Dass sie ihre Finger auch dieses Jahr im Spiel haben würde verwunderte mich kaum. Als ich dann während einem Treffen mit meinen fellow Feminist*innen gehört habe, dass sie am Feministischen Streik auftreten wird, wollte ich unbedingt mit der ikonischen Rap-Repräsentantin unserer Schweizer Vorreitergeneration zusammenzusitzen und mal nicht über «Sexismus im Rap» zu reden, sondern endlich mal über «Feminist*innen im Rap», zu denen sie für viele dazugehört.
Auf die Frage, wie es sich anfühlt ein Teil der Bewegung zu sein, antwortet sie sehr berührt. «Mega schön, mega wichtig!» Ihr würde es reichen am 14. Juni einfach mitzulaufen, doch mit ihrer Arbeit kann sie etwas zu diesem Tag beitragen, was sie sehr erfüllt.
Big Zis hat schon einen langen Weg hinter sich. Am Anfang seien ihre Bemühungen schon eher auf die Szene bezogen gewesen, erzählt sie. Sie hat sich schon immer als feministisch verstanden, was sich über die Jahre ein Stück weiterentwickelt hat, so wie sich auch die feministische Bewegung sich entwickelt hat, mit ihren Ups and Downs.
Ihr Blick schwenkt ab, wir beide abgelenkt von der Zuneigung, die ich von einer dazugestossenen, eigentlich sehr süssen, aber etwas überrumpelnden Bulldogge bekomme. Als wir uns wieder fangen habe ich zumindest etwas den Faden verloren, weshalb wir zurückkehren, Back to the Roots ihrer Anfänge im HipHop.
Damals war alles noch viel männerdominierter als heute. Einerseits dachte sie damals, dass das eigentlich nicht okay sein sollte, gleichzeitig wollte sie Teil davon sein. Ein Zwiespalt zwischen ein Zeichen setzen zu müssen, sich Abzugrenzen und Teil der Szene, der Community sein zu wollen. Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn ihr Geschlecht total egal gewesen wäre. Heutzutage, meint sie, ist es ein bisschen anders. Sie gilt heute ein wenig als Grande Dame des CH-Raps, doch der Weg dahin war ein sehr langer, das habe sich mittlerweile etwas verändert.
Dazumal habe laut Big Zis die ganze Diskussion über «Girl Power» noch sehr andere Dynamiken gehabt. Sie hat sich damals als eine Art Exotin gefühlt, hat nicht wirklich in das übersexualisierte Frauenbild der Musikindustrie reingepasst. Natürlich hörte und feierte sie damals Artists wie Lil Kim und Foxy Brown. Sie hat schon auf irgendeine Art verstanden, dass das ein emanzipatorischer Moment in der HipHop-Szene war, ein Reclaiming weiblicher Sexualität, aber gleichzeitig war ihr auch bewusst, dass sich das gut verkauft.
Sie habe diese Tracks gehört, sich selbst aber immer völlig anders verstanden, mehr als Tomboy-Rapperin. Dennoch ist ihr das sich gegenseitige Abgrenzen von anderen Frauen* sauer aufgestossen. Sie hofft und beobachtet auch schon teilweise, dass sich das bei der jüngeren Generation verändert. Man wertet Weiblichkeit nicht mehr so ab, es ist mehr ein Miteinander als ein Gegeneinander. Es hat heute eine viel breiter getragene Solidarität unter Rapper*innen oder Aktivist*innen und generell in der Gesellschaft.
Big Zis freut sich über den Support, die Female Artists wie LOU KAENA bekommen, sieht aber auch, dass jede Generation nochmal eigene Kämpfe zu führen hat. Dennoch gibt es vieles am jetzigen Zeitgeist, woran sie Hoffnung schöpft. Die emotionale Intelligenz der jüngeren Generation zum Beispiel. Sie ist beeindruckt von unserem Wissen und fragt sich manchmal dabei, wie sie damals mit zwanzig so war. Ebenfalls begeistert sie die Entstigmatisierung vieler Dinge, die durch die Awareness dieser Generation erreicht wurde. Mental Health wäre da ein Beispiel von vielen.
Während ich Big Zis in ihrem wirklich sehr gemütlich eingerichteten Wohnzimmer dabei zuhöre, muss ich daran denken, dass auch unsere Generation mehr als genug Gründe hat, begeistert von unseren Vorreiter:innen zu sein. Sei es nun musikalisch oder historisch.
Bei mir persönlich war Missy Eliott die Gateway-Drug zur «Räubermusik», die ich heute so gerne höre und die mir so viel Energie gibt. Ein anderer grosser Name in meiner persönlichen HipHop-Biografie ist Lauryn Hill. Nicht nur weil das allerbeste Album der Welt (The Miseducation of Lauryn Hill) genau gleich alt ist wie ich, sondern weil es mir ein sehr ehrliches Frauenbild gezeichnet hat, indem ich mich - und das ist ein grosses Privileg – zum ersten Mal endlich wiederfinden konnte, verglichen zu den sonst damals im HipHop der Nullerjahre typischen Frauenbildern – Hure oder Heilige.
Auch politisch müssen wir die Hände unserer feministischen Mütter küssen, denn ohne sie hätte es in einem Land wie der Schweiz wahrscheinlich noch länger gedauert mit dem Stimmrecht. Auch deshalb gehen wir heute auf die Strasse, aus Respekt zur Geschichte der Feministischen Bewegung, aber auch weil es immer noch so viel zu tun gibt.
Rap und die Schweizer Sozialpolitik der Neuzeit haben unserer Meinung nach eine grosse Gemeinsamkeit: Das Schneckentempo bezüglich Gleichstellung.
Während Big Zis grosse Awareness für antirassistische Themen in der Szene beobachtet, fehlt ihr dieses auch für feministische Themen. Sie will zwar die Entwicklungen der letzten Jahre nicht verkennen, dennoch geht ihr das mit dem Feminismus im Rap einfach viel zu langsam.
Es braucht mehr strukturellen Support für marginalisierte Artists. Menschen in Machtpositionen in dieser Szene müssen sich ihrer Macht bewusst werden oder zumindest in den Dialog über diese Machtstrukturen treten. Dabei ist es wichtig, dass man keinenUnterdrückungsmechanismus einer anderen gegenüber ausspielt. Jede Art von Diskriminierung gilt es zu bekämpfen, sei es nun rassistische, klassistische oder genderspezifische - und HipHop kann und muss dem gerechtwerden.
Generell findet Big Zis, Feminismus müsse breiter gedacht werden. Während wir uns vor dem Interview etwas warm redeten, haben wir beide mit dem Slogan des Revolutionären Streikkollektivs geliebäugelt.
«Revolution für das ganze Leben!»
Ich persönlich habe das stark als Anlehnung an den Spruch aus der kurdischen Widerstandsbewegung «Jin Jian Azadi» - auf Deutsch «Frau, Leben, Freiheit» - verstanden, welcher im Zuge der revolutionären Proteste im Iran erneut an Relevanz gefunden hat. Für die Perspektive, die mir Big Zis nähergebracht hat, bin ich sehr dankbar, denn Feminismus muss breiter gedacht werden und betrifft alle Ebenen des Lebens. Sei es nun auf der Arbeit, im HipHop oder privat.
Nebst ihrem Engagement kann man sich nächstes Jahr auf ein Album von Big Zis freuen. Grosse Videoprojekte sind von der Swiss Music Video Awards-Gewinnerin 2019 ebenfalls angedacht, wobei es momentan noch an der Finanzierung hapert. Doch mit dem Album können wir mindestens so sicher rechnen, wie damit, dass sie noch viele Jahre lang ihre Stimme für feministische Anliegen einsetzen wird, egal ob mit Mic oder ohne.