Nicht selten werden in den Fehden der Rap-Grössen Grenzen überschritten. Aber wo liegen diese unausgesprochenen Grenzen? Gibt es sie überhaupt? Und falls ja, wie sind sie festzulegen?
Gerade wird der Beef zwischen den Rappern Freddie Gibbs und Benny the Butcher heiss diskutiert, der im Moment hauptsächlich auf Twitter und Instagram ausgetragen wird. Während sich Freddie auf Instagram über Bennys hohen Haaransatz und seine Schussverletzung im Fuss köstlich amüsiert, lacht dieser auf Twitter darüber, wie er ihn gemeinsam mit seiner Crew verprügelt haben soll, und teilt ausserdem sexuell explizite Bilder von Freddie’s Freundin. Diese konnte zum Glück sportlich damit umgehen und bedankte sich bei Benny für die vielen neuen Follower. Eine solche Reaktion ist natürlich nicht gewöhnlich. Weitaus dramatischer war ein solcher Leak für die Ex-Freundin von Rick Ross, deren Sex Tape von 50 Cent gegen ihren Willen veröffentlicht wurde. Der Rapper kam vor Gericht und musste der Frau eine Summe von 5 Millionen Dollar zahlen.
Mit der Partnerin des Gegners zu provozieren ist leider keine neue Erscheinung in der Welt der Disstracks. Für viele Rapper trifft es einen wunden Punkt, wenn die eigene Angebetete ins Kreuzfeuer gerät. Die epische Disstrack-Fehde zwischen JAY-Z und Nas fand musikalisch ein Ende, als die Mutter von JAY-Z eine öffentliche Entschuldigung für seine Zeilen darüber forderte, mit der Ex-Freundin von Nas geschlafen zu haben.
«Me and the boy A.I. got more in common / Than just balling and rhyming - get it? More in Carmen / I came in your Bentley backseat (Damn) / Skeeted in your Jeep (Woo) / Left condoms on your baby-seat (Woo)»
Die wohl berühmteste Line mit Fokus auf die Partnerin des Rap-Gegners stammt von 2Pac auf seinem Biggie-Disstrack «Hit ‘Em Up»:
«First off, fuck your bitch and the clique you claim / Westside when we ride come equipped with game / You claim to be a player but I fucked your wife / We bust on Bad Boy n****z fucked for life»
Der Track war die Antwort auf einen physischen Angriff auf 2Pac, hinter welchem er The Notorious B.I.G. und seinen Labelboss Puff Daddy vermutete. B.I.G. antwortete mit «Who Shot Ya?», und ein gewalttätiger Krieg zwischen der West- und der Eastside brach aus. Beide Artists kamen nicht lange später im Abstand von 6 Monaten bei Scheissereien ums Leben. Die beiden Morde bleiben bis heute ungeklärt.
Auf «Hit ‘Em Up» gedisst wurde auch die legendäre Rap Crew Mobb Deep. Besonders Prodigy wurde von Pac darauf ins Visier genommen und musste Witze über seine Sichelzellenanämie einstecken. Viele empfanden den Diss damals schon als Grenzüberschreitung. Wie wir heute wissen, war die Erberkrankung später tatsächlich die Ursache von Prodigy’s Tod. Zumindest in gewisser Hinsicht, denn er starb, nachdem er wegen Komplikationen ins Spital eingewiesen wurde und dort dann an einem verschluckten Ei erstickte.
«Hit ‘Em Up» bleibt kein Einzelfall, wenn es darum geht, sich über tödliche Krankheiten lustig zu machen. Pusha T leakte auf dem brutalen, an Drake adressierten Disstrack «The Story of Adidon» nicht nur, dass dieser heimlich ein Kind mit einer Ex-Pornodarstellerin hatte. Er belustigte sich auch über die MS-Erkrankung von Drakes gutem Freund und Producer Noah Shebib, aka 40.
«OVO 40, hunched over like he 80 – tick, tick, tick / How much time he got? That man is sick, sick, sick»
Drake ging besonders diese Line zu weit. «Es gibt verdammte Grenzen in diesem Scheiss!» meinte er im Interview mit LeBron James. Seinem Freund den Tod zu wünschen wäre nicht in Ordnung. Pusha T hingegen teilte diese Einschätzung überhaupt nicht. Es gäbe gar kein «zu weit», argumentierte er bei Drink Champs im Podcast. Dem Clipse-Rapper scheint jedes Mittel in einem Battle, seinen Gegner aus der Fassung zu bringen, recht. Im Fall von Drake hat das hervorragend funktioniert. Dieser schwenkte nach «The Story of Adidon» die weisse Fahne und wollte nichts mehr mit der Fehde zu tun haben.
Kaum etwas ist wohl respektloser, als sich über den Tod von Freund:innen oder Familie von jemandem lustig zu machen. Gerade in der sich immer wieder mit HipHop überschneidenden Gang-Kultur wird dies darum gerne praktiziert, um die Gegner, oder im Rap-Slang die «Opps», maximal zu provozieren und verletzen. Einer der wohl berühmtesten Rapper, der immer wieder mit solchen problematischen Lines auffiel, ist Gucci Mane. 2005 wurde Gucci von vier Personen aus dem Umfeld des Rappers Jeezy überfallen, während er sich gerade im Haus einer Stripperin aufhielt. Er wehrte alle vier Angreifer ab – das alles nackt – und erschoss einen von ihnen. Gucci Mane schaffte es, den Richter überzeugen, dass es sich dabei nur um Selbstverteidigung gehandelt hatte und wurde freigesprochen. Dennoch verspottete er Jeezy später, welchen er für den Raubüberfall verantwortlich machte, auf dem Track «Truth».
«I know it’s hard for you to sleep knowin’ you killed your homeboy / You left his son to be a bastard, won’t even raise your own boy»
Der Streit scheint mittlerweile mehr oder weniger geschlichtet, und Gucci zeigte auf einem diesen Sommer erschienenem Song Reue, was das Dissen von Toten angeht.
«I know my tongue is a sword / I know I should be more careful with shit that I said (shh) / I feel like I started a trend that's never gon' stop (trend) / They gon' keep dissing the dead /
None of this shit no pretend / This shit so for real, a n**** get shot in the head / Young n**** wigging on pills and going on drills / We need to stop dissing the dead»
Ob Gucci Mane nun selbst der Erfinder davon ist oder nicht: Der «Trend», den er anspricht, ist real. In Gangkriegen, in welchen manche Underground-Rapper direkt oder indirekt involviert sind, wird in der Musik gerne mit den toten Freund:innen der gegnerischen Gang provoziert. Ein besonders brutaler Fall in Jacksonville, im mit Waffen überfluteten Staat Florida, schaffte es kürzlich ins Spotlight: Auf dem viralen Disstrack «Who I Smoke» rappen drei Mitglieder der ATK-Gang (kurz für Ace’s Top Killers oder Attack) über sechs getötete Teenager aus der gegnerischen KTA-Gang (kurz für Kill Them All). Dass die jungen Artists damit Aufmerksamkeit der Behörden auf sich ziehen könnten, kam ihnen wohl nicht in den Sinn. Die Rapper Yungeen Ace von ATK und Foolio von KTA stehen an den beiden gegnerischen Fronten des wohl diabolischsten und brutalsten Gangkriegs der HipHop-Geschichte. Sich über getötete Gang-Mitglieder der gegnerischen Seite zu amüsieren, gehört bei den beiden zum Alltag. So auch auf «Who I Smoke», ein Song, welcher Vanessa Carltons «A Thousand Miles» samplet, während auf der fröhlichen Klaviermelodie über Mord und Totschlag gerappt wird. Die absurde Natur des Songs hat ihm wohl auch zu seiner Viralität verholfen. Das Video hat mittlerweile über 40 Millionen Aufrufe auf YouTube.
Foolio antwortete auf den Disstrack mit seinem eigenen viralen Song «When I See You». Im Video posiert er neben Bildern von Ace’s Bruder und seinen zwei besten Freunden. Alle drei wurden in vor Ace's Augen 2018 bei einem brutalen Driveby-Angriff erschossen, er selbst wurde von 8 Kugeln getroffen, aber überlebte. Das Wort Krieg ist an dieser Stelle wohl angemessener als Rap Beef. Der Gangkrieg in Jacksonville hat das Limit erreicht, wie geschmacklos Disstracks werden können.
Viel zu viele Gewalttaten und Tragödien folgten auf Disses in HipHop-Songs. Dabei ist das ganze eigentlich völlig widersprüchlich: Die Battle-Rap-Kultur fand ja ihren Ursprung darin, dass Menschen ihren Hass und ihre Wut in einer gewaltlosen Form abbauen konnten. Diese Idee schien leider über die Jahre verloren gegangen zu sein. Eine neue Form von Battle-Rap dient zunehmend als Katalysator für Gewalt in von Gangs geprägten Regionen. Natürlich gibt es kein Gesetzbuch für Battle Rap, welches festhält, wie weit Disses gehen können. Das könnte es auch gar nicht geben. Auch wenn nicht alle von Drake's Statements zu Pusha T's vernichtendem Disstrack gleich ernst genommen werden müssen, lohnt es sich doch, über ein paar seiner Aussagen nachzudenken. Besonders bezüglich dazu, wo für ihn die Grenzen in Rap Beefs liegen.