Hat Spotify einen kulturellen Auftrag, dem es nicht nachkommt?
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August
2020

Cro ohne Playlist-Support

Hat Spotify einen kulturellen Auftrag, dem es nicht nachkommt?

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Cro ohne Playlist-Support

Hat Spotify einen kulturellen Auftrag, dem es nicht nachkommt?

Tobias Brunner
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Hat Spotify einen kulturellen Auftrag, dem es nicht nachkommt?
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Als Cro vor knapp zwei Wochen seine Quasi-Comeback-Single «Fall auf» veröffentlichte, hat das für viele Diskussionen gesorgt. Neben der musikalischen Neuausrichtung des Rappers ging es dabei auch um die Platzierung in Spotify-Playlisten und ob Cros Experimentierfreude dabei genügend gewürdigt wird.

Der Vorwurf von mangelndem Playlist-Support gab es etwa in diesem Tweet eines Backspin-Redakteurs, der durch Rap-Journalismus-Urgestein Falk Schacht reichweitenstark weiterverbreitet wurde.

Für uns haben sich daraus folgende Fragen ergeben: Ist das überhaupt schlimm? Müsste Spotify mehr machen? Hat das Unternehmen hier gar eine Verpflichtung?

«Musiker könnten es sich einfach nicht mehr leisten, nur alle drei bis vier Jahre Musik zu veröffentlichen.»

Die Frage, ob Spotify bei Playlisten einen kulturellen Auftrag hat und diesen erfüllt, lässt sich auf zweierlei Arten beantworten. Macht man es sich einfach, ist die Antwort Nein - Spotify ist ein privates Unternehmen und keine öffentliche Institution. Ein Bildungsauftrag existiert somit nicht und kann entsprechend auch nicht erfüllt werden. Eine weitere Frage wäre, welche kulturelle Verantwortung das Unternehmen hat, nur lässt sich das schwierig definieren.

Es gibt aber noch einen weiteren Weg - denn unabhängig von solchen äusseren «Zwängen» haben Konzerne auch von sich aus inhaltliche Leitlinien, die verfolgt werden. Es geht hier also um die Frage, welches Ziel sich Spotify setzt. Welchen Auftrag gibt sich der Konzern selbst? Und kann er diesen erfüllen? Dabei geht es übrigens nicht darum, welches Ziel tatsächlich verfolgt wird - nämlich Geld. Gerade weil sich grosse Konzerne immer mehr Mühe geben, um von ihren kommerziellen Interessen abzulenken und sich in der Werbung stattdessen als freundliche Helfer oder gar als dein persönlicher Freund ausgeben, ist es wichtig, diese Versprechen zu überprüfen. Sie wollen dein Freund sein? Gut. Wir nehmen sie beim Wort.

«Gerade weil sich grosse Konzerne immer mehr Mühe geben, um von ihren kommerziellen Interessen abzulenken und sich in der Werbung stattdessen als dein persönlicher Freund ausgeben, ist es wichtig, diese Versprechen zu überprüfen.»

Unter dem Titel «For the Record» betreibt Spotify eine Art eigenen Newsroom - entsprechend lautet die Adresse newsroom.spotify.com. Schon der Titel deutet auf den Einsatz hin, den Spotify leisten will: Wir sind für die Musik da. Das Unternehmen veröffentlicht hier alle möglichen Firmennews, bietet Tipps für die Benutzung und wälzt sich hin und wieder in der eigenen Grossartigkeit. Ein Beispiel dafür ist ein «Artikel», der Anfang Juli erschien und das fünfte Jubiläum von «Discover Weekly» - bei uns bekannt als Mix der Woche - feiert. Die Message: Künstler*innen und Nutzer*innern werden einander vorgestellt, es gibt für alle viel zu entdecken, irgendwas mit «fall in love» und am Ende dürfen sich noch ein, zwei Musiker brav bei Spotify bedanken. Auch die  «Company Info» schlägt in diese Kerbe:

«Unsere Mission ist es, das Potential menschlicher Kreativität freizusetzen - indem wir einer Million kreativer Artists die Möglichkeit geben, von ihrer Kunst zu leben und Milliarden von Fans die Möglichkeit geben, diese zu geniessen und sich davon inspirieren zu lassen.»

Dabei wird (natürlich) einfach ausgeklammert, wie viele Musiker*innen nicht von ihren Spotify-Einnahmen leben können. Und es wirkt besonders zynisch angesichts einiger Aussagen, die Spotify-CEO Daniel Ek Ende Juli gemacht hat: Musiker könnten es sich einfach nicht mehr leisten, nur alle drei bis vier Jahre Musik zu veröffentlichen. Der britische Produzent Nigel Godrich hat dies mit «Leech complains of body bleeding to slowly…» (Blutegel beklagt sich, dass der Körper zu langsam ausblutet) kommentiert.

Das bringt uns aber auch zu einem anderen Punkt: Sobald diese Missstände kritisiert werden, verteidigen Menschen - mich eingeschlossen - ihre Spotify-Nutzung damit, dass sich die Plattform trotzdem sehr gut eignet, um Musik zu entdecken.Als Zwischenfazit kann man also feststellen, dass das Entdecken neuer Musik und neuer Künstler*innen ein wichtiger Teil von Spotifys Unternehmenskommunikation ist. Entsprechend kann man erwarten, dass auch die von Spotify erstellten Playlisten dazu beitragen.

«Dass «Fall auf» keinen Playlist-Support bekommen hat, macht deutlich, dass Rap bei Spotify in erster Linie als Genre verstanden wird. Der kulturelle Wert der Musik fällt damit unter den Tisch.»

Die Frage, ob ein erfolgreicher Rapper unabhängig von seiner aktuellen musikalischen Ausrichtung gute Platzierungen in HipHop-Playlisten verdient, lässt sich von zwei Richtungen beantworten. Sieht man Rap vom kulturellen Standpunkt aus, so wie es Musikjournalisten wie Falk Schacht tun, ist die Antwort klar: Cro ist rap-kulturtechnisch so wichtig, dass er aufs Cover jeder Deutschrap-Playlist gehört - nicht trotz, sondern vielleicht sogar wegen seiner Experimentierfreude. Und auch ohne Capital-Bra-Kollabo. Das Problem ist: Auf Newcomer lässt sich diese Argumentation nicht anwenden.Dass «Fall auf» diesen Playlist-Support nicht bekommen hat, macht deutlich, dass Rap bei Spotify in erster Linie als Genre verstanden wird. Der kulturelle Wert der Musik fällt damit unter den Tisch.

Dass in Top-Playlisten kein Platz für musikalische Experimente ist, lässt sich nicht von der Hand weisen. Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage, ob User, die für musikalische Experimente empfänglich sind, diese dort suchen würden. So gibt es durchaus genreübergreifende Playlisten wie etwa «Wilde Herzen», wo Künstler wie Cro oder Casper für das Cover praktisch gesetzt sind. Dabei liegt der Fokus auf deutschsprachiger Musik zwischen Indie und Rap, was Experimente durchaus miteinschliesst. «Fall auf» wurde zudem auch relativ prominent in «Anti Pop» platziert, einer internationale Playlist, die fast ausschliesslich englischsprachige Artists enthält. Die Reichweite mag hier kleiner sein, musikalisch fügt sich Cros Rap-Gitarren-Gemisch aber perfekt ein und kann sein Publikum finden. Hier gäbe es tatsächlich die Möglichkeit, entdeckt zu werden, würde diese Art von Playlist-Support nicht allein auf Cros eigener Reichweite beruhen.

«Sobald Missstände kritisiert werden, verteidigen Menschen - mich eingeschlossen - ihre Spotify-Nutzung damit, dass sich die Plattform sehr gut eignet, um Musik zu entdecken.»

Dabei wird deutlich, was Playlist-Support auch bedeuten kann: Sicherstellen, dass ein Song sein Publikum erreicht. Das ändert nichts am Problem, dass Leute musikalisch immer mehr in ihren eigenen Bubbles versinken - wozu Spotify beiträgt. Trotzdem gibt es auch hier Orte, wo Musik stattfinden kann, die Genre-Grenzen überwindet. Deutschsprachigen oder gar schweizerdeutschen Newcomern wird dies nur kaum etwas bringen.

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