Deshalb bin ich nach Frauenfeld gefahren und habe einen Rapper besucht, der gefundenes Fressen für die Social-Media-Rants verbissener Oldschool-Fans wäre, sich im experimentellen Feld des Genres bewegt und gerne mit Instrumenten und Harmonien spielt, an die sich andere Musiker nicht heranwagen. DAIF hat mich mit seiner sphärischen, verträumten, fast psychedelischen EP «카프리 선데이» ziemlich beeindruckt, von der LYRICS-Leserschaft aber fast keinerlei positive Resonanz erhalten. Er spricht in seiner Musik derart offen und unverblümt über seinen Drogenkonsum, dass ich lange gedacht habe, DAIF sei lediglich Kunstfigur und Image.
«Ich kann mich besser auf die Musik konzentrieren und werde nicht abgelenkt – und sonst: Amphetamin hält wach.»
Ich werde am Bahnhof Frauenfeld abgeholt. DAIF ist Mitte Zwanzig und von unruhiger Natur. Schwarzlackierte Fingernägel komplementieren die Anarcho-Tumblr-Ästhetik, die man auch aus seiner Musik heraushört. Er als Künstler verschmilzt mit dem Menschen hinter der Musik, was ich nicht erwartet hatte, weder auf der Ebene des Drogenkonsums, noch auf derjenigen dieser nur schwer greifbaren alternativen Ästhetik. Nach Beschaffung von Snacks, Eistee und Dosenprosecco führt mich DAIF im Untergeschoss eines grauen Blocks einen langen Gang entlang, vorbei an Heizräumen und Kellerabteilen. Das Studio ist ein ziemlich grosser Raum, vollgestellt mit Instrumenten, leeren Flaschen, farbigen Lichterketten, Möbeln, Studioequipment und zwei Sofas, die Luft riecht ein wenig abgestanden, nach mittelmässigem Abzug, warmen Elektronikgeräten, dazu eine sanfte Note Gras und Bier.
Nach einer halben Stunde und einer ausführlichen gemeinsamen Erörterung, warum Newschool-HipHop als Punk bezeichnet werden kann, fällt mir auf, wie absolut kein Tageslicht in diesen Keller dringt. Die Lichterketten, die Tourposter, die Instrumente der Metal-Band, die hier ebenfalls eine Inspirationsoase finden – mit leeren Bierflaschen als einzigem Grün in der Landschaft und Audio- statt Wasserquellen –, lassen mich das Zeitgefühl Minute für Minute mehr verlieren. DAIF packt Haschisch aus, beginnt, sich einen Joint zu drehen, ich nippe an meinem Eistee und frage ihn, warum seine Songs Titel wie «Keti hilft gege Depressione» tragen und ob Musik die Verarbeitung der eigenen (Drogen-)Probleme sei.
Drogen sind sicher zum Teil eine Ablenkung von eigenen Problemen. Es gibt sicherlich viele Leute, die desillusioniert sind und kein Vertrauen in diverse Dinge haben. Der Glaube fehlt häufig in Bezug auf Thematiken wie, ob man wirklich machen kann, was man will. Vielleicht können Drogen in diesem Fall helfen. Und wenn man das auf die HipHop-Szene beziehen will – HipHop ist schon ein ziemlicher Circle-Jerk und bewegt sich nur schwerfällig aus diesem Kreis hinaus. Aber es wäre ja auch okay und wichtig, dass man das Gespräch eröffnet und über den eigenen Konsum spricht. Teils ist der eigene Drogenkonsum und wie man damit umgeht, etwas, worüber man sprechen will und das finde ich nicht etwas per se Schlechtes.
«...und deshalb ist «Keti hilft gege Depressione» etwas sehr Reales, weil es deinen Konsum thematisiert. Ich frage mich einfach, ob sich die Diskussion verändern würde, wenn statt Xanax, Lean oder Ketamin Heroin konsumiert werden würde.»
Die Reaktion wäre sicher anders, als sie jetzt ist. Aber Lean als Opiat ist ja sowieso nahe verwandt und in diesem Zusammenhang kommt auch diese Frage immer wieder auf. Man darf aber nicht vergessen, dass Heroin extrem stigmatisiert ist, weil Heroin in der Schweiz eine grosse Rolle gespielt hat. Man hat sich damit auseinandergesetzt und die Heroinkrise ziemlich konsequent eingedämmt. Man ist mit einem Problem umgegangen. Acid beispielsweise wurde ähnlich stigmatisiert: Wenn du durch die Stadt läufst und dir deine Eltern sagen, hey der Typ ist vor 10 Jahren auf LSD hängengeblieben, dann wird dir so ein Stigma weitergegeben irgendwie. Vielleicht ist die Diskussion, die heute geführt wird, einfach wieder eine neue Art, wie wir mit einer neuen Modedroge umgehen.
Machst du einen Unterschied zwischen Gras, LSD und Heroin?
Ich glaube nicht, weiss es aber nicht mit absoluter Sicherheit. Ich kann ja sowieso nicht über etwas schreiben oder eine Aussage machen, was ich nicht kenne. Heroin ist so stigmatisiert und auch für mich zu weit weg, als dass ich irgendwie in Kontakt kommen würde, da das Stigma auch in mir extrem dominant ist. Deshalb keine Ahnung, ob ich wirklich einen Unterschied machen würde.
Wir sind auch nicht die Generation, die sich stark mit Heroin auseinandersetzen musste.
Ich fände es wichtig, dass man Drogen offen in der Öffentlichkeit thematisiert. Man weiss als Durchschnittsbürger nicht viel über Drogen, sondern wird oft nur mit Klischees und Halbwahrheiten konfrontiert. Das finde ich das Interessante an HipHop. Es gibt kein Genre oder auch keine Kultur, die sich so ehrlich mit schwierigen Thematiken auseinandersetzt. Ob das nun in Misere oder in Glorifizierung und Lobpreisung ist. Es ist ein Sprachrohr für Anti- und Gegenkultur und das empfinde ich als verdammt guten Rahmen, um Drogen zu thematisieren.
«Ich glaube, Musik kann ein Trigger sein, Lust auf einen Rausch zu haben.»
In einer Woche hat DAIF, so wie er mir erzählt, sein neustes Projekt «Molly und Speed» konzipiert und direkt realisiert, ein Ausflug weg von experimentellen Harmonien und hin zu eingängigem, schnörkellosem Trap. Während DAIF mir das Album zeigt, fällt mir auf, dass ich mein Zeitgefühl verloren habe. Eindrücklich, wie schlecht meine innere Uhr ohne Tageslicht auskommt, obwohl ich doch nur fünf Meter unter dem Boden bin. Auf die Frage hin, wie er arbeitet, so völlig abgeschnitten vom Geschehen ausserhalb des Gebäudes und des Tag-Nacht-Rhythmus, antwortet DAIF, dass er dadurch erst so richtig aufblüht. In diesem zeitlosen Raum gebe es keinen Grund, zu denken, dass man vielleicht mal zu Abend essen oder schlafen gehen sollte. So wird die Couch zur Power-Nap-Gelegenheit und der Name des Albums Programm. 24-Stunden-Schichten unterstützt von einer gelegentlichen Nase Speed und MDMA-induzierte, liebevolle Vocals über treibenden Trapbeats. Yung Lean wecke in ihm ein Verlangen, Gras zu rauchen, erzählt mir DAIF, sich einen zweiten Joint anzündend. Ich begutachte DAIFs T-Shirt mit einem Backprint, auf welchem riesig «Ecstasy» steht, im Hintergrund läuft Yung Lean.
Was spielen Drogen für eine Rolle in deinen Aufnahmesessions?
Sie sind Hilfsmittel. Wahrscheinlich könnte ich auch ein paar Monate hardcore-meditieren, dann 10 Minuten auf die Couch sitzen und einen acid-ähnlichen Trip haben, aber ich habe leider die Disziplin dazu nicht. Deshalb bleibt es wohl bei LSD. Drogen sind ein erleichterter Zugang zu anderen Stadien verschiedenster Dinge, sei es das eigene Bewusstsein, sei es die Musik, die Wahrnehmung, was auch immer. Konkret auf die Musik hin, ich kann mich besser auf die Musik konzentrieren und werde nicht abgelenkt – und sonst: Amphetamin hält wach.
Musstest du dir schon konkrete Kritik auf deine Musikvideos oder deinen offenen Umgang generell mit Drogen hin anhören?
Ja, aber nie direkt. Man spricht ja auch nicht gerne darüber. Ich bekomme es mit, wenn mir Freunde Screenshots von DMs zeigen, in denen steht: Hä, hat er jetzt wirklich was gezogen? Direkt wurde ich noch nie damit konfrontiert, vielleicht aber doch und ich habe es einfach verdrängt. Ich glaube schon, dass es mein Umfeld zweiter Hand beispielsweise ziemlich verstört.
Sind Musiker für den Konsum für ihre Hörerschaft mitverantwortlich?
Schwierig. Ich denke, wenn nicht so viele Musiker, die ich gefeiert habe, Drogen genommen haben, würde ich wohl mehr Distanz zum Thema haben. Ich glaube, Musik kann ein Trigger sein, Lust auf einen Rausch zu haben.
Heisst das, deine Lieblingskünstler animieren dich irgendwie zum Drogenkonsum?
Selbstverantwortlich für seinen Konsum ist man sowieso immer. Wenn man wirklich eine Hörerschaft hat, dann kann man schon argumentieren, dass ein Vibe vermittelt wird. Aber es rappt ja auch niemand über Safer Use. Bei meiner Musik kann man es vielleicht so sehen: Ich weise einfach jegliche Verantwortung von mir, weil ich in meiner Musik meinen Shit verarbeite, ich will kein Vorbild sein und warum sollte ich ein solches sein, nur, weil ich Musik mache? Kürzlich ist jemand zu mir gekommen und hat gesagt, er habe ziemliche Cravings nach Drogen bekommen, als er meine EP gehört hat. Und ich habe mir dann zum ersten Mal überlegt, dass meine Musik ja so etwas triggern kann. Aber ganz ehrlich, falls ich jemals in einer Lage wäre, wo ich wirklich viele Leute triggern könnte, Drogen zu nehmen, würde ich sowieso vor dem Druck wegrennen und abtauchen in eine Selbstversorgungs-Kult-Kommune irgendwo im Ödland. Das ist mein Backup-Plan eigentlich. Wenn ich nicht mehr mit den Thematiken spielen kann, mit denen ich mich jetzt auseinandersetze, verliere ich vermutlich die Nerven.
Meine Uhr zeigt 21:28, als ich die Aufnahme beende, meine innere Uhr durchläuft eine minimale Existenzkrise aufgrund meiner Annahme, es sei Mitternacht. Ich zweifle kurz daran, was ein Report über Drogenkonsum in einem Studio zur Diskussion der Verflechtung von Musik und Drogen beiträgt. Wer will eine ellenlange Dokumentation über den Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz eines Individuums lesen?
DAIF hat sich daran gestört, dass ich in der Interviewanfrage über die Kunstfigur DAIF sprechen wollte. Er sagt, mal sei er ehrlich und unverstellt und werde dann als Kunstfigur diffamiert. DAIF konsumiert Drogen und spricht darüber, unternimmt zumindest den Versuch, es irgendwie offen zu thematisieren. Auf seine Weise. DAIF zieht eine Line Amphetamin von einer Schallplattenhülle. Es wird wohl wieder eine lange Studiosession in Frauenfeld.