King Krule gehört einer jungen Generation von Musikern an, die ein alteingesessenes Genre momentan neu interpretieren. Die Durchmischung von Elementen aus den verschiedensten Musikrichtungen, von Jazz bis zu HipHop, hat King Krule eine völlig eigene Nische innerhalb des Indie-Genres eröffnet und der Brite erntet Lob von Grössen wie Kanye West, Earl Sweatshirt oder Mac Miller. King Krule ist der Inbegriff eines Lieblingsmusikers deiner Lieblingsmusiker. So ist es auch bei COBEE der Fall. Es ist nicht so, als hätte es keine Alternativen gegeben. Mac Millers «Faces» oder Frank Oceans «blonde» oder «endless» hätten mehr als nur Mitspracherecht gehabt, wenn es um ein Lieblingsalbum geht, aber «The Ooz» wird sich, so COBEE, immer durchsetzen. Es ist die Art Musik, die er seinen Enkeln zeigen wird. Und es ist nicht nur ein Lieblingsalbum, es ist auch Ansporn, Indie auf Schweizerdeutsch zu machen, Pionierarbeit zu leisten in einem musikalischen Feld, das in der Schweiz bisher ignoriert wurde.
Eine Einführung zu King Krule: 2010 macht Archy Marshall das erste Mal auf sich aufmerksam. Die Single «Out Getting Ribs» erscheint unter dem Pseudonym Zoo Kid und begeistert eine junge up-and-coming Indie-Szene. Aber King Krule wird nicht das Genre Indie neu definieren. Über die nächsten sieben Jahre erscheinen unter verschiedenen Pseudonymen diverse Alben, die sich nirgends wirklich einordnen lassen, gleichzeitig aber immer auf völlig eigene Art nach Archy Marshall klingen und ihn auf jedem Projekt neu definieren. Im Zentrum seiner Diskographie stehen drei Studioalben. Das raue, kratzige, von Hall durchzogene Debütalbum «6 Feet Beneath the Moon», der minimalistische Techno-UK-Garage-Indie-Verschnitt «A New Place 2 Drown» als Archy Marshall und vor zwei Jahren schliesslich das komplexe, mit Jazz-Elementen gespickte «The Ooz». King Krule ist nicht mehr die Nachwuchshoffnung der Indie-Szene, sondern ein gestandener Musiker, der sich mithilfe verschiedener Pseudonyme mit jeweils eigenem Soundbild seine eigene Nische geschaffen hat. Seit «The Ooz» war es wieder völlig ruhig um King Krule, bis er vor zwei Wochen ein Lebenszeichen in Form von neuen Songs und einer Tour gegeben hat.
Wie kommst du auf King Krule?
COBEE: Eigentlich über Mac Miller. Mac hatte in einem Video, in dem er einen Song mit der Band The Internet (Anm.: The Internets Syd kennt man beispielsweise als Teil des Odd-Future-Kollektivs) performt, ein King-Krule-Shirt an. Und ich habe nebenbei die Kommentarspalte gelesen und King Krule war einigen ein Begriff. Dann habe ich reingehört. So bin ich eigentlich auf diese Musik gestossen – beziehungsweise auf das Debütalbum «6 Feet Beneath the Moon».
Von Mac Miller, einem festen Bestandteil der US-HipHop-Szene zum UK-based Indie-Newcomer ist aber dann doch ein ziemlicher Schritt, musikalisch gesehen. Wie hittet King Krule wenn man von Mac Miller kommt?
So weit entfernt voneinander sind sie meiner Meinung nicht. Mac hat auch gerne experimentelle Richtungen eingeschlagen und der Mood ist doch ab und zu ähnlich. Aber ich habe auch damals schon Indie gehört, deshalb war es kein neues Genre, das sich eröffnet hat. King Krule sticht einfach innerhalb von allem hinaus. Er schafft Stimmung wie kein anderer. Alle King-Krule-Projekte haben mich konstant begleitet über die letzten Jahre hinweg und sind sehr wichtig geworden.
Das ist Kunst für mich. Du kannst ein Album herausbringen, zwei Jahre keine Promo machen, keine Tours und trotzdem sitzen zwei Dudes an einem Tisch und sprechen über dieses Album.
Wieso ist «The Ooz», das jüngste King Krule-Album, dann dein Lieblingsalbum?
Ich finde «The Ooz» einen unglaublich dichten, sehr gut durchgedachten body of work. Es hat mich nie losgelassen und auch heute bin ich noch immer fasziniert von den vielen verschiedenen Facetten. Es bedient fast alle Register für Moods, in denen das Album gespielt werden kann. Das Album zieht den Hörer durch die völlig eigene Atmosphäre in seinen Bann und liefert aber gleichzeitig einen Track für fast jede Emotion. Sogar wenn du hyped bist, funktionieren Tracks wie «Dum Surfer». Dazu kommt, dass ich es schlicht und ergreifend extrem oft gehört habe, seit es vor zwei Jahren herausgekommen ist. Und ich skippe nie einen Track auf «The Ooz».
Was hat ein Rap-Fan von diesem Album? Oder wie geht man als Rap-Fan an dieses Album heran, wenn man keine Ahnung hat, wer oder was King Krule ist?
Es ist definitiv etwas Anderes als das, was man sich gewöhnt sein dürfte. Deshalb ist es wichtig, unvoreingenommen zu sein. Du musst offen sein für eine Experience, die du so noch nicht kennst. Wenn man das nicht ist, gefällt dieses Album wahrscheinlich auch nicht.
Wieso hatte es so einen starken Impact auf dich?
Es war etwas Neues. Ich habe King Krule entdeckt und hatte noch nie zuvor etwas wirklich Vergleichbares gehört. Und «The Ooz» hat noch einen draufgesetzt und ihn selbst noch einmal in eine völlig neue Sphäre gehoben. Es gibt extrem viele Einflüsse auf diesem Album, die mir gefallen und er hat sie extrem passend arrangiert. Und was dazukommt, ist, dass das Album mit einer Trennung einhergegangen ist und sozusagen zum Soundtrack dazu geworden ist.
...es ist auch guter Break-Up-Sound.
Definitiv (lacht).
Was gibt dir King Krule, was andere nicht können?
Ich glaube, Emotionen. Oder zumindest nicht in einer so rohen Form, wie es King Krule macht. Es ist extrem authentisch und ungefiltert, was ich sehr wertschätze. Aber es geht auch um die prinzipielle Herangehensweise. King Krule ist ein Künstler, der ein Album droppt, für zwei Jahre von der Bildfläche verschwindet und dann plötzlich wieder mit etwas völlig Neuem auftaucht. Das ist Kunst für mich. Du kannst ein Album herausbringen, zwei Jahre keine Promo machen, keine Tours und trotzdem sitzen zwei Dudes an einem Tisch und sprechen über dieses Album. Die Musik spricht für sich selbst.
Was grenzt «The Ooz» von anderen King-Krule-Projekten ab? Wieso nicht das Debütalbum oder der Underground-Ausflug als Archy Marshall?
Ich finde, «The Ooz» ist irgendwie komplett und das beste Gesamtprodukt, wobei hier wahrscheinlich auch einige widersprechen würden. Der Sound hat sich über die Jahre nur schon mixtechnisch ziemlich verändert. Die Stimme beispielsweise packt mich sehr. Es klingt, als würde er direkt in dein Ohr sprechen. Oder auch die unüblichen Chords, die über das ganze Album verteilt sind, bringen etwas an den Tisch, was nur ganz wenige Alben machen.
Aus deiner nerdy Perspektive als jemand, der dieses Album rauf- und runtergehört hat: Gibt es ein ganz spezifisches Element, das irgendwie heraussticht?
Die zwei Skits auf dem Album finde ich sehr schön. Und der Moment auf «Sublunary», in dem das Sax einsetzt, ist auch ein Highlight. King Krule hat einmal in einem Interview gesagt, dass er diesen Song geschrieben hat, um dazu spazieren zu gehen. Der Beatswitch auf «Half Man Half Shark» ist auch erwähnenswert. Aber alles in allem ist wohl das Saxofon mein Lieblingselement auf diesem Album. Das ganze Projekt ist zuerst auch ohne das Saxofon, das schlussendlich auf fast jedem Track zu hören ist, aufgenommen worden, weil King Krule den Sax-Spieler noch gar nicht kannte. Und dann hat er für jeden Track noch etwas eingespielt und das Album einfach schnell weiter aufgewertet.
Das Album ist in seiner Stimmung schlussendlich doch irgendwie düster und beschreibt inhaltlich auch sehr bildhaft und durchgedacht Probleme. Wie erfährt man diese Melancholie auf diesem Album?
Er zeichnet einen Character von sich selbst auf diesem Album. Er wirkt lost, isoliert und verletzlich im Umfeld, in dem er aufgewachsen ist. Es zeichnet ein sehr intimes Bild von seinem Bermondsey, seiner Stadt, seinem «Biscuit Town». Ich stelle mir, wenn ich diesen Song höre, eine leere Stadt vor, mit ihm als einzigen Menschen, der durch die Strassen läuft. Und dem gegenübergestellt sind die Songs, in denen es um Liebe und Verlust geht. Das trifft eine Stelle in meinem Herzen (lacht). Das meine ich auch mit Authentizität. Alles wirkt real und ehrlich und so transportiert es eine sehr starke Stimmung durch die gesamte Stunde, die das Album dauert.
King Krule gehört für mich einem Typus von Musikern an, die etwas verbindet, was schwierig zu beschreiben ist. Komplexität auf musikalischer Ebene spielt eine Rolle – beispielsweise in den Chords, die zuerst klingen, als würden sie nicht zusammenpassen, es aber schlussendlich doch tun. Atmosphäre spielt eine Rolle und damit verbunden eine gewisse Intimität in Vocals und Delivery etc. Vielleicht kann man die Musik als anstrengend bezeichnen. Eines haben diese Künstler wie King Krule, oder auch Thundercat, um ein Beispiel zu nennen, aber gemeinsam – sie sind unter Musikern und Musikkritikern extrem beliebt, im Mainstream aber nicht bekannt. Was ist der Appeal von «anstrengender» Musik?
Für mich als Musiker sicherlich, mich weiterzubilden. Wenn ich immer nur Pop hören würde, der immer dieselben 4-Bar-Loops spielt, dann bringt mir das künstlerisch nicht sehr viel. Es ist primär eine Möglichkeit, Musik aus anderen Augen anzusehen und sie so wahrzunehmen, wie man es sonst nicht würde. Dieses Album ist so eindrücklich für mich, weil es extrem ausgefuchst ist. Nur schon aus musiktheoretischer Sicht könnte man wohl extrem viel analysieren und mir gibt das als Künstler völlig neue Perspektiven.
Als ich zum ersten Mal mit der Band im Studio war und gesehen habe, wie meine Musik mit Band klingen kann, habe ich gedacht: Ich brauche diese drei Dudes und wir können auf ein völlig neues Level steigen. Es war augenöffnend.
Ich glaube «The Ooz» kann gerade weil es sehr genau strukturiert und durchgedacht ist, auch auf Widerstand stossen. Es gibt sicher einige Leute, die diesem Album vorwerfen würden, unnötig komplex zu sein. Wo ist die Grenze zwischen virtuoser Komplexität und elitärem Getue?
Ich glaube, was es von elitärem Getue abhebt, ist, dass es in all seiner Komplexität dennoch extrem nice klingt. Die Sounds sind vielleicht ungewohnt, aber trotzdem ist die Harmonie sehr wichtig für dieses Album. Das Arrangement aller Klänge ist definitiv komplex, aber es geht auf. Der Unterschied ist einfach, dass es nicht so aufgeht, wie es die meisten Songs oder Projekte im Mainstream tun. Das macht es auch unverwechselbar. Gute Musik muss nicht komplex sein. Es ist nicht die Komplexität, die dieses Album zu einem starken Projekt macht, sondern die einzigartige Atmosphäre.
Wenn alle Umstände dafür gegeben wären und du alle Mittel dazu hättest, würdest du diese Art von Musik machen?
Ja, definitiv.
Was hält dich davon ab?
Ich arbeite daran. Die COBEE & Friends Cyberpunk Act I Live Session, die letzte Woche herausgekommen ist, ist der erste Schritt in diese Richtung. Wir haben mein letztes Projekt mit einer Band, bestehend aus mir und drei Jazz-Musikern, die ich kennengelernt habe, neu eingespielt und lustigerweise ist es inspiriert von King Krule. Es gibt ein Video von King Krule, das «Live On the Moon» heisst, eine dreissigminütige Live Version der meisten Tracks von «The Ooz» – ein Video, das ich mir immer und immer wieder angeschaut habe über die letzten Jahre. Und was wir jetzt gemacht haben, ist eigentlich eine Hommage an diese Live Performance. Ich wollte schon immer Musik mit einer Band machen, und King Krule hat mir eine Idee gegeben, wie ich das mit meiner Musik umsetzen könnte.
An was denkst du, wenn der erste Song des Albums zu spielen beginnt?
Oh shit, here we go again. In Form des GTA-Memes.
Wir haben viel über Inspiration und Einflüsse gesprochen. Wie versuchst du die Inspiration, die dir King Krule gibt, umzusetzen?
Primär versuche ich bis heute, das Album vollständig zu verstehen. Ich versuche herauszufinden, wie er gewisse Dinge gemacht hat auf technischer Ebene. Beispielsweise, wie bestimmte Elemente aufgenommen sind, was für Chords gespielt werden etc. Und auch heute noch, wenn ich das Album konzentriert durchhöre, fallen mir weitere Details auf.
Was hast du gelernt?
Den Frieden im Alleinsein zu finden. Um das geht es King Krule, oder zumindest interpretiere ich das Album so...und ausserdem, dass Leute, die ein Instrument gemeistert haben, unglaublich beeindruckend sind. Heute geht es oft nicht mehr um Skills mit einem Instrument, sondern um digitale Musikproduktion, es geht um Sampling und Arrangement. Als ich zum ersten Mal mit der Band im Studio war und gesehen habe, wie meine Musik mit Band klingen kann, habe ich gedacht: Ich brauche diese drei Dudes und wir können auf ein völlig neues Level steigen. Es war augenöffnend.
PS: Für alle, die nichts mit diesem Soundbild anfangen konnten – vielleicht ist dieses Pseudonym von Archy Marshall eher etwas für die Die-Hard-HipHop-Fans: