophischen Anstrich. Auf «OCEAN BLUE» reflektiert Jamal eine Beziehung, die aufgrund von zwei völlig verschiedenen Lebenseinstellungen und Jamals Depression nicht funktionieren konnte. Auch hier kann der Winterthurer mit einer grossen Dichte an persönlichen Zeilen und Charakter überzeugen.
Während auf vorherigen Projekten solche Strorytelling-Tracks immer mit weniger aussagekräftigen und mehr vibe-lastigen und lauteren Songs abgewechselt wurden, scheint Jamal auf dieser EP in der Conscious-Ecke aufzublühen. Der Vibe tritt aber trotzdem nie in den Hintergrund und bleibt stimmig, wenn auch subtiler als bisher.
Religiöse Themen tauchen auch auf mehreren Songs dieses Projekts wieder auf. Schon auf «Lifestream» machte er diverse Anspielungen an seinen Glauben, und setzt dies auch auf «TIME WILL TELL» fort. So rappt er beispielsweise auf dem Closer: «Ich mache d Arbet vo Gott / trotzdem ich mach was ich wott». Seiner neuen Reife ist sich Jamal bewusst, und er scheint sich in seiner neuen Position als weiser Ratgeber und Beauftragter Gottes wohlzufühlen. Auch wenn Jamals persönliche Beziehung zu Gott der EP mehr Tiefe verleiht, beginnt die Farbe seines Bildes mit Zeilen wie der obrigen leicht zu bröckeln. Sich selbst als von Gott gesandten, prophetähnlichen Rapper zu inszenieren ist nichts völlig Neues im HipHop. Kendrick Lamar rappte beispielsweise kürzlich auf «Family Ties» von Baby Keem, dass er ein Prophet sei und nur Metatron und Gabriel antworten würde, zwei Erzengel und somit direkte Boten Gottes.
Sogar bei Kendrick, der seit gut einem Jahrzehnt als HipHop-Legende gilt und für seine Musik und deren Relevanz für eine ganze Generation unter anderem mit einem Pulitzer ausgezeichnet wurde, wirken solche Statements dick aufgetragen. Es täte Jamals Glaubwürdigkeit wahrscheinlich gut, sein neues Image erst vollständig zu etablieren, bevor er damit zu prahlen beginnt.
Diesen neuen Stil fortzusetzen scheint auch sein Plan zu sein: Auf dem Closer «WINDOW SEAT» kündigt er sein nächstes Album an: «Mis nächste Projekt wird es Meisterwerch». Auf diesen 5 Songs hat Jamal erneut sein riesiges Potential bewiesen. Es bleibt zu hoffen übrig, dass er diesen Stil auch auf Albumlänge funktionieren lassen kann.
«TIME WILL TELL» ist ein kurzweiliges, aber komplexes und rundes Projekt. Obwohl es nur eine Laufzeit von 12 Minuten hat, eröffnet es ein wichtiges Kapitel für Jamals kommende Musik. Während seine bisherigen EP’s und Alben noch eher experimentell und ein wenig «all over the place» klangen, scheint er hier seine Formel gefunden zu haben. Auf diesen 5 Songs ist er, was sein Writing, die vermittelte Stimmung und seine Performance angeht, in Bestform.