Adlibs sind aus aktuellen Rap-Songs nicht mehr wegzudenken. Sie sind Catchphrases, Markenzeichen und noch viel mehr. Schüler*innen laufen auf den Schulhöfen rum und rufen «Popopopo», Jugendliche bauen «Flex, Flex» in ihre tägliche Sprache ein und sogar Popstars wie Ariana Grande setzen in ihren Welthits ein «Yeah» ans Ende ihrer Zeilen. Trotzdem weiss man nur wenig über das einflussreichste Rap-Stilmittel der heutigen Zeit. Doch woher kommen diese «Adlibs» eigentlich? Und werden sie wirklich erst seit kurzer Zeit verwendet?
Das Adlib wie es heute verwendet wird, hat einen weiten Weg hinter sich. Heute sind dem Adlib-Game keine Grenzen gesetzt. Adlibs sind reines Stilmittel und dienen dem Vibe und dem Style des Songs. Doch das war nicht immer so:
Die History of Adlibs hat seinen Ursprung, wie so vieles, im Soul - genauer bei James Brown. Der «Godfather of Soul», der unter anderem für seine energiegeladenen Auftritte und Shows bekannt war, soll der Schöpfer der Adlibs sein, auch wenn die Verwendung noch eine andere war. Wer die Studio-Songs des meistgesampleten Artists der Welt hört, wird sich fragen, wo denn hier die Adlibs versteckt sind - genau hier liegt der Unterschied zu heute. Brown baute die Zwischenrufe und Füllwörter viel mehr in seinen Live-Shows ein. Da sein Gesangsstil viel Raum für reine Instrumentalstellen liess, füllte er diese mit einem ächzenden «Yeah» oder einem Grunzen. Zusätzlich versuchte er mithilfe der Adlibs seine Fans einzubeziehen. Oft spielte er ein Frage-Antwort-Spiel: Die Rückrufe der Fans wurden so in den Song eingebaut. Adlibs waren in ihrem Ursprung also reine Stimmungsmacher.
James Browns Einfluss war nicht nur langfristig riesig. Er legte auch den Grundstein für die ersten Erfolge des «neuen» Genres, Rap. «The Breaks», die erste mit Edelmetall ausgezeichnete Rap-Single überhaupt, setzt auf Adlibs. Genauer gesagt, auf die James Brownschen Adlibs. Kurtis Blow, gleichzeitig der erste Rapper mit Major-Deal, spielte 1980 in seinem Song genau dasselbe Spiel mit der Crowd wie die Soullegende - hier schafften es die «Antworten» der Fans sogar auf die Studioversion. Das Ergebnis ist ein Dialog zwischen Kurtis und seinen Fans.
In den 80ern war Rap primär Entertainment. Bedeutet, Rap soll für gute Laune sorgen und die Leute zum Mitmachen anregen. Nur logisch, dass sich auch die Rolle der Adlibs veränderte. Public Enemy oder Afrika Bambaataa setzten dafür auf die Rolle eines Hype Mans. Der Hype Man ist so viel wie ein Back-Up-Rapper und Stimmungsmacher: Laas Unltd. für Savas, Tony Yayo usw. wären modernere Beispiele. Im Fall von Public Enemy nahm Flavor Flav diese Rolle ein. Der Uhrenmann sorgte dafür, dass der MC Chuck D sowohl live als auch auf Studioaufnahmen in möglichst gutem Licht da stand. Für erste kultige Adlips war Flav verantwortlich: «Yeeah boooiii».
Die Adlibs waren nie richtig weg. Der Rap der 90er war aber lyrischer als zuvor. Rap war mehr als nur Unterhaltungsinstrument, weshalb auch Adlibs in den Hintergrund rücken mussten. Trotzdem, auch wie Legenden wie 2Pac verwendeten immer Mal wieder auf den geräsuchvollen Support, wie beispielsweise die Hook von «California Love» zeigt.
Für eine richtige Resurrection sorgte aber das Aufkommen von Crunk. Das Sub-Genre stellte wieder die Stimmung in den Vordergrund und wollte oder sollte vorrangig in Clubs gespielt werden. Vor allem einer konnte sein Adlib-Game als Trademark etablieren: Lil John. Der Crunk-Vorreiter schlechthin schaffte es zu einem grossen Teil mit und dank seinen Zwischenrufen in den Mainstream. Der Einsatz seiner Adlibs war genau so einzigartig wie genial. Zum einen übernahm er in seinen Tracks eigentlich selbst die Rolle des Hype-Mans. Sein unterstützendes «yeeeah» und «okaaay» sind schon längst Kult. Zum anderen setze er die Adlips so rhythmisch unter den Verse, dass der natürliche Bounce der Songs noch mehr hervorgehoben und so noch mehr zum Mitmachen animiert wurde.
Fact am Rande: Missy Elliot schrie in den 00ern schon «skrrrrt» ins Mic, bevor einige der heutigen Rapper überhaupt geboren wurden, Credits bekommt sie dafür aber eigentlich nie.
Hier ein Einblick in die damalige Arbeitsweise:
Mit Trap dann die Hochphase der Adlips und die ansatzweise Verwendung, wie wir sie heute kennen. Pioniere wie Gucci Mane setzten auf harte Drums, 808s und ratternde Hi-Hats - und weniger lyrischen Fokus, was wiederum Platz für Filler bot. Die Verwendung von Adlips wurde deutlich erhöht und vor allem verändert. Die Trap-Rapper aus dem Dirty South bauten Schlagwörter als Adlibs ein und suchten sich Signature-Geräusche und -Wörter, wie es vorher noch selten gesehen war.
Vor allem aber die Migos konnten 2013 der Pop-Welt den kreativen Umgang mit Adlibs zeigen, als sie Drake für den Remix des Hit-Songs «Versace» gewinnen konnten. Sie wiederholten Reimwörter als Fragen, als ob sie es nicht verstanden hätten oder backten den Kanadier mit einem solchen Enthusiasmus, dass sie wohl jeden Hörer catchen konnten und beeinflussten so den Mainstream-Rap nachhaltig.
Im selben Stil versuchte sich parallel Money Boy an Platzierung von modernen Trap-Adlibs im Deutsch-Rap. Er orientierte sich vor allem am Cloud-Vorreiter Lil B und an Dirty-South-Rappern. Money Boy sollte in Zukunft noch viele Rapper beeinflussen - auch in ihrer Nutzung von Adlibs. «Swag» bleibt jedenfalls unvergessen.
Für den Adlib-Einsatz, wie wir ihn heute lieben oder teilweise nicht einmal mehr wahrnehmen, ist vor allem der Wiederaufschwung von Trap, wie wir ihn heute kennen, verantwortlich. Durch die langsamere Taktung lassen die Beats viel Raum. Raum, der gefüllt werden muss. Die neue Generation füllt diesen kreativ mit Sprach-, Wort und Geräuschvariatonen. Rapper*innen beginnen die Reimworte mit anderer Tonlage zu wiederholen, das Gesagte mit Zusatzinfos zu ergänzen oder einfach wild irgendwelche Geräusche und sonstigen Stuff ans Ende ihrer Zeilen zu setzen. Das kann verschiedenste Ausmasse haben. 21 Savage beispielsweise löst das mit Wiederholungen des immergleichen Adlibs: Auf seinem «7 Min Freestyle» droppt er über 60 Mal die Signature-Adlib «21».
2017 trieb der Rap-Dadaist und musikalische Mythos Playboi Carti den Umgang mit Adlibs auf die absolute Spitze. Als er mit «Manoglia» seine ersten Schritte im Mainstream machte, sorgte er wahrscheinlich für einige Schlaganfälle bei Old-School-Fans. Cartis Interpretation von Rap ist neu und anders: Der Rapper stellt die Adlibs in den Vordergrund, verzichtet auf textlichen Tiefgang und spielt dafür mit seiner Stimme, Geräuschen und Zwischenrufen.
Stand heute sind Adlibs fester Bestandteil von praktisch jedem Rap-Song. Der Gebrauch reicht dabei noch immer von wierden Wortschöpfungen, über ächzende Geräusche bis zum Backen seiner eigenen Lines.
Als Pionier der modernen Deutsch-Trap-Adlibs wurde lange Ufo361 angesehen. Da lange Zeit keiner den Ami-Sound so gut ins Deutsche transportieren konnte wie er, ist es auch naheliegend, dass er sich als einer der ersten im Mainstream stark auf Adlibs konzentrierte. Neben Direktimporten aus den USA wie «Slatt» und «Drip» hat UFO361 aber auch eigene Schöpfungen zu bieten: «Jajaja» wird wohl auch in die Rap-Geschichtsbücher eingehen.
Aktueller König der Adlibs sollte im Deutschen Sprachraum Luciano sein. Was Playboi Carti für die Amis ist, ist Luciano für uns: der Adlib-Dada. Gefühlte 90 % seiner Tracks bestehen heute aus «Flex Flex», «Popopo» und «Grrrrr», um nur einige seiner Trademark-Sounds zu nennen.
Auch in der Schweiz sind Adlibs aber längst fester Bestandteil der Szene.
Beispiel gefällig? EAZ und Xen releasten vor wenigen Wochen den Song «Hit ’em Up». Wer den Insta-Output von EAZ im Vorfeld verfolgte, wusste bereits, was ihn erwartet: ein Song, der sich am US-Sound der 90er- und 00er-Jahre orientiert. Wer aber genau hinhört, merkt, dass heute auch ein Song, der sich auf eine vergangene Ära bezieht, nicht mehr um Adlibs herumkommt. Beide Rap-Parts werden von einer etwas leiseren Ton-Spur begleitet, die die Lines mit Sounds wie «Yeah», «Haha» und weiteren klassischen Adlibs unterstützt.
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