Kreative Konzepte sind gefragt, um bei der Fanbase genug Hype um das eigene Projekt zu erzeugen. Das gewöhnliche Exemplar Rap Artist entscheidet sich im Normalfall dafür, alle seine Instagram-Beiträge zu löschen (und eventuell ein Karriereende vorzutäuschen), dann aber nach Ankündigung regelmässig Vorbestell-Links zu posten und alle drei Wochen eine Single-Auskopplung bis zum Album-Release zu veröffentlichen. Doch nicht alle Artists geben sich mit dieser simplen, schablonenhaften Release-Taktik zufrieden. Ob genial, witzig oder skandalös: Wir haben euch aus aktuellem Anlass hier die spannendsten, schrägsten und ausgefallensten Album-Rollouts im Rap aufgelistet.
Einmal mehr liess Kendrick Lamar das Internet verrückt spielen, als vor zwei Wochen, fünf Jahre nach dem Vorgänger «DAMN.», endlich sein neues Album «Mr Morale & The Big Steppers» ankündigte. Dies tat er aber auf eine ungewöhnliche Weise: Ein deprimierter Fan äusserte bereits im Februar unter dem Twitter-Usernamen @raptalksk seinen Unmut über das Ausbleiben jeglicher Musik von Kendrick. «Kendrick Lamar ist offiziell im Ruhestand» schrieb SK. An diesen Tweet schien sich der Rapper auch noch lange später zu erinnern. Mit seinem sonst sehr wortkargen Twitteraccount antwortete Kendrick zwei Monate später auf den Tweet mit dem Link zur myteriösen Website namens oklama.com.
Im Vorjahr hatte er auf dieser bereits sehr vage bestätigt, dass er an neuer Musik arbeite. Nun war aber ein neuer Beitrag in Form eines Ordners auf der Seite aufgetaucht. In diesem befand sich ein Dokument mit dem Titel und dem Release-Datum des neuen Albums. Das Papier verkündete ausserdem, dass jegliche Informationen zum Album von nun an auf dieser Seite veröffentlicht werden würden. Ebenfalls entdeckten Fans, dass man unter dem Link oklama.com/theheart hunderte Ordner findet, die aber alle bis jetzt keinen Inhalt haben. Es wird vermutet, dass bald die «The Heart»-Song-Reihe mit einem fünften Teil fortgesetzt wird. Gestern wurde die Website mit einem mysteriösen Bild geupdated: Darauf zu sehen ist ein altertümliches Buch mit dem Albumtitel und zwei CD's. Fans vermuten nun ein Doppelalbum. Man darf gespannt bleiben, wie sich die Promophase in der nächsten Woche weiterentwickelt und welche Updates die Website erlebt.
Kanye West ist der Vater von ungewöhnlichen Album-Rollouts – das hat er schon mit Projekten wie «The Life of Pablo» oder «Yeezus» bewiesen. Doch mit der Promophase für «Donda» übertraf sich der notorisch für verspätete Releases bekannte Künstler noch einmal selbst, zumindest was Chaos und Verwirrung angeht. Im Sommer verkündete Ye eine Listening Party seines neusten Albums im Mercedes Benz-Stadion in Atlanta. Das Album sollte vier Tage später erscheinen. Das Album klang aber noch völlig unfertig, nur wenige Songs klangen, als wären sie fertiggemixt oder gar fertiggeschrieben. Ye rappte die neuen Songs auch nicht wie erwartet live, sondern stand die meiste Zeit einfach unbeweglich in der Mitte des Stadions während die Songs abgespielt wurden.
Seine Liebe zu Performance Art kam im «Donda»-Rollout immer wieder zum Vorschein. Am folgenden Freitag wurde «Donda» ohne jegliche Erklärung nicht releast. Spontan entschied sich der Rapper dazu, nun in besagtem Stadion wohnen zu wollen und hier das Album fertigzustellen. Eine zweite Listening Party wurde angekündigt: In dieser wurden neue Songs und Features zum Album hinzugefügt und Kanye am Ende des Livestreams an Kabeln zum Himmel emporgehoben. Wieder erschien das Album nicht. Neue Releasedaten am 13., 15. und 20. August wurden ebenfalls nicht eingehalten, ohne jegliche Erklärung des Künstlers. An der dritten Listening Party in Chicago am 26. August 2021 sorgte der Rapper für erneute Kontroverse: Mit ihm auf der Bühne (und auch auf dem Album) waren DaBaby, der zurselben Zeit mit homophoben Aussagen auffiel, und Rocksänger Marilyn Manson, der wegen Vergewaltigung und sexuellem Missbrauchs angeklagt war. Ausserdem lebte Kanye gegen Ende des Livestreams seinen Hang zur Dramatik völlig aus und setzte sich in Brand.
Das Event wurde zum meistgesehenen Apple-Livestream-Event aller Zeiten, doch wieder, Surprise, erschien das Album trotz neuer Ankündigung nicht. Schliesslich erschien «Donda» am 29. August aus heiterem Himmel: Nur Kanye’s Manager Bu Thiam hatte das Album wenige Stunden vorher angekündigt. In einem Instagram-Post behauptete Ye, Universal hätte das Album ohne seine Erlaubnis veröffentlicht. Der Song «Jail Pt. 2» mit DaBaby und Marilyn Manson fehlte, und Kanye sei erst mit dem Release einverstanden, wenn dieser auf dem Album lande. Kurz darauf war aber auch besagter Song auf allen Streamingdiensten erhältlich.
Die experimentelle Rapgruppe Death Grips setzte 2012 für den Release von «No Love Deep Web» auf Schock und Chaos. Das Rollout und auch die Zeit nach dem Release war von Skandalen und Tumulten geprägt. Nachdem ihr Debütalbum «The Money Store» von der Kritik in den Himmel gelobt worden war, begannen sie an ihrem neuem Projekt zu arbeiten. Die Zusammenarbeit mit ihrem Label Epic Records gestaltete sich hierbei immer wieder schwierig. Es herrschten kreative Differenzen und verschiedene Ansichten, wann das Projekt releast werden müsste. Kontrovers war aber vor allem das Albumcover des Werks: Das Bild zeigt den erigierten Penis von Schlagzeuger Zach Hill, auf dem der Titel des Mixtapes mit einem Filzstift geschrieben steht.
Die Band lehnte vehement jegliches Bitten und Flehen seitens des Labels ab, das Cover zu ändern. Als Epic Records schliesslich beschloss, den Release um ein Jahr zu verschieben, veröffentlichte die Gruppe eigenhändig das Mixtape auf allen möglichen Plattformen – und das gratis. Das Label reagierte entrüstet und kündigte sofort den Vertrag mit der Gruppe. Die Gruppe machte weiterhin Promo für das Tape, indem sie auf Facebook wütende interne Mails des Labels veröffentlichten und diese verspotteten.
Das Rollout für das letztjährige Album des Grammy-verwöhnten Künstlers Tyler the Creator war definitiv einzigartig, und sicher nicht so kontrovers und tumultgeladen wie so manche andere in dieser Liste. Im Sommer 2021 tauchten plötzlich in vielen grossen Städten Plakate auf mit dem Satz «Call Me If You Get Lost», der sich als Tyler's Albumtitel herausstellen sollte, sowie auch die Telefonnummer +1(855) 444-8888. Wählte man diese Nummer, konnte man ein Gespräch zwischen Tyler und seiner Mutter hören. Dieses ist mittlerweile als Skit auf dem Album zuhören. Ebenfalls tauchte eine Website auf, die auf diese Nummer verwies. Eine Woche später erschien dann die erste Single «LUMBERJACK» und Tyler bestätigte das Cover und das Release-Datum auf den 25. Juni, also nur eine Woche später. «Call Me If You Get Lost» brachte dem Rapper einen weiteren Grammy für das beste Rap-Album ein und schoss auf Platz 1 der Billboard Charts.
Das besagte Album ist das teuerste, jemals verkaufte Stück Musik aller Zeiten. Weshalb? Vom 7. Studioalbum «Once Upon A Time in Shaolin» der legendären Rapgruppe existiert nur eine einzige Kopie. Für ganze 2 Millionen Dollar wurde das auf nur ein einziges Exemplar limitierte Werk versteigert. Unter dem Eindruck, dass Musik durch Streaming und illegale Downloads ihren Wert verloren habe, wollte die Gruppe ein Album als exklusives Kunstobjekt releasen. Alleine der Käufer darf es hören, und ein paar ausgewählte Musikkritiker:Innen und Kunstsammler:Innen an einer geheimen Listening Session, bei der man nach Tongeräten untersucht wurde. Auch nur 13 Minuten des mysteriösen über 30 Tracks starken Albums wurden an diesem Abend im März 2015 abgespielt. Das Album wurde schliesslich versteigert und im August desselben Jahres in einer Juwelen-besetzten Box an einen anonymen Käufer zugestellt – der aber nicht lange anonym blieb. Gekauft hatte das Album Pharma-CEO und später verurteilter Aktien- und Sicherheitsbetrüger Martin Shkreli.
Dieser hatte das Album nicht aus Interesse an der Musik erworben, sondern um, nach eigenen Angaben, bei seinen reichen Kollegen damit zu flexen. Es war ihm zwar vertraglich verboten, die Musik zu verkaufen oder zu verbreiten. Dies stoppte ihn aber nicht, sein Versprechen einzuhalten, bei einem Wahlsieg von Donald Trump das Album zu leaken. Wu-Tang-Rapper RZA gab an, einen Grossteil des von Shkreli bezahlten Geldes an wohltätige Organisationen gespendet zu haben, als sie von seiner Identität erfuhren. Er selbst hätte probiert das Album zurückzukaufen, doch dies war aus vertraglichen Gründen nicht möglich. Als die gehasste Internetpersönlichkeit jedoch verhaftet wurde und 2017 ins Gefängnis kam, schaffte es Shkreli nicht rechtzeitig, das Album auf Ebay zu verkaufen, weshalb es die US-amerikanische Regierung beschlagnahmte und schliesslich für 4 Millionen Dollar an eine Gruppe NFT-Sammler verkaufte, um die durch Shkreli’s Betrüge entstandenen Kosten zu decken.
Aw shit, here we go again. Das Album wurde wie schon der erste «Donda»-Teil in einem Stadion vorgestellt, dieses Mal in Miami. Fünf Tage vor der Listening Party am 22. Februar 2022 kündigte der Rapper an, «Donda 2» nicht auf Streamingplattformen veröffentlichen zu wollen, sondern nur auf seiner neusten Erfindung: dem Stem Player. Dieses ab dem Spottpreis von nur 200 Dollar (man bemerke meinen sarkastischen Unterton) erhältliche Gerät schenkt nicht nur exklusiven Zugang zu «Donda 2», sondern ermöglicht es auch, jegliche Songs in ihren verschiedenen Strukturen per A.I. auseinanderzunehmen und neu zusammenzusetzen. Die beliebte Praxis von Fans, Kanyes Songs zu remixen und Wunsch-Tracklists und Features neu zusammenzustellen, wurde hierdurch ermöglicht. Das Album thematisiert in erster Linie Kanye’s Scheidung von seiner Ex-Frau Kim Kardashian. Die Zeit um den Album-Release war geprägt von chaotischen Instagram-Postings, Disses und gar Drohungen Kanyes an Kim’s neuen Freund, Comedian Pete Davidson. Der Rapper war in den Medien omnipresent, wenn auch selten aus den richtigen Gründen.
An der Listening Party war Marilyn Manson erneut dabei, sowie auch Featuregäste wie Playboi Carti und die Migos. «Donda 2» klang dabei wie schon wie sein Vorgänger noch völlig unfertig und wurde dafür stark kritisiert. Das Album erschien wie versprochen nur auf dem Stem Player. Allerdings landeten am Release-Datum erst vier Songs auf dem Gerät, der Rest erst Wochen später. Alles klang dabei noch ziemlich halbgar, sogar ganze Textpassagen waren nicht mal fertiggeschrieben sondern erst von Kanye mit rhytmisch geflowtem Kauderwelsch aufgefüllt. Nach eigenen Angaben verdiente Ye mit dem gerät über 2 Millionen Dollar in den ersten 24 Stunden, nachdem es zum Verkauf erhältlich wurde. Um so viel zu verdienen, hätte er 500 Millionen Streams gebraucht. Das Rollout seines elften Studioalbums dürfte sich somit nicht besonders gut auf seinen Ruf, aber hervorragend auf sein Portmonnaie ausgewirkt haben.
UK-Rapper Ghetts nahm das Promogame für sein letztjähriges Album «Conflict of Interest» sehr ernst. In einer autobiographischen Dokuserie mit Nostalgie-Feeling und auf diversen Singles zeigte sich der Künstler reflektierter und kreativer denn je. Ebenfalls gestaltete er für eine besondere Performance Charlie Sloth's Freestyle-Format «Fire in the Booth» um zu «Fire in the Desert», welches, wer hätte es gedacht, in der Wüste aufgenommen wurde. Doch was wäre ein gutes Album-Rollout ohne einen Panzer. Dies mussten zweifelsfrei die Gedanken des Grime-Artists gewesen sein, der kurz nach Album-Release mit besagtem Kriegsfahrzeug durch Zentral-London cruiste. Dort liess er Fans mit sich und dem Panzer Bilder knipsen. Seine ausgefallene Werbestrategie schien aufzugehen: «Conflict of Interest» chartete nach knapp verlorenem Kampf gegen die Post-Rockband Mogwai auf Platz 2 der britischen Albumcharts.
Dass mit Schwangerschaftsgerüchten hervorragend Promo für Album-Releases gemacht werden kann, haben schon mehrere Popstars bewiesen. Doch dass ein männlicher Rapper mit schwangerem Bauch posiert, das gab es bisher relativ selten. Die Release-Strategie von Lil Nas X's Debütalbum «MONTERO» basierte zu grossen Teilen auf Provokation, in erster Linie gerichtet an einen stark konservativen, christlich-geprägten Teil der Gesellschaft. Nachdem bereits das Musikvideo zu «Montero (Call Me By Your Name)» in diesen Kreisen auf grosse Empörung stoss, weil der offen homosexuelle Rapper im dazugehörigen Musikvideo Satan höchstpersönlich antwerkte, löste die nicht besonders ernst gemeinte Ankündigung seiner Schwangerschaft wenig Freude bei denselben Menschen aus. Das «Baby», welches gleich wie das Album hiess, stand symbolisch für dieses und und dessen Bedeutung für den Künstler. Passend zum Release-Tag von «MONTERO» veröffentlichte der Rapper das Video der Geburt, am dem sein Kind dann auf die Welt kam. Ein verrückter Promomove des internetaffinen Rappers, wenn auch ein sehr erfolgreicher und auch lustiger.
Der Rollout des vierten Studioalbums «Queen» von Nicki Minaj hatte einige Ähnlichkeiten mit einem Kanye West Rollout. So war die Promophase geprägt von Kontroversen und sich spontan ändernden Release Dates. Im Vorfeld sorgte vor allem das 6ix9ine-Feature «FEFE» für hitzige Diskussionen: Nur die «Barbz» genannten, ganz treuen Nicki-Stans, konnten den von vielen als verzweifelter Hechtsprung in die Relevanz gelesenen Promomove verteidigen. Auf dem Song ist die Rapperin zwar nur ein Feature, doch der Song sollte trotzdem auch am Ende der «Queen»-Tracklist auftauchen, wohl um mehr Album-Streams und damit eine höhere Chartplatzierung zu erreichen. Ebenfalls für Kontroverse sorgte sie mit der Twitter-Mobilmachung gegen eine Journalistin, der sie in nach deren kritischen Tweet die Barbz-Armee an den Hals hetzte. Gleichzeitig heizte sie den Gossip ein, indem sie nach mehreren Andeutungen behauptete, sie und Eminem würden daten. Dies sollte sich als falsch herausstellen, allerdings tauchte der Rapper als Feature-Gast auf ihrem Album auf.
Das Release Date wurde, vermutlich wegen dem zeitnahen Release von Drake's «Scorpion», um einen Monat verschoben. Aber auch dem neuen Datum wollte Nicki nicht treu bleiben: Ein Tracy Chapman-Sample sei immer noch nicht gecleart worden. Um den Song erzeugte die Künstlerin einen grossen Hype, bat Chapman öffentlich um eine Freigabe des Songs und drohte, das Album nicht releasen zu wollen, bis der Song gecleart sei. Schliesslich erschien das Album trotz allem am ursprünglichen Datum und ohne den Song mit dem Sample. Nachdem ihr Album auf Platz 2 hinter Travis Scott's «ASTROWORLD» einstieg, warf sie Spotify vor, ihren Release bewusst manipuliert zu haben und beschwerte sich in einer Twittertirade darüber, dass Travis Scott unfairerweise nur mit Albumbundles bessere Verkaufszahlen erzielen konnte.
Nach der Behauptung, Travis hätte im persönlichen Gespräch mit ihr zugegeben, dass sie den Top Spot verdient hätte, verlieh sie ihm trotzdem ein paar Tage später den selbsterfundenen «Hoe N**** Award of the Year». Als hätte sie noch nicht genug Kontroverse erzeugt, verglich sie sich wegen ihrer Rolle in der Streaming-Charts-Debatte dann auch noch mit mit der historischen Heldin der Abschaffung der Sklaverei, Harriet Tubman.
Zum Schluss etwas leichter Verdauliches: Auch Trettmann entschied sich für sein kommendes, aktuell noch unbetiteltes Album für einen eher ungewöhnlichen Promomove. Er nahm das Promogame dabei jedoch ein bisschen weniger ernst. Im März unternahm er so ein kleines Experiment auf Facebook:
Fans auf allen anderen sozialen Plattformen enthielt er diese wertvolle Information zunächst. Mit so einer Ankündigung hatte niemand gerechnet, die wenigen übrigen Facebook-Fans flippten aus. Nach erster Aufregung kommentierte er als Follow-up seinen ersten Post mit der Bitte: «Ok cool, sagt euren Freunden auf Insta und TikTok bitte Bescheid. Danke». Bis jetzt ist zwar noch keine Single erschienen, aber neuer Merchandise: Im Store des Producerkollektivs KitschKrieg werden Hoodies verkauft mit der Aufschrift «Album … % Done». Die Zahl vor dem Prozent ist je nach Bestellung zufällig. Ob das Album nun zu 12 % oder 73 % fertig ist, bleibt wohl noch eine Weile ein Mysterium. Dass es gut wird nimmt KitschKrieg aber vorweg: «Ja. Sehr.»