Sind die fetten Jahre in der Rap-Musik vorbei?
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2022

Kolumne

Sind die fetten Jahre in der Rap-Musik vorbei?

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Sind die fetten Jahre in der Rap-Musik vorbei?

Luca Thoma
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Sind die fetten Jahre in der Rap-Musik vorbei?
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HipHop hat in den Jahren zwischen 2017 und 2019 seinen Peak erreicht. Die Idole von früher sind vom Sockel gefallen, die Zahlen stagnieren. Was folgt? Der Absturz oder die Wiedergeburt?

Hand aufs Herz: Ich habe das Gefühl, ich bin alt geworden. Noch vor wenigen Jahren habe ich mich voller Inbrunst in jede Diskussion über Rap und den Zeitgeist geschmissen und dabei die jungen, aufstrebenden Künstler verteidigt. Leute wie Travis Scott, aber auch Playboi Carti oder 21 Savage waren für mich visionäre Genies, die ohne Scheuklappen mit alten, verkrusteten Traditionen brachen und HipHop auf ein energetisches Level hoben, das es noch nie gegeben hatte. Künstler wie Ufo361 oder RIN waren zwar nicht die talentiertesten Songwriter, die der Erdball je gesehen hatte, aber sie waren verdammt cool. Vibe über Inhalt? Gar kein Problem, solange die Formensprache und der Style etwas in mir auslösten. Und auch in der Schweiz brach ich noch so gerne eine Lanze für junge, mutige Artists mit neuen Ideen wie Josha Hewitt, Cobee, Naomi Lareine oder auch Nemo. Kurz: Ich war richtig, richtig hyped!

Mittlerweile scrolle ich durch Playlists wie «Modus Mio» und fühle mich gelangweilt. Uninspiriert. Oho, der nächste Newcomer, der Molly in den Dom Perignon streut! Oho, Reezy gilt auch nach gefühlt zwanzig Jahren immer noch als Artist, der kurz vor dem grossen Durchbruch steht. Oho, RAF Camora ist zurück aus dem Altersheim. In solchen Momenten werde ich selbst zu einem dieser Baggypants-Nostalgiker, die ich immer verachtete, und rege mich über den vermeintlich belanglosen Inhalt dieser Playlists auf: Wo bleiben der Hunger und der Biss in der Musik? Wo bleibt die Haltung? Wo bleibt die verdammte Message?

Dass diese Einstellung oberflächlich und unfair ist, muss mir niemand erklären. Denn natürlich wird im internationalen Rap-Game Tag für Tag mit viel Leidenschaft und Hunger wirklich gute und hochwertige Musik produziert. Aber es ist dieses Grundgefühl, dass die Kultur irgendwie auf der Stelle tritt, dass nichts mehr Revolutionäres kommt, das mich herunterzieht. Die ganz grossen Emotionen und Momente fehlen. Und mir kommt es auch so vor, als wäre ich nicht der Einzige: Irgendwie haben die Leute nicht mehr so Bock auf HipHop als auch schon. Kann es sein, dass Rap-Musik vor drei, vier Jahren ihren Peak erreicht hat?

Einen Hype, wie ihn die Dancehall-Wave-Surfer RAF Camora und Bonez MC zwischen 2016 und 2018 im Deutschrap generierten, gab es seither kaum mehr.

Eine kurze, nicht besonders raffinierte Spotify-Recherche zeigt: Gänzlich falsch liege ich nicht mit meinem Bauchgefühl. So hatte Rap-Musik 2018 eine fast schon erschreckende Dominanz auf dem Streaming-Dienst. In 7 von 12 Monaten war Drake der Artist mit den meisten monatlichen Hörern und führte auch die Liste der meistgestreamten Künstlern an. Es folgten Post Malone und XXXTentacion. Gängige Pop-Künstler wie Ed Sheeran oder Dua Lipa mussten sich mit den «Brotkrumen» begnügen. Eine Schweigeminute bitte. 2021 sieht es jedoch wieder völlig anders aus. Die Liste wird von Justin Bieber, Ed Sheeran und The Weeknd angeführt. Als ersten Rap-Act findet man Lil Nas X auf dem Platz 12. Anders sieht es in Deutschland aus: Dort besteht die Top-5-Liste des letzten Jahres nur aus Rap-Künstlern: Bonez MC, Luciano, Capital Bra, RAF Camora. Allerdings: Wirklich fresh und neu ist keiner von denen mehr.

Was ist der Sinn dieser Milchbüechli-Rechnung? Sie ist sicher keine wissenschaftliche Erhebung, aber sie zeigt, dass Rap-Musik auch schon angesagter war als auch schon. Bis etwa 2019 war der Hype krass und die Richtung war klar: Noch höher, noch schneller, noch mehr Geld. Sky is the limit. Doch was nun? Klar ist: Die Idole von damals sind vom Sockel gefallen. Drake war mehr wegen Sexismus-Vorwürfen als wegen seinem ziemlich belanglosen Album in den Schlagzeilen, Travis Scott ist seit dem schlimmen Festival-Unfall unter Beschuss und Kanye – nun ja, Kanye does Kanye things. Die Helden von damals demontieren sich selbst, was historisch betrachtet jedoch eher die Regel als die Ausnahme ist. Auch musikalisch wurde das Rad nicht neu erfunden. Die Drill-Welle war zwar ziemlich erfrischend, aber mittlerweile holen viele Producer wieder die Weezy-Beats von anno 2010 aus der Mottenkiste. Das ist eine Saison lang cool, aber Innovation sieht anders aus. Keine Diskussion: HipHop ist immer noch richtig big und die wohl einflussreichste popkulturelle Strömung der Gegenwart. Doch wird es noch zehn Jahre so bleiben?

Ich bin der Meinung, dass wir an einem Scheideweg stehen. In der schlechtesten aller Welten erlebt Rap-Musik eine kommerzielle Talfahrt und die HipHop-Kultur verwässert noch stärker. Das Schreckgespenst der «Schlagerisierung» geht um und eine Musikrichtung, die einst für Gesellschaftskritik, Selbstermächtigung und Haltung stand, verkümmert zu einem Unterhaltungsprodukt zweiter Klasse. Solche Krokodilstränen sind allerdings völlig fehl am Platz.

Ich habe viel eher den Eindruck, dass Rap-Musik derzeit eine Art kreatives Plateau erreicht hat. Man kann sich die Kurve ein bisschen wie den Kilimanjaro-Berg vorstellen: Zunächst geht es steil nach oben, dann flacht die Steigung ab. Eine ähnliche Durststrecke erlebte die Kultur um 2010 herum, als sich der Gangsterrap langsam totgelaufen hatte und der gesellschaftskritische Rucksack-Rap Schnee von gestern war. Für einige Jahre blieb es ruhig und einige Leute verloren das Interesse an Rap-Musik, bis die Trap-Welle über die Staaten und Europa fegte und das Game neu elektrisierte. Dass die neue Schule aber nicht mehr ganz frisch ist, zeigt ein Blick in die Schweiz: Die jungen Hungrigen von damals – Mimiks, Nativ, Xen, EAZ – sind die Routiniers von heute. Aber wer kommt nach ihnen? Die Vielfalt und Breite ist wohl so gross wie wahrscheinlich noch nie, aber es fehlt an charismatischen Zugpferden mit dem Willen, ein Movement zu starten und die Welt aus den Angeln zu heben. Bisweilen wirkt der Markt hierzulande übersättigt und in zahlreiche Nischen und Camps aufgesplittet. Eine Stagnation auf hohem Niveau. Doch vielleicht hilft hier eine Prise Buddhismus: Auf jeden Tod folgt eine Wiedergeburt.

Es liegt schlussendlich an uns allen – der Kreativität und dem Biss der Künstler:innen, aber auch dem Interesse und der Passion von uns Hörer:innen – dafür zu sorgen, dass der Kilimanjaro nicht zum Matterhorn wird und die Erfolgskurve nach dem Peak in einer halsbrecherischen Talfahrt bis zum schmerzhaften Aufprall nach unten stürzt. Und ja: ein bisschen Message und Haltung würden sicher auch nicht schaden.

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