Wer sich in der Deutschrap-Twitter-Bubble bewegt, kam in den letzten Wochen nicht um die Videos des Accounts Clo(rona)1444 herum. In seinen viralen Videos der Reihe «Deutschrap ist fresher denn je» zeigt er pointiert und witzig auf, wie sich deutsche Rapper von ausländischen Songs «inspirieren» lassen – oder in anderen Worten, sie praktisch eins zu eins übernehmen. Der Grat zwischen seelenlosem Biting und kreativer Hommage ist oft schmal.
Das hat eine Diskussion angestossen, die tiefer schürft: Ist deutscher Rap überhaupt eine selbstständige Kunstform? Gibt es im Deutschrap Styles, Flow-Patterns, Songwriting-Elemente, die selbstständig sind?
«Eigentlich ist es paradox, Rap und HipHop in Landesgrenzen zu pressen und die nationalen Rap-Kulturen miteinander vergleichen zu wollen.»
Ob und inwiefern deutscher Rap unique ist, liegt nicht an uns zu beurteilen. Aber auch für unsere heimische Rap-Szene ist es eine Frage, über die es nachzudenken lohnt. Wie authentisch ist Schweizer Rap? Ist alles bloss Kopie oder gibt es selbstständige Elemente, die sich von den Rap-Styles anderer Länder unterscheiden? Die Antwort ist vielschichtig und berührt vor allem drei Punkte: die Frage danach, was HipHop eigentlich ist, die Frage nach den Lernprozessen im CH-Rap und, last but not least, den guten alten Kantönligeist.
«HipHop ist von seinen Wurzeln her ein weltumfassendes Movement, Nationalismus und Patriotismus haben keinen Platz darin.»
Eigentlich ist es paradox, Rap und HipHop in Landesgrenzen zu pressen und die «nationalen Rap-Kulturen» miteinander vergleichen zu wollen, denn HipHop ist in seinem Gründungsgedanken internationalistisch, globalisiert und eine inklusive Kultur, bei der alle mitmachen können. Nichts läge HipHop-Urgesteinen wie Grandmaster Flash ferner, als die Frage zu stellen, ob beispielsweise Ami-Rap cooler ist als Britischer Rap. HipHop ist von seinen Wurzeln her ein weltumfassendes Movement, Nationalismus und Patriotismus haben keinen Platz darin.
So oder so kommt man natürlich trotzdem nicht um den Fakt herum, dass sich in allen Ländern eigene HipHop-Kulturen mit einer eigenen Medienlandschaft, eigenen Künstlern und eigenen Club- und Festivalnetzwerken gebildet haben. Der wichtigste Grund dafür ist natürlich die Tatsache, dass der Grossteil des Rap-Sounds in den jeweiligen Landessprachen gemacht wird. Natürlich sind diese HipHop-Szenen eng vernetzt und natürlich sind die Vereinigten Staaten nach wie vor das globale Zentrum, an dem sich alle orientieren. Aber sei es Deutschland, Frankreich, England oder die Schweiz – überall haben sich eigenständige HipHop-Szenen gebildet, die sich zwar nicht hermetisch abschliessen, aber dennoch zu einem gewissen Mass selbstständig und – im Biologen-Jargon – autotroph sind. In diesen internationalen Netzwerken lassen sich Dynamiken des Transfers von Knowhow, Styles und Songwriting beobachten, die man in etwa wie folgt beschreiben könnte: Amerika kreiert einen neuen Style im Rap, sei es Trap, Gangsta-Rap oder Drill.
«Gerade in den letzten zehn Jahren haben sich auch immer mehr Artists direkt am amerikanischen Sound orientiert – dem Internet sei Dank.»
Mehr zu einem der einflussreichsten Rap-Phänomene der letzten Jahre: Drill
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Deutsche Künstler adaptieren diesen Sound für sich und übersetzen ihn sozusagen ins Deutsche. In der Schweiz wiederum orientiert sich nach wie vor ein grosser Teil der Rapper am deutschen Markt, der uns von den Hörgewohnheiten am nächsten ist, und adaptiert diese Styles wiederum aus dem Deutschen in den Mundartrap. Folge: die Kopie der Kopie. Gerade in den letzten zehn Jahren haben sich auch immer mehr Artists direkt am amerikanischen Sound orientiert – dem Internet sei Dank. Das ist per se nicht schlimm, denn auch eine Übersetzung ist ein kreativer Prozess, bei dem Neues entstehen kann.
«Langweilig wird es erst, wenn zum hundertsten Mal auf ausgelutschten Trap-Schablonen oder Afrotrap-Patterns herumgeritten wird oder wenn sich Künstler anhören wie ein Schweizer Kollegah oder ein Schweizer Bushido.»
Nehmen wir das Beispiel Pronto: Niemand wird bestreiten, dass Pronto stark von amerikanischen, jamaikanischen und westafrikanischen Vorbildern inspiriert ist. Weniger interessant macht es seine Interpretation seiner Inspiration keineswegs. Langweilig wird es erst, wenn zum hundertsten Mal auf ausgelutschten Trap-Schablonen oder Afrotrap-Patterns herumgeritten wird oder wenn sich Künstler anhören wie ein Schweizer Kollegah oder ein Schweizer Bushido.
Lässt sich Schweizer Rap in fünf Adjektiven treffend beschreiben? Ich denke nein – und der Grund ist der Kantönligeist, der in diesem Fall gleichermassen Fluch und Segen ist. Einerseits verhindern die innere Fragmentierung der Schweizer Rap-Szene und der mangelnde Austausch zwischen den Städten, dass sich so etwas wie ein nationaler Stil bildet, auf den sich alle einigen können. Andererseits macht gerade dieser Flickenteppich Schweizer Rap gerade so interessant und faszinierend. Auf einer Fläche, die auf der deutschen Rap-Landkarte nicht grösser wäre als das Einzugsgebiet von Frankfurt und auf der in Deutschland sich alle MCs in etwa wie Haftbefehl, Azad oder Moses Pelham anhören würden, gibt es hierzulande sehr viele unterschiedliche Sound- und Songwriting-Traditionen. Berner Rap zeigt etwa, wie man politischen Rap auch cool machen kann und bedient sich an der Chansonnier-Tradition eines Mani Matters.
Basler Rap dagegen ist viel brachialer und atmet den industriellen Swag des Dreiländerecks.
Zürcher Rap wiederum lebte lange von den Gossengeschichten eines EKRs oder eines Skors und ist heute die grösste Plattform für hungrigen Streetrap von Secondos.
Anders im Bündnerland, wo die Szene vor allem von Kiffer- und Studentenrap mit alpinem Flair dominiert wurde. Diese Vielfalt an Styles und Traditionen wiederum ist ein Reichtum, den man oft nicht wahrnimmt, weil viele Rapper zu beschäftigt sind, sich gegenseitig zurückzuhalten und schlechtzureden.
Genau in dieser Vielfalt liegt vielleicht aber auch der Funken Authentizität begraben, der Schweizer Rap im internationalen Vergleich einzigartig und eigenständig macht. CH-Rap ist zwar nur ein kleines Licht im internationalen Game, aber diese geographische Dichte von Einflüssen, Styles, Dialekten und Erzähltraditionen wird man nur an sehr wenigen anderen Orten finden. Es ist immer eine Frage der Perspektive.