Geschlechterforscherin analysiert Schweizer Rap-Texte von EAZ, LCone, Xen und co.
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2020

«Die Videoproduzenten geben sich richtig Mühe, jedes sexistische Klischee zu erfüllen.»

Geschlechterforscherin analysiert Schweizer Rap-Texte von EAZ, LCone, Xen und co.

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2020

«Die Videoproduzenten geben sich richtig Mühe, jedes sexistische Klischee zu erfüllen.»

Geschlechterforscherin analysiert Schweizer Rap-Texte von EAZ, LCone, Xen und co.

Damian Steffen
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Geschlechterforscherin analysiert Schweizer Rap-Texte von EAZ, LCone, Xen und co.
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Die Sexmus-Debatte hat in Deutschland dank Movements wie #UNHATEWOMEN wieder Fahrt aufgenommen. Die Themen aus unserer Sonderausgabe sind leider also nach wie vor aktuell. Für unser Projekt «Hat Rap ein Problem?» haben wir damals die Expertin Dr. Fabienne Amlinger gefragt: Wie sexistisch ist Schweizer Rap? So reagierte die Geschlechterforscherin damals.

Die ganze Sonderausgabe mit den Brennpunkten Gewalt, Antisemitismus, Drogen und Sexismus kannst du hier nachlesen. (Erstveröffentlichung: Dezember 2018)

In der männerdominierten HipHop-Szene werden die Kritiken von Feministinnen oft mit einem Augenrollen abgetan. Irgendwie verständlich, denn wer mag schon Spielverderberinnen? Da aber Erkenntnis ein erster Weg zur Besserung ist, haben wir Rap mit einer Frau analysiert, die weiss, wo die Grenzen des Erträglichen liegen. Dr. Fabienne Amlinger arbeitet seit vielen Jahren als Dozentin und Medienbeauftragte für das Interdisziplinäre Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG) an der Universität Bern. Auch die Arbeit mit Populärkultur ist Amlinger nicht fremd: So hat sie sich beispielsweise schon mit dem Frauenbild von Walt Disney auseinandergesetzt. Weiter engagierte sie sich in einem Berner Theater sowie in der Reithalle.

Welche Musik hören Sie gerne privat?

Privat höre ich vieles aus der 90er Riot-Grrrl-Bewegung. Aber es kann auch mal klassische Musik sein. Bei mir ist Musik gekoppelt mit den Inhalten. Oft lese ich auch nur die Songtexte, die für mich dann wie ein Gedicht oder ein Prosastück mit Musik sind.

Sie haben sich in Ihrer Vergangenheit schon kulturell engagiert. Hatten Sie bereits Berührungen mit HipHop?

Eigentlich nicht. Ich kenne ein paar Künstler und Künstlerinnen, wie zum Beispiel Sookee, die aus der feministischen Ecke kommen.

Rap erfreut sich momentan grosser Beliebtheit. Begleitet ist dieser Erfolg aber auch von Kontroversen. Haben Sie diese Problematik mitverfolgt?

Nicht aktiv. Einige Fälle habe ich mitbekommen wie die Bushido-Alice-Schwarzer-Geschichte. Aber eher durch die Medien, da es dort immer wieder aufbereitet worden ist.

Können Sie sich vorstellen, woher das Bedürfnis rührt, anzuecken?

Provozieren ist eine Methode, um Aufmerksamkeit zu erregen. Es sorgt dafür, sich Gehör zu verschaffen. Die Message wird gehört. Im Rap ist das Anecken vielleicht auch schon in sich angelegt. In gewissen Szenen gehört das Provozieren wahrscheinlich auch ein bisschen zum Lifestyle. Interessanterweise bedienen sich aber Rapper an Dingen, die in unserer Gesellschaft fest verankert sind wie Sexismus oder Rassismus. Es ist deshalb etwas paradox, dass hier versucht wird, mit etwas zu provozieren, das im Grunde genommen – wenn vielleicht auch nicht derart zugespitzt wie etwa in einem Bushido-Text – weitherum akzeptiert ist.

Wo fängt Sexismus überhaupt an?

Es gibt nicht eine allgemeingültige Definition von Sexismus. Mit Sexismus wird aber oft auf Diskriminierung oder Verletzung aufgrund des Geschlechts verwiesen. Es gibt ganz offensichtliche Formen von Sexismus. Etwa können Vergewaltigungen als Spitze des Eisbergs von Sexismus begriffen werden. Aber es gibt auch subtilere Formen. Sexismus muss auch nicht zwingend öswillig passieren. Es fängt schon an, wenn man denkt: «Ah, es ist eine Frau, die kann das vielleicht nicht, deshalb übernehme ich das als Mann für sie.» Das kann – je nach Situation – eine Frau entmündigen. Sexismus kann im Übrigen auch Männer treffen.

Jamal - «Call»

Gerne möchten wir Ihnen nun einige Schweizer Rapsongs zeigen und Sie bitten, uns die Geschlechterrollen in den Lyrics und im Video zu erläutern und zu bewerten. Wir fangen mit einem Zürcher Newcomer an.

Zum Text kann ich leider nicht viel sagen, da ich ihn sprachlich nicht verstanden habe. Aber es hat zwei Elemente, die ich ansprechen möchte: Das Setting ist sehr heterosexuell. Er singt über eine Frau und er bedient sich dabei typischer Geschlechterrollen. Schon allein wie Jamal performt und wie die Frau im Clip erscheint: Sie hat alle Attribute, die zum Bild einer «richtigen Frau» in dieser Musikszene gehören: Superschlank, lange Haare, Schönheit im Sinne des Mainstream-Bildes. Das ist zwar nicht per se diskriminierend, aber das Geschlechterbild wird hier enorm stereotyp inszeniert. Als Zweites ist mir die Szene aufgefallen, in welcher er im Auto sitzt und ihr auf einem Landweg hinterherfährt: Das wirkt, gerade im Wissen um die #metoo-Debatten, sehr gewaltförmig. Sie rennt im Nebel von ihm weg und er verfolgt sie im Auto, mit Scheinwerfern auf sie gerichtet. Diese Szene hat etwas sehr Beklemmendes und Bedrohliches.

Pronto ft. Cliqme - «Don’t be shy»

Die Art von HipHop, wie sie im Video gezeigt wird, weist ein sehr einseitiges Frauenbild auf. Frauen werden äusserlich als mit allen weiblichen und als sexy betrachteten Attributen versehen dargestellt. Zudem wird ihnen selten eine aktive, handelnde Rolle zugeschrieben. Im Video machen die Frauen nichts, ausser sich zu präsentieren. Cliqme wird hingegen als der Omnipotente dargestellt, dem die Frauen nachlaufen, dem alles gelingt und der die Klischees von männlichen Tätigkeiten ausübt – etwa Zigarren rauchen und grillen.

Stress - «777»

Ah, Stress! Den kenne sogar ich. (lacht) Mal schauen, was er macht. Schade, schon die erste Aufnahme zeigt Frauen als Bunnies. Was soll ich dazu noch sagen? Er spielt den Superzuhälter mit den Goldketten. Dass Frauen in Barbie-Verpackungen dargestellt werden, transportiert eindeutig die Message «Frauen als Ware». Das Ganze erinnert fast ein bisschen an die Schaufenster im Rotlichtviertel Amsterdams. Manchmal denke ich, die Videoproduzenten geben sich richtig Mühe, jedes sexistische Klischee zu erfüllen. (lacht)

XEN, EAZ, Ledri Vula - «Nasty Girl»

«Es liegt in seiner Deutungshoheit, wer und was die Frau ist.»

In der Hook singt der Rapper EAZ die Zeilen: «She‘s a nasty girl, she‘s a nasty girl. She had that nasty touch, that nasty butt. i swear she do it all the time mamamama»

Die Hauptdarstellerin weist wieder alle Attribute von Weiblichkeit, wie sie im HipHop grösstenteils propagiert wird, auf: Schön, schlank, stark geschminkt – eigentlich ein passives «Schmuckstück». Und er, der Mann, bezeichnet sie als «Nasty Girl». Er darf sie so betiteln. Das heisst, es liegt in seiner Deutungshoheit, wer und was die Frau ist. Es ist auch spannend zu sehen, in welchen Settings das Video spielt. Der Mann ist an verschiedenen, auch öffentlichen Orten zu sehen, trinkt ein bisschen und vergnügt sich, während sie sich zuhause im Bett räkelt und dort wahrscheinlich auf ihn wartet. Es ist wirklich heftig, welches Frauenbild hier vermittelt wird.

LCone - «Bäumli»

«Wozu sind Frauen gemäss diesem Song da? Offenbar nur für das Loch, das man notfalls auch in einem Baum findet.» 

In der vorletzten Ausgabe hatten wir einen Artikel über diesen Song. Von einer Fachjury wurde dieser Track als zu sexistisch abgestempelt. Der Kommentar der LYRICS-Redaktion war dazu, dass die Debatte zu verbohrt gesucht worden ist. Uns interessiert natürlich, was Sie dazu denken. Der Song handelt von LCone, der sich entschliesst, sich nicht mehr von Frauen das Herz brechen zu lassen. Deshalb fasst er den Entschluss, sich, fortan nur noch mit Bäumen abzugeben. Der Text ist bewusst provokant gehalten. Exemplarische Zeilen sind: «Ja, es esch langsam peinlich, muess en Frau fende. Doch en Notall gfendsch es Loch au imne Baum inne» oder «E Baum verletzt di ned, e Baum de lauft ned wäg. E Baum betrügt di ned ond wenn, denn höchschtens miträ Schnägg».

Also das ist durchaus sexistisch. Die einzige Funktion, die eine Frau für den Rapper hat, kann ein Baum genauso gut erledigen. Ausserdem sagt er, dass ein Baum für ihn besser ist als eine Frau. Wozu sind Frauen gemäss diesem Song da? Offenbar nur für das Loch, das man notfalls auch in einem Baum findet. Das sind höchst abwertende Aussagen gegenüber Frauen. Selbst wenn er negative Erfahrungen mit Frauen gemacht hat, ist es dennoch falsch, solche verallgemeinerte Aussagen zu treffen.

Dieser Song von LCone ist ja eher im Klamaukrap angesiedelt. Kann man keine Linie ziehen, was Spass ist und was ernst gemeint ist?

Es ist der einfachste Weg zu sagen, dass es nur ein Witz sei. Die Frage ist aber: Wer schaut es als Witz an? Wer kann überhaupt definieren, was ein Spass ist? Für den einen ist es ein Witz, für den anderen ist es sehr angreifend. Vielleicht ist sich der Rapper seines Sexismus nicht bewusst, schliesslich ist in der Gesellschaft Sexismus tief verankert, in den meisten von uns. Deswegen müssen Aussagen, Songtexte und auch «Witze» eben reflektiert werden.

Es ist also auch frauenfeindlich, wenn, wie in diesem Song, Männerklischees selbstironisch thematisiert werden? Beispielsweise werden Vorurteile des ungepflegten, dummen und dauergeilen Mannes auch im Text behandelt: «Ech ben scho meischtens sehr verwirrt. Han hütt scho füüf mol masturbiert. Ond erscht bem zwoite wiederhole vo de Schuel han echs kapiert. Start deTag ah met me Bier ond metme Durchfall ii de Shorts. Ond das Cap uf minere Fressi hilft gäg d’Schuppe ii dene Hoor.»

Klar, Sexismus muss nicht nur Frauen treffen. Auch diese Textzeilen würde ich als problematisch einschätzen. Aber Männer trifft es strukturell gesehen anders als Frauen. Männer sind in der Gesellschaft mit mehr Macht und Privilegien ausgestattet als Frauen. Wenn nun ein Spruch gegen Männer kommt, trifft es diese ganz anders. Auch dieser Song greift aber hauptsächlich Frauen an. Es kommen viele sehr negativ konnotierten Begriffe vor, die auf Frauen abzielen: «Diva» beispielsweise. Das trifft Frauen und höchstens schwule Männer, welche ja oft als feminisierte Männer dargestellt werden.

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