Tatort Basel-City. Die Stadt am Rheinknie ist der Geburtsort von Schweizer Rap und ein Flecken Erde mit einer dichten und international anerkannten HipHop-History. Nach den goldenen Jahren um Black Tiger, Shape, Tafs und Brandhärd war es einige Jahre ruhig. Doch mittlerweile hat eine neue Generation das Ruder übernommen. Eine ganze Reihe an Künstlern steht in den Startlöchern, um HipHop im Dreiländereck einen neuen Anstrich zu verpassen – eine neue Bandbreite fernab von Muttenzerkurven-Rap über FCB und Lokalthemen. Das ist nicht nur für die Nordwestschweiz wichtig, denn einige dieser Rapper haben durchaus das Potential, auch national etwas zu reissen und dabei zu helfen, CH-Rap aus der Stagnation zu helfen.
Da wären zunächst die beiden Zugpferde. Jede neue Schule hat ihre Lehrer. In Basel sind das zwei MCs, die beide erst seit wenigen Jahren Musik machen. Und auch wenn sie aus derselben Generation kommen, haben sie völlig andere Einflüsse in sich aufgesaugt. Morow – der populärere der beiden – ist ein klassisches Kind des Internet- und Trap-Zeitalters. Nachdem er zunächst als Youtuber auf sich aufmerksam gemacht hat, driftete der junge Vollblutmusiker immer stärker in den Rap-Kosmos ab. Und er hatte Talent. Irgendwo zwischen dem Emo-Rap eines Lil Peep, futuristischen Soundbildern eines Playboi Carti und dem reduzierten, messerscharfen Storytelling eines Sierra Kidds bastelt er an seiner eigenen Nische. Das Faszinierende: Alles an Morow wirkt nicht erlernt, sondern intuitiv. Damit hebt er sich von den anderen Künstlern des Dritte-Stock-Camps, wo er als Rohdiamant und Versprechen für die Zukunft gilt, ab. Die Texte sind roh und treffsicher, das Musikalische scheint tief aus dem Inneren zu quellen, die Emotionalität und Nachdenklichkeit tief in seinem Charakter verankert. Wenn er etwa auf «Rosé bi night» zu jazzigen Vibes auf der Parkbank sitzt, dann wirkt das nicht wie eine billige Kopie aus Amiland, sondern wie ein verdammt guter, authentischer «Film noir» für die Ohren. Auch der leicht abgespacete Astro-Shit auf dem neuen Album «Gfange in Gedanke» wirkt frisch, mitreissend und unverbraucht.
Die Emotionalität, das Nachdenkliche und leicht Depressive verbindet Morow mit seinem Homie Reyan.Rami. Der junge Basler mit Wurzeln im Libanon hat wie Morow keine Scheuklappen und spuckt seine Seele auf Papier – doch die politische Haltung und die Rap-Sozialisation sind grundverschieden. Wenn es je so etwas wie einen «Basler Kendrick» geben sollte, dann wäre Rami in der Pole Position. Mit seiner Crew «Was Ghetto?» positioniert er sich politisch stramm links, gibt der progressiven Basler Jugend auch ausserhalb der Rap-Szene eine Stimme, überzeugt gleichermassen mit Sozialkritik wie mit tagebuchartigen Textschnipseln. Seine neue EP «Gäld über Härz» hört sich ein bisschen an wie das Logbuch einer Selbstzerstörung. Zwischen Perspektivlosigkeit, Langeweile, Crew-Life, Liebe zu HipHop und Drogenmissbrauch sucht er seinen Weg im Leben und lässt den Hörer ungeschönt daran teilhaben.
«Eine ganze Reihe an Künstlern steht in den Startlöchern, um HipHop im Dreiländereck einen neuen Anstrich zu verpassen – eine neue Bandbreite fernab von Muttenzerkurven-Rap über FCB und Lokalthemen.»
Der «bärtige Truehead» orientiert sich am Oldschool-Sound, schafft aber besonders auf den neuen Songs zusammen mit Hausproduzent Ludwig O.S. eine innovativ klingende rohe, verrauchte Instrumental-Szenerie, die sich im besten Sinne nach After Hours, durchzechten Nächten und mieser Katerstimmung anhört. Songs wie «Basketball Diaries» erinnern durch das fragmentarische Songwriting und die herausfordernde Machart an den späten Mac Miller. Grosses Kino.
Im Fahrwasser von Reyan.Rami und Morow machen sich weitere ambitionierte MCs für den Basler Takeover bereit. Da wären zum Beispiel die für Schweizer Verhältnisse fast schon unverschämt uniquen Rapper MC Eichel und Smeshi aus Ramis Crew «Was Ghetto?», die beide durch Charakter und Skills punkten. MC Eichel – der Name ist Programm – mischt seinen bisweilen etwas pubertären Humor mit nachdenklichen, irgendwie postmodern-abstrakten und dadurch auch extrem poetischen Lines. Gleichermassen Kunstfigur wie Rapper entertaint er seine Fans auch als wandelndes Jugendwörterbuch und bringt durch seine ehrliche, unverblümte Zero-Fuck-Attitüde auch einen moneyboy’esken Vibe mit sich, der dem Schweizer Rap bis anhin noch gefehlt hat.
Smeshi wiederum fällt sogleich durch seinen androgynen Style auf und nimmt auch mit seinen Texten und seiner Attitüde falsch verstandene HipHop-Dogmen auf die Schippe. Gleichzeitig hört man ihm aber auch an, dass er seine Hausaufgaben gemacht hat und es versteht, dem klassischen Conscious- und Representer-Rap einen frischen Anstrich zu verpassen.
Aus Morows Dunstkreis sind vor allem die Künstler Lee, Moony und ThiefInTheNight Versprechen für die Zukunft. Während Moony mit nachdenklichen Texten und einem runden, stimmigen Soundbild um die Ecke kommt und mit «Froge im Kopf» bereits einen kleinen Untergrund-Hit gelandet hat, macht Lee durch seine Stilsicherheit auf sich aufmerksam: Der italienisch rappende Basler MC ist ein grosses Flow-Talent und gibt seinen Songs durch die manchmal wütende, manchmal trippig-abgespacete Delivery eine starke Dringlichkeit, die darüber hinwegtröstet, dass man die Texte nicht versteht. ThiefInTheNight wiederum macht melodiösen, atmosphärischen Rap in einem perfekten Englisch. Mit starken Features auf den Skip- und Morow-Releases hat er bereits erste Duftspuren gelegt.
«Crewlife is true life»: Die Rap-Crews sind nach über einem Jahrzehnt Pause wieder da. Das gilt nicht nur für das deutsche Game, wo Acts wie BHZ oder die 102 Boyz die Szene aufmischen, sondern auch für Basel. Denn neben Ramis «Was Ghetto?»-Crew, die bereits seit längerem Stadtgespräch ist, setzt auch das Rap-Kollektiv KPR erste Ausrufezeichen im Untergrund. Auch sie zelebrieren Rap aus der goldenen Ära und feiern das althergebrachte MC-Life mit Cyphers, Hotboxes und Freestyle-Einlagen.
Dass Basler Acts aber auch den umgekehrten Weg gehen können – sich zunächst eine Legacy als Trueschooler aufbauen und danach die moderne Schiene fahren – zeigt der Baselbieter Machertyp E-Light. Lange hielt er in bester Tafs- und Shape-Tradition die Fahne hoch für das WB-Tal (Waldenburgertal) und machte sich als oldschooliger Spitter einen Namen.
«Das kreative Potential in den verschiedenen Rap-Bubbles ist mittlerweile so divers wie erfrischend. Das könnte angesichts der momentanen Ermüdungserscheinungen im Schweizer Game auch landesweit wichtige Impulse beisteuern.»
Danach erfand sich der Golden-Era-Jünger neu und wurde zum Oberdorfer Newschool-Don. Auf feinsten Beat-Teppichen aus dem Hause Vigaz Beats stellte E-Light unter Beweis, dass er mindestens so gut auf Trap-Patterns flowen kann wie auf klassischen Kopfnicker-Instrumentals. Als Organisator des «Anderscht Motiviert»-Jams wird er auch in diesem Sommer wieder probieren, ordentlich HipHop-Prominenz ins WB-Tal zu holen und dabei hoffentlich auch selbst ans Mic steppen.
Fernab von den klassischen Grabenkämpfen um alte und neue Schule wiederum geht GiGi Polar – Stadtteil 4059 – seinen eigenen Weg. Der talentierte und energetische Jungspund wurde von den Trap-Pionieren Young Touristz gefördert, hat sich mittlerweile aber seine eigene Fanbase erarbeitet und ist ein gerngesehener Gast an allen Trap-Parties am Rheinknie. Sein Sound ist erbarmungslos rough und atmet den Geist um 2014, als Südstaaten-Trap mit Wacka Flocka Flame, Chief Keef und Gucci Mane der Durchbruch gelang. Dieser brachiale die-hard-Zugang zu Trap ist auf seine Weise auch schon fast wieder oldschoolig, aber genau das macht den Reiz davon aus. Die Moshpits sind garantiert.
Es brodelt also ordentlich am Rheinknie. Fernab von Mainstream und Spotify-Playlists wächst eine neue Generation heran, die dereinst auch weitere Wellen schlagen könnte. Es gibt jedoch ein bedauernswertes Manko: Die Female-MCs fehlen. Zwar bleiben die routinierten Rapperinnen wie etwa La Nefera oder KimBo weiterhin am Ball – doch obwohl es mittlerweile Vorbilder aus aller Welt gibt, trauen sich die Baslerinnen noch viel zu selten ans Mic. Eine erfreuliche Ausnahme ist die R’n’B-Sängerin und Rapperin Shawtie La Fleur, die für ihren Einsatz und ihr Talent noch deutlich zu wenig Aufmerksamkeit bekommt. Es bleibt zu hoffen, dass diese Lücke bald durch aufstrebende Künstlerinnen gefüllt wird.
Den Wermutstropfen zum Trotz lebt HipHop im Nordwesten. Basler Rap ist wieder mehr als knochentrockenes Strassenrap-Handwerk und Hooligan-Kurvensound. Das kreative Potential in den verschiedenen Rap-Bubbles ist mittlerweile so divers wie erfrischend. Hoffen wir, dass es voll ausgeschöpft wird. Das würde nicht nur Rap in Basel weiterbringen, sondern könnte auch angesichts der momentanen Ermüdungserscheinungen im Schweizer Game landesweit wichtige Impulse beisteuern.