Falco fühlte sich bereits als Kind zum Musiker berufen. Während seine Jugendfreunde zur Uni gingen oder Handwerker wurden, entschied er sich für das ungewisse «Künstlerdasein». Mit 21 Jahren feierte er erste musikalische Erfolge als Bassist in einer stark links-libertär positionierten Band im Wiener Untergrund. Hans Hölzl, wie Falco mit Geburtsnamen hiess, war unglaublich charismatisch und wortgewandt. Mit dem Ziel, über seine Rolle als Bassist hinauszuwachsen, entschied er sich für einen radikalen äusserlichen Wandel. Hippie-Kittel, -Stirnband und -Gläser tauschte er durch massgeschneiderte Anzüge und geschniegelte Uniformen aus. Das lockige Haar schmierte er sich flach auf die Schädeldecke. Dank seinem neuartigen Auftreten und seinem selbstverfassten Lied «Ganz Wien», mit welchem er die Drogenszene der Donaumetropole parodierte, machte er sich landesweit einen Namen. Mit «Der Kommissar» gelang ihm schliesslich der internationale Durchbruch.
Als deutschsprachiger Song, obendrein in wienerischem Dialekt geschrieben, stieg er weltweit in die Charts ein und verkaufte sich millionenfach. «Der Kommissar» gilt als der erste kommerziell erfolgreiche Rap-Song eines Weissen. Mit «Rock Me Amadeus» landete Falco seinen grössten Erfolg: Als erster deutschsprachiger Titel gelangte er für drei Wochen auf den Platz 1 der US-Billboard-Charts.
Mit Falco schuf Hans Hölzl eine Figur, die den Blick der Kameras mit geradezu magnetischer Anziehungskraft auf sich zog. Die Medien waren überfordert mit diesem Herrn im Anzug, der kein Blatt vor den Mund nahm. Für einen Hans Hölzl aus Wien, der Zeit seines Lebens keine vernünftige Ausbildung absolviert hatte, erschien er ihnen viel zu weltbürgerlich. In ihrer Fassungslosigkeit versteiften sich Talk-Show-Moderatoren und Zeitungsjournalisten auf den Versuch, Falco bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus der Fassung zu bringen. In seinen Texten brach er ein Tabu nach dem anderen und unterlegte seine Provokationen mit packenden Tönen und Rhythmen. Bald wurden seine Songs in Clubs weltweit gespielt. Jede seiner überspitzten Zeilen wurde von Medien und Politikern laufend verurteilt – eine 1A-Publicity für den österreichischen Macho.Musikalisch bewegte sich Falco auf bis dato äusserst rar erforschtem Terrain: Er mischte verschiedenste Genre drunter und drüber und fokussierte sich in seinen Liedern abwechselnd auf verschiedene Stile. Der einzig markante musikalische Fixpunkt in Falcos Liedern war sein Sprechgesang, dem er die Bezeichnung «Rapper» zu verdanken hat.
Zwei Landesmänner, die Parallelen aufweisen
Die Kunstfigur Falco hielt sich fern von jeglichen gesellschaftlich festgelegten Typen. Sie hat die Massen entzückt, genervt und entsetzt – doch niemals gelangweilt. Hinter Falco steht ein Erfolgsrezept, welches Hans Hölzl mit seinem Lebenswerk vervollkommnet hat. Wie er sich seinen Ruhm erarbeitete, ist kein Geheimnis. Umso interessanter ist also die Frage: Hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten ein Schweizer Künstler aus dem HipHop-Genre dieses Rezept zu Nutze machen und somit an den Erfolg von Falco anknüpfen können? In den Archiven des Schweizer Raps sucht man vergeblich nach einer solchen Person, dafür ist ein Blick über die Landesgrenzen nötig.Gleich zwei Landesmänner von Falco fallen mir ein, welche klare Parallelen zum österreichischen Unikat aufweisen: Money Boy und Yung Hurn. Beide Künstler haben die Eigenschaft, mit ihrer Musik enorm zu polarisieren. Ihre künstlerischen Ichs werden von der HipHop-Gemeinde entweder total verachtet oder extrem gefeiert. Viel Spielraum dazwischen ist praktisch nicht vorhanden. Wie damals bei Falco können die künstlerischen Motive der zwei Musiker nicht klar eingeschätzt und somit von den Medien nicht eindeutig dargestellt werden.
Die auffälligste Gemeinsamkeit zwischen Falco und Yung Hurn bildet ihre fast aufdringliche Lässigkeit. Beide Freigeister sind in Sachen Extravaganz kaum zu überbieten. Dies spiegelt sich in der Vielfältigkeit ihres musikalischen Outputs wieder. Yung Hurn singt gerne mal im klassischen 80ies-Style über seine unbändige Liebe oder bedient sich zahlreicher Elemente verschiedener Subgenres elektronischer Musik.
An den ständigen Veränderungen der öffentlichen Wahrnehmung von Money Boy ist deutlich zu erkennen, dass sich da jemand Tricks vom «Falken» abgeschaut hat. Zu Anfang seiner Karriere wurde der «Boy» von der Masse für den Titel «Dreh den Swag auf» durchs Band belächelt und mit Kopfschütteln als «One-Witz-Wonder» abgetan. Doch der Wiener sorgte dafür, dass die Klickzahlen seiner weiteren Lieder stets hoch blieben.
Bald darauf machten Gerüchte die Runde, dass Money Boy einen weiterführenden Abschluss an der Universität Wien besitze und das ganze Rap-Ding als spassigen Zeitvertreib oder gar zu Forschungszwecken gestartet habe. Plötzlich wurden die Aktivitäten des Typen mit der Ananas-Frisur auf YouTube, Twitter und Facebook als eindeutig scherzhaft gemeinte Parodien und Übertreibungen gefeiert. Mittlerweile beglückt Money Boy die Gesellschaft mit neuartigen Texten, die unter anderem als «Conscious Rap» bezeichnet werden dürfen. Sein Image ist innerhalb weniger Jahre auf grossen Umwegen von der Witzfigur bis hin zur Fixgrösse des deutschsprachigen HipHops gewachsen – doch weiss auch heute niemand, was der Boy eigentlich im Schilde führt. Wer zieht aus den anhaltenden Diskussionen ausschliesslich Vorteile? Der Boy selbst. Karriereplanung der Klasse Falco top gemeistert.
Der Stereotyp «Schweizer» ist zurückhaltend und anständig
Die Erkenntnis, dass Schweizer Rap keinen nächsten Falco herausgebracht hat, bedeutet kein negatives Urteil. Anstatt zu werten, scheint es mir viel interessanter, die Gründe dafür zu untersuchen. Sind tatsächlich die Eigenschaften des stereotypischen Schweizers dafür verantwortlich? Verunmöglicht unsere allseits proklamierte Steifheit eine Falco-ähnliche Karriere in der Schweiz? Sind wir zu verklemmt? Nein, der Vergleich mit den Österreichern lässt diese Schlussfolgerungen nicht zu. Obwohl sie unter dem Strich etwas geselliger sein mögen, sind uns die Nachbarn aus dem Osten bezüglich der Mentalität weltweit gesehen vermutlich am ähnlichsten. Die Voraussetzungen, sich künstlerisch entfalten zu können, sind hier daher mindestens genauso vorhanden, wie in Österreich. Trotzdem liegt der Hund in der Haltung der Schweizer begraben. Man braucht nur um eine Ecke weiter zu denken.Bekanntlich verhalten sich «Schweizer» stets zurückhaltend und anständig. Dies tun sie, um ihr Verhalten, falls dieses hinterfragt werden könnte, ohne Mühe rechtfertigen zu können. Diesen Umstand unterstreicht das schweizerische Staatssystem, das als direkte Demokratie in dieser Form weltweit einzigartig ist. Das Volk kann jeden wichtigen politischen Beschluss mitbeeinflussen – der gesamte öffentliche Apparat muss sein Verhalten dementsprechend ausrichten. Der Rechtfertigungsgedanke liegt uns nicht nur im Blut, er ist in unserer Konstitution verankert. Uns jederzeit tadellos rechtfertigen zu können, erstreckt sich auf grosse Teile unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Somit auch auf die Kunst, die wir produzieren. Wir möchten sogar unsere Musik rechtfertigen können. Sonst laufen wir Gefahr, dass die Musik als nicht legitim angesehen werden könnte.
Wahre Authentizität soll vom Künstler vermittelt werden
Ohne «Street-Creditbility» darf man keinen Gangster Rap machen. Wer «Conscious Rap» macht, muss eine angemessene Schulbildung absolviert haben. Wer in hohen Tönen singen möchte, muss eine sanfte Knabenstimme haben. Und so weiter. Falls sich jemand trotzdem an etwas versucht, was ihm oder ihr nicht von Geburt an in die Wiege gelegt wurde, wird er oder sie belächelt und nicht ernst genommen. Widerspiegelt dieser zwanghafte Rechtfertigungsdrang die Idealbedingungen, in denen Kunst produziert werden sollte? Ich wage daran zu zweifeln.Authentizität kann durchaus als Kriterium für gute Musik betrachtet werden. Nur darf sie als solches Menschen nicht davon abhalten, etwas zu tun, worin sie möglicherweise brillant sind. Musik muss sich authentisch anhören, der Künstler muss es dabei nicht unbedingt sein. Denn wahre Authentizität ist nicht von Natur aus gegeben, sondern soll vom Künstler vermittelt werden. Eine Aussage, die Falco höchst wahrscheinlich Wort für Wort unterschrieben hätte. Ähnliches muss ihm durch den Kopf gegangen sein, als er vor rund 40 Jahren den Entschluss fasste, sein Gesicht zu verbergen und der Welt unter dem Decknamen «Falco» eine Maske vorzuhalten, die es ihm ermöglichen sollte, Aussergewöhnliches zu erschaffen.Text: Dominik Müller