Alle Künstler:Innen des jährlichen Virus Bounce Cyphers in einer Liste gebührend zu ehren, wäre in einem Artikel, dessen Länge nicht die eines Lexikons umfasst, kaum möglich. Zu Ehren gilt es auch das grossartige Team hinter dem jährlichen Event-Highlight - much love an die Masterminds hinter und vor der Kamera am Bounce Cypher. Auch dieses Jahr gab es unzählige Auftritte von MC's, die am Mic gekillt und ihr massives Talent bewiesen haben. Doch lieber erwähnen wir nur ein paar, als keine. Deshalb hier nur zehn erwähnenswerte Auftritte, die wir gefeiert haben.
Schon mit seinem ersten Song landete Jule X auf dem Radar von Virus-Moderator Pablo, dem die Debüt-Single «Dr DJ isch» reichte, um den Berner mit dem Vokuhila an den Cypher einzuladen. Jule’s Performance sollte ihm recht geben: Mit derselben Attitude wie auf besagtem Song steppte nämlich der Künstler ins Studio und brachte wahrscheinlich einen der unterhaltsamsten Cypherparts des Abends. Mit Zeilen, so asozial wie seine Haarpracht, feuerte der Newcomer Schüsse in alle Richtungen mit grandios primitiven Punchlines. Aber auch ein paar denkwürdige Shots wurden abgefeuert: «Rapper mit Wältbiud vom Gölä si ir Mode» rappt er so zum Beispiel am Ende seines ersten Parts. Selbst den letzten Vokuhila-Playerhater sollte Jule X nach seiner Performance zum Fan konvertiert haben.
Dass der Aargauer MC Che$ter eine Gefahr am Mic ist, hatten viele noch nicht so richtig auf dem Schirm. Dies sieht der Rapper als Folge mangelnder Berichterstattung unsererseits über sein musikalisches Schaffen, was er in seinem Laidback-Part auf dem Jazz-Sample-Instrumental zum Anlass nimmt, uns als Schwanzgesichter zu betiteln. Doch das können wir bei einer solchen Performance natürlich verzeihen: Che$ter überzeugt mit herrlich arroganter Attitude, tollen Beat Picks und cleveren Zeilen. Sein Auftritt gibt ihm recht: «Kredibilität zahlt keis Huus, aber Kredibilität zahlt sich us».
Auch der Baselblock hatte einige beeindruckende Performances in Petto. Besonders aber stach WAS DAS?-Mitglied Reyan.Rami hervor. Souverän geflowt und mit hoher Punchline-Dichte überraschte der junge Künstler nicht nur die Moderatoren, sondern lieferte gleichzeitig wohl auch einen der besten Parts der Baselstunde. In seinem Part gab es auch Shots an LAB, der am Cypher 2020 das halbe Basel-Lineup gedisst hatte, während besagte Personen im Raum standen. Doch Rami fokussierte sich nicht auf aggressives Austeilen und Namedropping, es sein denn Props an seine Unterstützer. Eher einte sein Vers den ganzen Block, deren Vertreter:Innen im Gegensatz zu den meisten anderen erst am Ende gemeinsam den Raum verliessen. Sein Auftritt brachte die Baselstunde und ihre verschiedenen Crews zum Kopfnicken und bekam am Ende wohlverdienten, schallenden Applaus aus dem ganzen Raum.
Der jährliche Cypher von Virus-Moderator Pablo in englischer Sprache ist für viele Zuschauer jedes Mal wieder ein Higlight am Cypher. Auch dieses Jahr glänzte er mit energetischem Stimmeinsatz auf dem 50 Cent-Instrumental. Doch der zweite Part kam mit einer grossen Überraschung: Ohne jegliche Ankündigung brachte Pablo sein Mundart-Debüt und beging kurzerhand lyrischen Mord. «Wenn du afangsch rappe findet dich sogar de Beat wack / du bisch gsigned bi Sony aber dich findt sogar Cheez wack!» Nicht nur das SSIO-Instrumental wurde demontiert, sondern auch der eine oder andere ungenannte Rapper. Beendet wurde Pablos Mundart-Shooting Spree mit einer letzten A Capella-Punchline: «Danke für d Ufmerksamkeit, es isch gar nüt andersch / Ich han eu immer scho disst, jetzt henders halt mal verstande!»
Der Hype für Sektion Züri am Cypher war gross. Umso grösser die Enttäuschung bei den Fans, als klar wurde, dass L Loko und Drini es leider nicht schaffen würden. Doch Jordan Parat und Mc Hero reichten völlig aus, um die die Sektion würdig zu vertreten: Beide stellten ihr lyrisches Talent unter Beweis und brachten die Streetrap-Vibes an den Cypher, Hero auf einem Hafti-Beat und Jordan mit einer sehr starken Performance auf einem Tupac-Instrumental. Erwähnenswert ist auch Jordans bemerkenswerte Atemkontrolle, während Hero in seinem Part mit seinem abgebrühten Humor scheinen konnte.
Leicht nervös wirkend betrat Jamal die Booth für sein drittes Mal am Bounce Cypher. Doch kaum begann er zu rappen, erfüllte seine Präsenz den Raum. Die überragende Beatwahl komplementierte Jamals Auftritt, den man kurz und bündig am besten mit dem Wort «Flawless» beschreiben müsste. Auf zwei exklusiven Instrumentals von yngscorpio spittete der Winterthurer Bars über Bars mit zunehmend überbordender Confidence, und liess selbst toxische Sektion Züri-Fans verstummen, die grundsätzlich alle Acts ausser eben Sektion Züri im Chat beleidigten. Mit Zeilen, die inhaltlich zwischen masslosem Flexen, inspirierendem Conscious-Talk und melancholischer Reflektion von schwierigen Ereignissen aus seiner Vergangenheit schwankten, erinnerte uns Jamal, dass er ein lyrischer Rohdiamant ist.
Kaum einer nimmt präzise und vielsilbige Reimketten so ernst wie Milchmaa, wie er auch dieses Jahr unter Beweis stellte. Milchmaa’s Liebe für Reimstrukturen zeigt sich so auch darin, dass er immer wieder wie im Genius-Format «Check the Rhyme» die komplizierten Reimschemata seiner Songs higlightet und auf Instagram postet. Sonst macht's ja leider keiner. Dementsprechend sauber war auch sein Part, der jeden Rap-Nerd begeistern dürfte. Bemerkenswert war dabei auch sein spärlicher Gebrauch von Anglizismen, was unter anderem seine Shots in Richtung Künstler:Innen, die die Styles der Deutschen, Amis oder Franzosen biten, glaubwürdig macht. Milchmaa bleibt ein Schweizer Unikat.
Bei Danase damit zu rechnen, am Cypher enttäuscht zu werden, wäre schon fast absurd. Doch die hohen Ansprüche der Fans dürfte der Rapper mit seiner Performance sogar übertroffen haben, bei der man allerhöchstens über ein paar sporadische sexistische Bars motzen könnte. Mit einzigartiger Thug Life-Attitüde, berechnender Arroganz und Top-Tier-Lyrik schuf der Künstler im Virus-Studio eine malerische Gangster-Landschaft, wie es sonst keiner kann. Wie immer ohne Abzulesen lieferte Danase auch dieses Mal ein paar der erinnerungswürdigsten Zeilen der Stunde Z: «Ich iss immer wenn ich choche, und ich hane keis Rezept / Ich erläbe was ich schribe s’isch de Butterfly Effect».
Wenn Tommy Vercetti, Manillio, Dezmond Dez und CBN sich zu Eldorado FM zusammenschliessen und die Booth betreten, sind sensationelle Bars garantiert. Zuletzt 2015 in dieser Konstellation am Cypher, bewiesen sie schon damals, dass sie als CH-Rap-Supergruppe ihre Stärken kombinieren und zur Geltung bringen lassen können. Ihre fulminante Rückkehr am Cypher '22, leider ohne CBN, bewies einmal mehr, dass sie sich zu den talentiertesten Lyricists der Schweiz zählen dürfen. Besonders erwähnenswert ist der fantastische Part vom selbsternannten «König der Kopfschuss-Prosa» Dezmond Dez, der mit seinem intellektuellen Punchline-Gewitter jede Rap-Fan-Kinnlade zum Absturz brachte.
Den für mich persönlich wohl beeindruckendsten Part lieferte KT Gorique, die gut gelaunt am Ende der Romands-Stunde ins Studio steppte und zuerst einmal mit einem Missy Elliot-Beat im Gepäck die ganze Bude in Flammen setzte. Mit unf*ickbarem Flow und verrückten Doubletime-Passagen lieferte sie eine energetische Performance, wie es sonst kaum jemand könnte. Doch damit nicht genug: Für ihren zweiten Part warf sie ihren vorgeschriebenen Text kurzerhand über den Haufen und freestylte stattdessen. Während sich gefühlt jeder zweiter Rapper am Cypher bei Pablo entschuldigte, dass er seinen Part erst gerade geschrieben hätte und ihn noch nicht gut könne, war sogar KT Gorique’s spontaner Freestyle besser als das meiste, was an diesem Abend vom Zettel abgelesen wurde.