Wenn wir ehrlich sind, wissen wir doch genau, dass sich Anfang Juni 2018 schon so einige Kommentarspalten-Rambos darauf gefreut haben, «Ich habs doch gesagt!!!» in die Tasten hämmern zu können. Diese Genugtuung blieb aber aus, weil das Vibez Festival doch nicht so ein betrügerischer Reinfall wurde, wie viele dachten. Aber ganz glorreich ging es aus dem Ganzen auch nicht hervor. Hier die Geschichte zu einem Festival, bei dem einiges schief lief, einiges zu gut um wahr zu sein schien. Eine Geschichte, die am Schluss mehr über uns Musikfans aussagt als über das Festival selber.
Aber gehen wir zuerst einmal zum Anfang zurück: Während sich die Schweizer Musik-Community auf die Festival-Saison vorbereitete und die Openair-Frauenfeld-Community in den Kommentarspalten noch Dampf darüber abliess, wer zur Hölle denn dieser COBEE mit nicht mal 4000 Insta-Followern sei und wieso er anstatt Lil Uzi Vert komme, tauchte plötzlich überall Werbung von einem bisher gänzlich unbekannten Festival in Biel mit spektakulärem Line-up auf. Steve Aoki, J. Balvin, Booba, Sean Paul, Farid Bang, Kool Savas, Kollegah und Afrojack waren nur einige der Stars, die das Vibez mit ihrer Präsenz segnen sollten.
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Im Mai 2019 berichtete das Bieler Tagblatt, das Vibez Openair würde mit ihrem neuen «Presenting Partner» Emirates die Ticketpreise um 50% senken, zudem würden 10% der Sponsoringbeiträge an wohltätige Organisationen gespendet werden – so kostete ein 3-Tagesticket noch 159 CHF. Zu schön, um wahr zu sein, schienen sich schon viele gedacht zu haben. Richtig kritisch wurde die Öffentlichkeit aber erst, als das Bieler Tagblatt noch im selben Monat aufdeckte, dass Emirates nichts von der angeblichen Partnerschaft wusste, diese entschieden ablehnte und dem Openair mit einer Klage drohte. Was danach passierte, erscheint in der perfekt durchgeplanten Schweiz schon fast absurd – das Openair wurde trotzdem durchgeführt, alle Emirates Logos wurden wortwörtlich auf Plakaten und Festival-Bändeli gestrichen, zum Teil gar von Hand mit Filzstift.
Einige Headlines aus der Vorlaufzeit des VIBEZ Festivals
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Spätestens jetzt rieben sich Schadenfreudige die Hände. Nicht wenige dürften in den Klinsch gekommen zu sein, als das Vibez unzählige Gratis-Tickets unkompliziert per SMS verloste. Diese Aktion war ebenso verlockend wie Misstrauen erweckend. Einerseits macht es Sinn, dass ein Openair, das aus dem Nichts aufgetaucht war und mit so viel negativer Presse zu kämpfen hatte, nun mit allen Mitteln versuchte, Gäste anzuziehen, andererseits rochen viele hinter der SMS-Aktion einen Datensammlungstrick. Es galt also, sich zu entscheiden. Misstrauisch bleiben, auf Nummer sicher gehen und danach «ich habs euch ja gesagt» sagen können, oder die Chance wahrnehmen und unter Umständen drei Festival-Tage lang Top Artists geniessen – gratis?
Dazu kam ein weiterer Marketing-Fail. Oder eben nicht? Das Vibez Openair kündete an, dass Farid Bang und Kollegah für eine Promo-Aktion in Bern beim Burger King anzutreffen seien, bei der sie gratis Tickets verteilen würden. Dieser Aktion trauten noch weniger Rap-Fans. Das Nachrichtenportal Nau.ch war am besagten Termin vor Ort und traf nur einen kleinen Haufen Teenager an – von Kollegah und Farid Bang keine Spur. Die Jugendlichen nahmen das aber sportlich und freuten sich ab den Gratis-Tickets. Kollegahs Label Alpha Music nahm dazu Stellung, klärte auf, dass es sich dabei um eine Promo-Aktion handelte, an der sie zwar nicht beteiligt waren, den Veranstaltern aber vertrauten. Am Openair würden Kollegah jedoch definitiv auftreten.
Und dann kam der Tag X, und das Openair wurde eröffnet. Die Erwartungen waren gross – oder eben nicht. Der vorhergesagte, absolute Reinfall trat nicht ein, tatsächlich waren einige Gäste erschienen. Von ausgebucht konnte aber nicht die Rede sein. Das Gelände war weit davon entfernt, überfüllt zu sein, was für die anwesenden Gäste aber wahrscheinlich ziemlich angenehm war, denn wer mag schon die vollgestopften Festival-Gelände in denen man 10 Minuten für 20 Meter braucht und ständig seine Gruppe verliert. Auch die Acts tauchten alle auf. Alles in allem verliefen die drei Tage wie ein ziemlich normales, verregnetes Openair. Die Veranstalter gaben sich zufrieden und auch von den Gästen gab es keine Schock-Nachrichten.
Wer allerdings nicht zufrieden war, war Kollegah. Ein legendäres Video aus dem Backstage-Bereich zeigte den Deutschrapper entsetzt über den fehlenden Luxus und die schlechte Organisation. Der Rapper, der sich zwar an die Aussicht auf Blaulicht gewöhnt hat, regte sich lautstark über die Aufsicht im Toitoi-WC-Bereich auf. Auch hier war es wieder schwierig, ein abschliessendes Urteil zu fällen. War die Organisation im Vibez-Backstage wirklich so katastrophal oder leidet Kollegah an Wohlstandsverwahrlosung? Wer weiss.
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Eine letzte negative Schlagzeile macht das Vibez Openair einen Monat später. Laut Blick und 20 Minuten warteten 450 Gäste immer noch auf die Rückerstattung der Beträge, die sie für den Openair-Besuch elektronisch eingezahlt aber nicht ganz aufgebraucht hatten. Dabei handelte es sich in vielen Fällen scheinbar um Beträge von 30-40 CHF, was dann auf 450 Leute gerechnet schon ein stabiler Betrag ist.
Nun bleibt die Frage, was wir mit dieser Erfahrung machen. Klar, beim Vibez Openair ist so einiges schief gegangen. Trotzdem war es für Musikfans eine gute Gelegenheit, um für wenig Geld echt gute Acts zu sehen. Künstler wie J. Balvin füllen normalerweise das Hallenstadion, sind Monate im Voraus ausgebucht und das Ticket kostet schnell 100 CHF oder mehr. Wirklich neuen, innovativen Wind dürfte das Vibez mit ihrem yuppie-kommerziellen Auftreten jedoch nicht in die Schweizer Openair-Szene bringen. Es wäre sicher spannend gewesen, zu sehen, ob das Vibez 2020 ohne die Corona-Krise einen zweiten Versuch gewagt hätte.
Wer weiss, was die Skeptiker*innen beim Vibez erwartet haben. Ein leerer Acker mit einem riesigen «Reingelegt»-Schild? Oder Zustände wie beim US-Amerikanischen Fyre Festival? Die interessanten Fragen lassen sich aber über uns Festival Besucher*innen und Musikfans stellen. Woher kommt unser Misstrauen? Wieso sind wir so kritisch, wenn etwas zu gut um wahr zu sein scheint? Und, verglichen mit der jährlichen harschen Kritik am Line-Up des Openair Frauenfeld – wieso haben wir so riesige Ansprüche an die Veranstaltungen? Ist es uns wichtiger, im Nachhinein «ich habs euch doch gesagt» sagen zu können, als für einen mehr als angemessenen Betrag grosse Acts zu sehen?