Zwei Monate nach dem Cypher haben sich die Wogen in der Diskussion um diskriminierende Aussagen oder die Verwendung von problematischem Vokabular im Schweizer HipHop noch nicht geglättet. Die Veranstalter:innen des Events und die Künstler:innen, darunter auch Tommy Vercetti, sahen sich harscher Kritik ausgesetzt.
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Im folgenden Gastbeitrag äussert sich Tommy Vercetti zum ersten Mal ausführlich dazu, wie er die Debatte erlebt hat und wie er zur Kritik an seinen eigenen Aussagen steht. Wir haben uns aus zwei Gründen dafür entschieden, ihm dafür unsere Plattform zu bieten: Einerseits ist diese Diskussion nach wie vor hochrelevant und muss in unserem Medium deshalb auch gebührend repräsentiert werden. Andererseits müssen Meinungen von Künstler:innen mit einer Strahlkraft wie deren Tommy's in dieser Debatte prominent vertreten sein und auch intensiv diskutiert werden können.
«Schweizer Rap hat ein Sexismus- und Homophobie-Problem. Das hat die Cypher 2022 erneut und unmissverständlich klar gemacht. Ich bin bis heute Teil dieses Problems. Diese Einsicht verdanke ich richtigen Argumenten und Menschen, die ich enttäuscht habe. Der folgende Text soll mein Verhalten nicht rechtfertigen – lediglich nachvollziehbar machen, weshalb ich mich gegen die Kritik gesträubt habe, und weshalb ich damit falsch lag.
Vieles an der Kritik stimmte mich misstrauisch:
Warum argumentieren linke Menschen wie bürgerliche Medien, die sich für Rap nur als Sündenbock interessieren, für die Rap bis heute eine Unkultur von Proleten und Barbaren ist? Warum stossen auch Linke sich plötzlich an der «Gebührenpflicht» eines Anlasses, bei dem Kosovo-Albaner aus prekären Quartieren die Stars sind? Ein einziges Mal pro Jahr, ein halbes Tausendstel der Sendezeit?
Wie können sie, die immer von «Zusammendenken» sprechen, Fragen der Kunst, der Klasse, der Herkunft und der Bildung derart vernachlässigen? Wie kann kein linker Beitrag auch nur erwähnen, dass da auch etwas Grossartiges geschieht? Wie kann man bei all dem Bewusstsein für «Sozialisierung» nicht wenigstens erkennen, dass toxische Männlichkeit vielen Menschen eine ausweglose Überlebensstrategie scheint?
Warum entgegnet man mir, ich sei ja gebildet, sobald ich die Klassenfrage stelle? Warum unterstützt man diese reaktionäre Strategie: die, die eine Stimme haben, stets von ihrer Klasse abzutrennen? Letztendlich zu sagen: die Arbeiter:Innen-Klasse kann sich nie bilden und Gehör verschaffen – und wer gebildet ist und sich Gehör verschafft, kann nicht mehr zur Arbeiter:Innen-Klasse gehören? Wie kann man dem zustimmen?
Befremdet hat mich zudem, dass selbst Rap-Fans nicht mehr bereit (oder imstande) scheinen, Texte aufmerksam zu hören. Was hat es mit Genauigkeit zu tun, mehrere Zeilen zu ignorieren, weil man auf Signalworte achtet? Seit wann erlaubt die Mehrdeutigkeit von Kunst, sich die schlimmste Interpretation rauszupicken und die Künstler:In daran aufzuhängen?
Vieles erregte schlicht meinen Trotz:
Zuvorderst Männer mit schnellen Bekenntnissen. Leute, die immer und genau wissen, woher der Wind weht – weil es zu ihrem Beruf, Interesse und gehobenen Mittelstandsmilieu gehört, dies zu wissen. Und deren Solidarität auch mit keinerlei Konsequenz verbunden ist, weil ihr Sexismus seit Generationen subtil genug ist, weil ihr Leben zu wenig Wut beinhaltet, dafür genug Geld für eine Putzkraft.
Ich hatte das Gefühl, dass man mir etwas wegnimmt – gerade kein «Privileg», sondern eine Waffe der Nicht-Privilegierten. Das Fluchen, der Anstoss, die vulgäre Provokation als Mittel, sich Gehör zu verschaffen, und sich trotz dieses Gehörs nicht vereinnahmen zu lassen. Ich hatte das dumme, aber ehrliche Gefühl, als widerständige Stimme geschätzt zu werden, und dass man mir nun genau das wegnimmt, was mich dazu gemacht hat.
Taub blieb ich auch aus Misstrauen gegenüber Menschen, die sich als links bezeichnen, doch zunehmend individualistisch argumentieren und genaugenommen neoliberal denken. Und damit wider Willen beitragen, den Feminismus zur individuellen Moral zu schmälern, die es erlaubt, den Klassenkampf und den Bruch mit dem Kapital ein weiteres Mal auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Taub auch, weil man mir gegenüber taub blieb, all meine Argumente als Kalkül eines weissen Cis-Mannes abtat. Klar: so fühlt es sich an.
Der einfachste Grund für meinen Sexismus war aber schlicht: Sexismus. Ich hätte mich nicht nur hinterfragen müssen (das ist tatsächlich sehr schwer für einen gefestigten Mann), ich hätte mich verändern müssen – und das, weil Frauen es mir sagen.
Und so beharrte ich auf Machogehabe, Selbstzelebrierung und Sexualisierung, weil sie «zu Rap gehören», weil sie mir Treue zur Kultur schienen – auch weil sie mir Spass machen und ich gut darin bin. Ich beharrte auf einer Sprache, deren Brutalität mir angemessen schien, die weder meine Vereinnahmung noch Abtrennung von der Klasse zuliesse. Ich habe mich schlicht geweigert, zuzuhören.
Aus Misstrauen – aber auch aus Anmassung und Dummheit:
Denn all diese Punkte berühren die Kritik an mir, meinem Verhalten, am Sexismus und der Homophobie im Rap gar nicht – die Kritik bleibt 100% richtig. Die Menschen, über die ich mich aufrege, sind gar nicht dieselben, die mir über Jahre gut zuredeten und um mehr Selbstreflektion baten. Und das ändert alles.
Schon die Idioten verpflichten. Man mag mit ihnen nichts am Hut haben, aber wenn Rapper von Vergewaltigungen und Sexsklavinnen fantasieren, dann werden auch die eigenen Texte in diesem Zusammenhang gehört, verlieren so jeden Witz und jede Widerständigkeit.
Wo wir ein humorvolles Liebesabenteuer zu schildern glauben, hören Frauen* Männer, die – immer wieder und ungefragt – ihren Körper verhandeln. Die ihn als schön und damit den Männern zur Verfügung sehen, oder für hässlich und somit überflüssig erklären. Und damit ein Denken und eine Gesellschaft fördern, die genau dies zulassen – während Frauen* unsere Grosseltern pflegen, unsere Kinder betreuen, unser Essen kochen und unsere Toiletten putzen. Klassenkampf sieht tatsächlich anders aus.
Frauen*, homosexuelle und queere Menschen müssen sich ein Vokabular anhören, das ihre Lebensweise und ihr Dasein herabwürdigt, das ihrem Recht auf ein gutes Leben Steine in den Weg legt. Ein Vokabular, durch das Andere sich berechtigt fühlen, sie herabzuwürdigen und ihnen Steine in den Weg zu legen.
Dabei macht es keinen Unterschied, ob etwas so gemeint ist oder nicht, ob wir mit einem Wort auf diese Gruppen zielen oder nicht. Es macht auch keinen Unterschied, ob es im Rahmen von Battle Rap geschieht oder nicht – gehört wird es trotzdem. Es mag vielleicht lustig sein, die Betroffenen mögen sogar selbst darüber lachen, es mag zur Kultur gehören und auf eine Weise sogar widerständig sein – aber es ist schlicht nicht nötig.
Wir können unmöglich an etwas festhalten, das den Kampf und das Leben unserer Mitmenschen schwerer macht, die täglich ausgebeutet, angegriffen und diskriminiert werden – während es stets der Kern unserer Kultur war, eine Stimme zu geben, unser aller Leben schöner zu machen und gemeinsam zu kämpfen. Stattdessen schaffen wir selbst die Möglichkeit, gegen unten zu treten, machen uns die brutale Realität erträglicher, indem wir sie für andere brutaler machen.
Spätestens wenn man Kinder hat, muss man sich eingestehen, kein grosser Schriftsteller, kein weltbewegender Politiker, kein erfolgreicher Musiker mehr zu werden. Stattdessen habe ich mir vorgenommen, wenigstens ein verlässlicher Orientierungspunkt zu sein, stets auf der richtigen Seite zu stehen und dem korrekten Argument zu folgen. Darin habe ich versagt, wurde ich mir selbst untreu. Mit meinem Fokus auf den Klassenkampf habe gerade ich die verschwisterten Kämpfe auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.
Dafür möchte ich mich von Herzen entschuldigen, und meine Solidarität und tiefe Liebe für alle queeren Menschen, Homosexuellen und Frauen* aussprechen. Und ich möchte mich bei den Menschen bedanken, die trotz ihrer Enttäuschung Geduld mit mir hatten: Lou, Estelle, Nora, Paula und Beat, Marina, Ana, Franziska, Tamara, Ann, das Hatepop-Kollektiv, das Reitschule-Umfeld und viele mehr.»