«Der Wu-Tang Clan der Schweiz» titelte die Ausgabe Nummer 1 des LYRICS-Magazins im Jahr 2015. Auf dem Cover: die Chlyklass zwischen Güterwagons wie damals. Die Story rekapitulierte die ausserordentliche Bandgeschichte des Kollektivs. Sie zeigte, wie verfeindete Sprüher-Crews, Rap-Sonderlinge und Solokünstler sich zum wahrscheinlich geachtetsten Rap-Zusammenschluss der Schweiz formierten. Viel Klassen- und Pioniergeist, jugendlicher Wettbewerb und Humor, so hiess es, waren für das Untermauern der Berner Rap-Hochburg verantwortlich.
Anlass zur Story war «Wieso immer mir?»: Die Mannschaft traf sich – zehn Jahre nach dem letzten gemeinsamen Werk – zum Nachfolger-Album. Im alten Bandraum, in dem sie ihren Groove von damals suchten und wiederfanden, feilten sie an Texten und speisten diese mit der Grütze ihrer gesammelten Lebensjahre. Manchen gelang dies rascher, andere brauchten einen Schubser. Heraus kam ein an der maximalen Länge des Tonträger kratzendes, mit viel Erzählkunst und Schalk gespicktes Album. Es zeigte, wie man als Rap-Gruppe aus dem letzten Jahrtausend Musik macht, ohne verbittert, krampfhaft oder hängengeblieben zu wirken. «Wieso immer mir?» war das gelungene Comeback mitsamt Charteinstieg auf Platz eins und polierte ihren Legendenstatus auf.
«Die traurigen alten Männer», wie sie sich beim letzten Album selbstironisch inszenierten, haben noch nicht genug. An einer Retraite vor zwei Jahren, so Baldy, besprach die Klasse den Plan rund um das neue «Bümli». Eine Woche vor Release treffe ich mich darum mit Fantu, Diens und ihm auf der Grossen Schanze in Bern. Die Konstellation ergibt Sinn, denke ich mir: Der Wegbereiter und Mann für die Kommunikation Baldy, der unterschätzte Texter Fantu als PVP-Repräsentant und der sympathische Diens von der Wurzel 5. Doch das sei eher ein Zufall, erklärt mir Baldy. Dass es kein Leichtes wäre, die elf (Familien-) Männer rund um die Weihnachtszeit komplett zu versammeln, versteht sich von selbst. Dennoch bin ich ganz zufrieden: Bereits drei der elf Nasen sorgen für genügend Eigendynamik im einstündigen Gespräch. Dank Diens’ Offenheit, Baldys väterlichem Blick fürs Ganze und Fantus subtilem Humor – der je eher präsent ist, desto leiser er spricht – ergibt sich ein ehrliches und unterhaltsames Gespräch über die Gruppendynamik der Klasse, die besten Tankstellen-Snacks und heutigen Schweizer Rap.
Der Tankstellen-Burger hat's sogar aufs Cover von «Deitinge Nord» geschafft:
Ihr seid 20 Jahre im Game – kommt da dennoch eine gewisse Anspannung vor dem Release-Tag auf?
Fantu: Sicher. Vor allem auch wegen der Tour, die bevorsteht. Wenn ich daran denke, was das alles für Anstrengungen bedeutet... (Baldy und Diens grinsen)
Du denkst ans Performen und das Drumherum – weniger ans Texte auswendig lernen?
Fantu: Jetzt wo du es sagst: Das Einüben der Texte kommt ja auch noch dazu…
Diens: Ob die neuen Songs funktionieren, sehe ich als meinen grössten Nervositätsfaktor. Das und dass jeder seine Takes beherrscht. Aber du hast schon recht: Ich freue mich zwar riesig auf den 10. Januar, aber ein solcher Release-Tag hat nicht mehr ein solches Gewicht wie damals. Das hat auch mit den technischen Möglichkeiten zu tun. Heute ist jeder Song, den du aufnimmst, und jede erstellte Grafik sofort im Chat abrufbar…
Habt ihr einen Kreis an Menschen, dem ihr erste Aufnahmen und Ideen für ein Feedback zeigt?
Fantu: Nein, das bleibt in der Regel in der Klasse. Es sind ja bereits genügend oder sogar zu viele Meinungen vorhanden (der Rest grinst).
«Intern haben wir ein basisdemokratisches Konstrukt, das uns zu Entscheidungen führt.»
Wenn man eure Bandgeschichte kennt, weiss man, dass ihr nie ein harmonisch-einstimmiger Haufen gewesen seid. Nun seid ihr hier zu dritt, die Chlyklass aber besteht aus elf Mitgliedern. Sprecht ihr mehr für euch oder könnt ihr stellvertretend für alle sprechen?
Fantu: Wir sind tatsächlich alle sehr verschieden und sehen die Dinge aus anderen Blickwinkeln.
Baldy: Kollektive Entscheidungen, die gemeinsam getroffen wurden, können auch dementsprechend nach aussen getragen werden…
Fantu: …Genau, so ein bisschen Bundesrat-Konkordanz-mässig.
Baldy: Intern haben wir ein basisdemokratisches Konstrukt, das uns zu Entscheidungen führt.
Auch im Kreativ-Prozess?
Diens: Ja, und damit waren wir in der Entstehungsphase zu diesem Album ziemlich konfliktfrei unterwegs. Sich einigen, was Grafik, Songtitel etc. angeht, das ging diesmal, im Vergleich zu früher, sehr reif zu und her.
Fantu: Auf Grund der bisherigen Erfahrungen haben wir diesmal im Vorhinein ein paar Regeln bestimmt. So wurden mehrheitlich getroffene Entscheidungen auch von den Minderheiten akzeptiert.
Baldy: Trotzdem funktionieren wir mittlerweile auch dank verschiedener Verantwortungsbereiche. Wir haben beispielsweise ein Kernteam Social Media – bestehend aus Greis, Fantu und mir – sowie ein Team für die Grafik – Baze und ich – das den Rest der Crew auch mal vor vollendete Tatsachen stellen darf.
Das letzte Album «Wieso immer mir?» war die Antwort auf die Frage: «Behalten wir unseren Bandraum?» Habt ihr nun quasi gedacht: «Gut, wir bezahlen die Miete weiterhin, also machen wir noch ein 'Bümli'»?
Fantu: Nein, wir haben den Bandraum gar nicht mehr…
Baldy: Ich bin auf eine neue coole Location für mein Büro gestossen, wo es nebenan noch ein Studio hat. Das teilen wir nun auch mit anderen. Beim letzten Album war es ja tatsächlich so, dass der Kündigungstermin zur Album-Deadline wurde.
Fantu: Wir haben sogar noch versucht, Songs aufzunehmen, als es bereits die Nachmieter bezogen hatten (alle grinsen).
«Es ist schwierig, so Musik zu machen, wie wir es tun. Acht MCs… Wenn ich mir das recht überlege, geht das eigentlich nicht.»
Das letzte Album hatten Poul Prügu und du, Baldy, angerissen. Brauchte es diesmal ähnliche Motivationsarbeit?
Diens: Was das letzte Album angeht, muss man unterscheiden: Motivations- und Hintergrundarbeit wurde klar von Poul und Baldy geleistet. Musikalisch-inhaltlich waren es vor allem Baze und Fantu, die das Ding ins Rollen brachten. Bei «Wieso immer mir?» «jätete» Bäsu (Baze) vor seinem mehrmonatigen Aufenthalt in Südafrika noch schnell sieben Parts rein…
Fantu: …Und weil die so gut waren, baute man darauf auf. Für das aktuelle Album bildeten die Instrumentals von Link und Clumb das Fundament.
Diens: Schliesslich war es auch auf mehreren Schultern verteilt. Im Vergleich zu damals war es diesmal der homogenere Prozess. Diese klare Struktur aus dem Schaffensprozess von «Wieso immer mir?» mit Songcaptains, bei denen jeder für einen beizusteuernden Part anfragen musste, verwässerte sich – zum Glück!
Baldy: Wir hatten es zwar so fixfertig in unserer Retraite vor zwei Jahren besprochen und erneut Songchefs bestimmt, aber das erledigte sich dann wie von selbst…
Diens: …nachdem eineinhalb Jahre nichts geschehen war und Herr Minder (Baldy) meinte: «Itz müesster vilich mau!», hörten das natürlich nicht alle gleich gerne. Mich zum Beispiel hemmt der Druck von mehreren Seiten eher. Trotzdem braucht es diese Deadlines bei uns irgendwie. Es ist tatsächlich so, wie es Krust vor zwanzig Jahren schon in seiner Zeile «Untr Druck isch d Crew in Form» erklärte.
Baldy: Wobei es diesmal sogar zwei Anläufe brauchte. Ich hatte bereits früher Druck aufgebaut. Denn wir wollten ursprünglich schon im 2019 mit diesem Album raus und ich hatte bereits erste Konzerte dafür gebucht. Letztlich mussten wir die Konzerte absagen oder verschieben, weil wir schlicht noch nirgends waren.
Fantu: Es ist schwierig, so Musik zu machen, wie wir es tun. (leise) Acht MCs… Wenn ich mir das recht überlege, geht das eigentlich nicht.
Baldy: Es ist in der Tat ein herausforderndes Konstrukt. Vor allem ist eine gewisse, altersbedingte Sturheit dazugekommen, die ich bei mir aber auch bei den anderen beobachte.
Diens: Wir wissen genau, auf was wir weniger Lust und für was wir weniger Zeit haben. Das macht es insbesondere für Baldy schwierig, der uns beispielsweise für Interview-Termine aufbieten muss (grinst).
Bei der Chlyklass und ihren Teilfraktionen war das Spiel mit der Aussenwahrnehmung stets ein Teil der Kunst. Zuletzt war das bei «Wieso immer mir?» der Fall, bei dem ihr euer Comeback als Männer von Gestern selbst auf die Schippe nahmt. Was galt es diesmal zu berücksichtigen?
Fantu: Wir waren eigentlich immer schon selbstironisch. Das macht uns auch ein bisschen aus.
Baldy: Ein bedeutender Unterschied war wohl unsere grösste Erkenntnis der letzten Album-Tour: Die neuen Tracks funktionierten live nicht extrem gut und waren daher schwer ins Set einzubauen.
Diens: All die Hörspiel-Artigen Songs, wie den «Lifetime Award», «Tatort-Bern 1-3» und «Coustou», mussten wir wohl oder übel aus dem Programm kicken. Darauf wollten wir bei «Deitingen Nord» achten. Lieber weniger Songs, dafür solche, die wir live performen können und wollen.
Fantu: Diese etwas lockerere Herangehensweise führte schon auch zu Lines, die wir so auf dem letzten Album bewusst nicht geäussert hätten.
Diens: Einfach locker, easy: Wir sagten zu Beginn, dass wir einfach Musik machen und dabei Spass haben wollen. Was dabei herausschaute, war sekundär.
Ihr habt Schweizer Rap kantonsübergreifend geprägt und eine ganze Generation begleitet. Viele der Kommentare unter euren Videos gleichen einem Schwelgen in der guten alten Zeit. Wie wohl fühlt ihr euch in der heutigen Gralshüter-Rolle?
Fantu: Ich bin nicht so der Nostalgie-Typ. Dieses «Weisst du noch damals» ist nicht meine Art. Klar gibt es lustige Geschichten. Aber ich möchte mich nicht ausschliesslich auf die Vergangenheit fixieren. So denke ich auch privat, unabhängig von Rap. Ebenso ist es mit der Vorstellung, heute immer noch ausschliesslich mit Songs vom ersten Album zu touren und nur Takes zu bringen, die ich als Zwanzigjähriger geschrieben habe. Das fände ich ein bisschen traurig… Aber so ist es ja nicht.
(zustimmendes Bejahen)
«Wir verstanden nicht, wieso die mit Waffen rumfuchteln mussten. Schliesslich waren wir HipHopper doch alle Pazifisten.»
Damals hattet ihr Rap, wie man ihn aus Übersee kannte, auch nicht besonders ernst genommen…
Diens: Wir hatten schon unsere Zeilen über Wu-Tang zum Beispiel. Wir verstanden nicht, wieso die mit Waffen rumfuchteln mussten. Uns fehlte damals das Verständnis für Songinhalte dieser Art.
Fantu: Wir haben jeweils schon gerne ironisch über «Pischere» und so geredet… Auf jeden Fall haben wir aber alle von Anfang an gewusst, dass wir solche Themen nicht glaubwürdig rüberbringen könnten. Geil fanden wir es natürlich trotzdem. Wir nahmen den Rap aus Übersee durchaus sehr ernst.
Diens: Uns hätte man wohl vermöbelt, hätten wir in den 90ern so auf Strasse gemacht, wie es heute auch in der Schweiz gang und gäbe ist. Was nicht heisst, dass es für solche Musik keinen Platz hat. Damit komme ich bestens zurecht.
«Unsere letzte Tour bescherte uns viele schöne Momente. Und zwar weil wir menschlich näher zusammen gerückt und Freundschaften entstanden sind.»
Trotz eurer Nostalgie-Ablehnung: Was war euer schönster Chlyklass-Moment?
Baldy: (seufzt) Jetzt hast du so gute Fragen gestellt und jetzt kommst du mit so einer (grinst)… Nun ja, das ist schwierig zu beantworten…
Fantu: Als Baldy auf einer mehrtägigen Tour einen Nachmittag im Alpamare miteingeplant hatte. Das war schon sehr schön. Aber es ist auch nicht wie beim Sport, wo du bestimmte Titel als Meilensteine aufzählen könntest…
Wobei ihr ja auch schon Titel gewonnen habt…
Fantu: Den ersten Platz in den Charts?
Diens: Natürlich den Lifetime Award! (alle lachen) Das ist ja der Punkt. Es gibt so viele Momente. Von daher stimmt diese Floskel schon, dass man es schlicht nicht auf einen Moment herunterbrechen kann. Wobei ich persönlich finde, dass uns unsere letzte Tour viele schöne Momente bescherte. Und zwar weil wir menschlich näher zusammen gerückt und Freundschaften entstanden sind. Davor war diese W5-PVP-Trennung noch immer leicht spürbar.
Den Song «Nid üses Revier» interpretiere ich als Mahnfinger an den Menschen, der zu viel in die Natur eingreift. Wie ist er inhaltlich entstanden?
Fantu: Nein, es geht einfach um Hunde. Da waren Greis und ich im Studio. Er erzählte von einem inneren Bild: einem rennenden Hund. In meinem Take geht es um einen Familienvater, der sein Freiheitsbedürfnis in einen Hund projiziert, ihn losschickt und davon ausgeht, dass dieser nun wie ein Wolf in der wilden Natur lebt. Bei Greis geht es einfach um einen Hund, der in Zeitlupe läuft und plötzlich ausgesetzt wird (Der Rest schmunzelt). Der Hund von Baze haut ab. Der Refrain geht dann vielleicht eher in die Richtung, wie du es interpretierst.
Welches ist euer persönlicher Lieblingstrack?
Fantu: «Neui Trainerhose» mag ich sehr gerne. Typen die in Trainerhosen rumhängen, Zigis rauchen und Gala lesen, Amateurfussball – das passt gut zu uns.
Diens: Der gehört auch zu meinen Favourites. Weil ich ihn eh schon mochte und seit die letzten Aufnahmen dafür fertig waren, so viel in Sachen Arrangement der Produzenten passiert ist. Der Track wurde in allen Belangen nur noch spannender. «Nid üses Revier» finde ich einen sehr kompletten Song und «Mis Schiud» gefällt mir auch gut.
Fantu: «Deitinge Nord» ist auch einer meiner Lieblingstracks.
Diens: Bei dem Song bin ich sehr gespannt darauf, wie er live funktionieren wird. Denn wir wollen ihn unbedingt bringen.
Fantu: Greis muss seinen Take schon live bringen...
Apropos: Gibt’s da eine Story zu diesem ganz speziellen Greis Part?
Baldy: Ja, das war witzig, weil der Track eigentlich schon fertig war und Greis anfragte, ob er nicht auch noch aufspringen könne – wie das noch oft der Fall ist bei uns. Ich hab dann ein bisschen gemotzt und darauf hingewiesen, dass ja nicht jeder bei jedem Track mitmischen muss. Als der Part dann kam, war aber klar, dass man den Song nicht besser hätte abrunden können. Ich weiss nicht, ob wir den Track als erste Single gedroppt hätten, wenn Greis‘ Part nicht gewesen wäre.
Diens: Ich meine mich zu erinnern, dass ein Teil der Bassline dem Original (Notorious BIG – «Juicy») ähnelt… Das war für Greg wohl Anlass genug, so eine Hommage auszupacken.
Fantu: Textlich berichtet da jeder über seinen Lieblingssnack dieser Tankstelle. Greis ist wohl der grösste Kenner unter uns, was Tankstellen-Snacks angeht.
Ist er der Trockenfleisch-Vernarrte?
Fantu: Nein das ist Link. Er ist unser Beef-Jerky-Spezialist.
Diens: Greis ist unser «Kulinariker» schlechthin. Wenn wir auf einem Festival spielen, geht er erst nach Hause, wenn er die Food-Meile einmal ganz abgelaufen ist (alle grinsen). Alles, was ihn auch nur halbwegs anspricht, muss er einmal probiert haben.
«Ich habe es vielleicht einmal erlebt, dass wir dort nicht anhielten – und das wurde dem Fahrer so nachgetragen, dass er danach nie wieder fuhr.»
Und nach dem gelungenen Song «Deitingen Nord» kam euch die Idee, das Album so zu nennen…
Fantu: Umgekehrt!
Baldy: Wir hatten den Albumtitel bereits und dachten, da müsse vielleicht auch noch ein Stück dazu kommen (grinst). Es war der letzte Song, der fürs Album entstanden ist.
Der Albumtitel fusst auf eurer Bandtradition bei Tourneen…
Diens: Genau. Wir haben mittlerweile hunderte Shows östlich von Bern gespielt und ich habe es vielleicht einmal erlebt, dass wir dort nicht anhielten – und das wurde dem Fahrer so nachgetragen, dass er danach nie wieder fuhr (grinst).
Baldy: Haben wir nicht sogar einmal DJ Skoob dort vergessen?
Diens: Stimmt!
Fantu: Mittlerweile ist es ja auch so, dass wir da unsere Haushaltseinkäufe tätigen und so ein bisschen unser schlechtes Gewissen besänftigen. So: «Hey ich habe noch frisches Brot zum Aufbacken mitgebracht».
Baldy: Ein «Schoggihärzli» oder so! (lacht)
Nach 20 Jahren im Geschäft: Wie geht es dem Schweizer Rap heute?
Diens: Sehr gut würde ich meinen. Spotify ist halt so ein Punkt…
Baldy: Die Szene ist so gross wie noch nie. Unterdessen ist Rap auch salonfähig geworden. Als wir 2006 «Für Di» ins Radio bringen wollten, stiessen wir auf Ablehnung, weil es von einer Rap-Gruppe kam – und das obwohl es klar eine radiotaugliche Pop-Nummer war. Heutzutage wäre das wohl einfacher.
Fantu: Als wir anfingen, gab es noch nicht mal einen Musiksender. Der Erste kam dann erst mit VIVA-Swizz. Das war dann unser Medium…
Baldy: Mit dem Trap hat es eine Art Cut gegeben. Die meisten der älteren Generationen können nicht so viel mit den Jungen anfangen und umgekehrt. Es hat sich auf jeden Fall stark weiterentwickelt. Und was wir damals schon sagten, «Crews schiesse wie Pilze usm Bode», hat sich nun exponentiell gesteigert. Es gibt so viele Künstler, die ich gar nicht mehr kenne. Wenn ich da bei euch schaue, wer die meisten Spotify- oder YouTube-Klicks vorweisen kann, lese ich manche Namen zum ersten Mal.
«Wobei es schon auch diesen Moment gab, an dem wir auf die Dreissig zugingen, das Publikum aber noch mehrheitlich minderjährig war. Da fragte ich mich immer wieder, was zum Teufel ich da eigentlich tue.»
Ihr habt eine treue Fanbase, die unter anderem die Vinylpressungen für das letzte und das aktuelle Album via wemakeit.ch mitfinanzierte. Ich habe nachgeschaut: Der durchschnittliche Fan gab dort über 90.- für Musik und Goodies aus. Was löst das bei euch aus, wenn ihr das so hört?
Fantu: Ich finde es schon beeindruckend. Ich bin eher ein Zweifler und habe mir auch schon gedacht, dass unser Rap doch keine Sau mehr interessiert. Auch bei Konzerten bin ich jeweils ein bisschen überrascht. Einerseits dass da so viele Menschen stehen und andererseits dass die auch noch so Freude an der Show haben – das ist schon berührend.
Diens: Zur wemakeit-Geschichte muss man vielleicht vorweg sagen, dass ich mich dem gegenüber zunächst versperrt habe. Aber als mir klar wurde, dass wir das Ganze so kommunizierten, dass wir so oder so eine Vinylausgabe pressen würden, kam ich damit zurecht. Aber du hast schon Recht: Unsere treue Fangemeinde hat uns beim letzten Album eine ausverkaufte Tour beschert und das war bestimmt nicht unbedeutend dafür, dass wir nun mit einem neuen am Start sind.
Baldy: Beim zweiten Projekt waren es oft die gleichen Leute wie beim ersten Projekt. Die haben eine Riesenfreude, dass sie sich auf einer Platte verewigen können. Dass sie ein Teil von unserer Sache sein können, war auch meine Intention. Natürlich sind diese Leute auch keine 18 mehr – die wachsen mit uns mit. Früher waren es noch Teenies und wir waren vielleicht sieben Jahre älter. Heute ist das Publikum, zu unserer Freude, sehr durchmischt. Da sind zum Teil sogar die Kids von unseren älteren Fans mit dabei.
Diens: Wobei es schon auch diesen Moment gab, an dem wir so auf die Dreissig zugingen, das Publikum aber noch mehrheitlich minderjährig war – so nahm ich es zumindest wahr. Da fragte ich mich immer wieder, was zum Teufel ich da eigentlich tue. Das ist zum Glück nicht mehr der Fall.
«Ich will generell nicht, dass jemand von mir Fan ist. Das zeugt von einer Verantwortung, die ich lieber nicht übernehmen möchte.»
Wie geht ihr mit Fans im Allgemeinen um?
Diens: Mir ist es schnell unangenehm, wenn mich jemand erkennt oder um ein Foto fragt – obwohl ich selbst auch Fan von Verschiedenem bin. Klar mache ich es dann gerne, um dieser Person eine Freude zu bereiten. Ich bin aber keine Person, die daraus etwas ziehen kann – geschweige denn seinen Selbstwert darauf aufbaut. Ich will generell nicht, dass jemand von mir Fan ist. Das zeugt von einer Verantwortung, die ich lieber nicht übernehmen möchte. Scheint, als hätte ich generell Mühe mit dem «Fan»-Begriff.
Siehst du das ähnlich Fantu?
Fantu: Ich bin jetzt auch nicht gerade der Typ, der sehr gerne im Zentrum steht und Bäder in der Masse braucht, um Energie zu tanken…
« Einmal hat mich ein Konzertbesucher vor der Heimfahrt ins Auto steigen sehen. Er hat dann gemeint, mein Auto sei dem eines Rappers unwürdig. Diesen Fan fand ich nicht so cool wie die anderen Fans.»
Gibt‘s solche in der Chlyklass?
Fantu: Bestimmt gibt es Extrovertiertere als mich. Vielleicht springen sie nicht gerade in die Crowd, aber es gelingt ihnen mühelos, ein Publikum zu unterhalten und immer einen passenden Spruch auf Lager zu haben.
Diens: Direkt nach der Show kostet mich der Gang zum Merch-Stand enorme Überwindung. In der Regel ist es eine Tortur. Daraus haben wir schon auch unsere Schlüsse gezogen und wechseln uns mittlerweile ab. Es hilft mir, jeweils zu wissen, dass ich eingeteilt bin und keine andere Wahl habe.
Fantu: Wenn ich das so sagen darf: Ich mache es nicht ungern – das Reden mit «Fans». Auf die immer wiederkehrenden Aussagen wie «Ihr seid die Helden meiner Jugend!», weiss ich halt einfach keine schlaue Antwort. Einmal hat mich ein Konzertbesucher vor der Heimfahrt ins Auto steigen sehen. Er hat dann gemeint, mein Auto sei dem eines Rappers unwürdig. Diesen Fan fand ich nicht so cool wie die anderen Fans.
«Bei den Rockstar-Oldies wird ihr Altern sehr gefeiert: Rolling-Stones-Fans haben eine Riesenfreude daran, dass sie ihre Legenden noch auf der Bühne sehen können. Wieso sollte das dem Rap anders ergehen?»
Wie lange gibt es euch eigentlich noch?
(Gelächter)
Diens: Also bestimmt noch diese Tour! (grinst) Nein, ich glaube, wir haben noch nie ernsthaft etwas in der Richtung beredet. Auch habe ich nie von jemandem gehört, dass dieses Album für ihn sein letztes sein wird. Es steht also noch völlig in den Sternen.
Fantu: Rein von den Konstellationen her haben wir ja x Möglichkeiten… Vielleicht haben ja auch mal nur vier von uns Bock, einen Song zu machen oder es gibt wieder ein Album. Das Altern an sich hindert ja niemanden daran, hin und wieder Musik zu machen. Vielleicht ist die Vorstellung beim Rap einfach noch zu ungewohnt, weil es wenige aktive Rapper gibt, die schon fünfzig Jahre alt sind, und sich die Leute nach wie vor vorstellen, Rapper seien Jugendliche mit verkehrtherum getragenen «Tschäpple», die so «Pischere-Musig» machen.
Baldy: Bei den Rockstar-Oldies wird ihr Altern weniger stark thematisiert: Man ist beeindruckt, dass die Rolling Stones in diesem Alter noch auf der Bühne stehen. Das freut natürlich ihre Fans, die ja selbst mit ihnen alt wurden. Die haben eine Riesenfreude, dass sie ihre Legenden noch hin und wieder auf der Bühne sehen können. Wieso sollte das dem Rap anders ergehen?
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