Eines kann gesagt werden. Für Abwechslung ist auch in der zweiten Runde gesorgt. Neben CH-Rap-Wegbereiter gesellen sich Rap-Avantgardisten und neben Schaffhausern findet man Romands. Die Geschmäcker innerhalb der Redaktion sind sehr verschieden.
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Keine cheesy Hook, kein raffiniertes Interlude - einfach nur Bars. Diese wurden nicht in tausend Takes im Studio glattpoliert und technisch auf die Millisekunde getrimmt, viel mehr transportieren sie ein Lebensgefühl. Zwischen komplett kitschfreiem Seelenstriptease und einzigartigen Lines, die auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn balancieren, ist Sulaya einer der wenigen Charakterköpfe im Game. Er schafft es, dass seine Parts wie hingerotzt klingen, doch die Bildgewalt seiner Texte und die Emotionen, die er in die verschachtelten Bars steckt, beweisen, dass hier ein Perfektionist am Werk ist. Wie seine Biografie hat auch seine Diskografie Höhen und Tiefen, doch genau dieses Unperfekte und gnadenlos Ehrliche macht ihn zu hundert Prozent HipHop. "Erschti Rundi 100 Bars" ist für mich die Essenz von Sulayas MCing und ein Song, der mich auf eine ganz spezielle Art berührt. Vielleicht ist es diese herrliche Dissonanz zwischen Piments Streicherbeat und dem hässigen, ironischen Text, der einen völlig anderen Vibe verbreitet. Grosses Kino.
Mein most-streamed CH-Rap-Song ist “Burning Man” von COBEE. Das Storytelling berichtet vom legendären Hippie-Festival in der Wüste Nevadas mit all den zugehörigen Themen wie Sehnsucht, dem Verlorensein in der heutigen Zeit oder der Bedrohlichkeit der Realität. COBEE und Questbeatz fangen diese schwankende Atmosphäre zwischen Glückshormonen und Gefahr eindrücklich ein: COBEE beginnt mit bittersüsser Kopfstimme und treibendem Synthie-Instrumental, was plötzlich in einem düsteren Trap-Beat mit Flüsterflow mündet (für mich der wohl virtuoseste Beat-Switch, den CH-Rap je erleben durfte). Gemeinsam zeichnet das ein äusserst stimmungsvolles Bild. Die Experimentierfreudigkeit demonstriert ein weiteres Mal: COBEE gehört zu der Speerspitze der Schweizer Rap-Avantgarde.
Beim ersten Hören hat mich der Song überhaupt nicht gecatcht, vielleicht auch wegen dem pumpenden Elektro-Beat. Aber genau dieser setzt den Kontrast zum Schweizer Kleinbürgerturm, das in den Lyrics von Luzi seziert wird. Diese Reibung kreiert eine spezielle Atmosphäre, die sich durch den ganzen Song zieht. Der Refrain ist sehr eingängig und weckt Sehnsüchte, von denen wir vielleicht selbst noch gar nichts gewusst haben. "Trampolin" ist nicht der klassische Kopfnicker-Track auf den sich alle Hip-Hop-Fans einigen können, hat jedoch bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
"2 Wälte" von Black Tiger und Apache habe ich als meinen Lieblingssong ausgesucht, weil das der erste CH-Rap-Track war, den ich so richtig gefühlt habe. Unser Journalist Luca hat mir im Jahr 2006, als ich noch ausschliesslich Deutsch- oder Ami-Rap gehört habe, einen Sampler mit Schweizer Rap zu meinem 13. Geburtstag geschenkt. Auf diesem war auch "2 Wälte" drauf. Der Song hat mich vor allem durch die gesellschaftlichen Gegensätze in Tigers Lyrics und in seiner catchy Hook sehr geflasht, was auch mit dem Videoclip verdeutlicht wurde. Seither hat mich die Musik von Black Tiger unglaublich gecatcht, was bis heute auch mit seinem aktuellen Album "Transformation" so geblieben ist. Zudem hat er 1992 mit "Murder by dialect" in meiner Heimatstadt das gestartet, was wir alle so sehr lieben. Black Tiger ist (für mich) einfach DIE Legende von Schweizer Rap, auch wenn er das nicht gerne hört.
Obwohl ich mittlerweile nicht mehr so oft Mimiks höre, lässt mich dieser Song seit dem Release nicht mehr los. Die düstere Stimmung, Gefühle wie Abschottung, Zweifel und Verstimmungen - und doch vermittlet Mimiks im Refrain alles andere Lethargie: Für mich transportiert er trotz dem nüchternen Zugang und der schmalen Hoffnung eine kämpferische Leidenschaft. Solche Songs, die eine gewisse Ich-gegen-den-Rest-Attitüde in sich tragen, haben mich in meiner Jugend Rap lieben gelernt.
Who‘s got the funk? Genf offensichtlich. Superwak-Producer Varnish La Piscine hat sich innerhalb eines Jahres zu meinem Lieblingsinterpreten der Schweiz gemausert - genreübergreifend. «Algenubi» war dabei der Funke dazu. Riesiger Feel-Good-Song, eine Bassline nach 80er-Jahre-Lehrbuch und smoothe Vocals (auch wenn ich sie nicht verstehe...). Varnish La Piscine bleibt vorerst leider noch viel zu slept on in der Deutschschweiz, trotz beachtlicher Diskographie.