Eine Vinylscheibe. A- und B-Seite. 13 Songs, in kleiner Auflage. Wer 1991 die Platte „Fresh Stuff 2“ auspackte und die Nadel auf die erste Anspielstation setzte, öffnete die Büchse der Pandora: Der Track „Murder by Dialect“ war nichts Geringeres als die Geburtsstunde des Schweizer Raps. Der Basler MC Black Tiger tat etwas, was bis dato undenkbar war: er rappte seinen Part auf Mundart, auf Schweizerdeutsch. Wie auch in anderen Ländern scheiden sich in der Schweiz die Geister an der Frage, ob „Murder by Dialect“ nun der erste Rapsong in der Landessprache war oder nicht – an Symbolkraft sucht Black Tigers 16er jedenfalls seinesgleichen. Es wäre vermessen, zu schreiben, dass er damit eine Lawine ins Rollen brachte, aber er setzte sanfte Impulse, die von weiteren Künstlern aufgegriffen wurden. Rapper, DJs und Eventmanager bauten in den folgenden Jahren eine Community auf, veranstalteten Jams, organisierten Partys und boten dem Schweizer Rap damit eine Plattform.
Baldy Minder ist Mitbegründer der Band Wurzel 5, Manager der Rap-Crew Chlyklass und war Veranstalter der legendärsten Freestyle-Battlereihe der Schweizer Rapgeschichte. Als Fan und Szene-Insider verfolgt er die Entwicklung des Schweizer HipHops von Stunde Null an. Songs wie „Murder by Dialect“ wecken Erinnerungen in ihm: „Anfangs der 90er hörte ich die Beastie Boys und Ice Cube, trat mit der HipHop-Welt in Kontakt und taggte. Bald wurde ich neben lokalen Berner Crews auch auf Rapper wie E.K.R. und Black Tiger aufmerksam.“Mitte der 1990er-Jahre herrschte Goldgräber-Stimmung. Die Crews, die sich in den Schweizer Grossstädten bildeten, stachelten sich gegenseitig an: „Der Konkurrenzkampf war gross. Die Hobbitz aus Bern schalteten damals die erste Homepage – und alle anderen Crews wollten gleich nachziehen.“, erzählt Baldy. „Das Rap-Game war kompetitiv ausgelegt und wir gingen nicht gleich auf Tuchfühlung zu anderen Crews.“ Der berüchtigte „Kantönligeist“ war ein Stolperstein für kantonsübergreifende Connections. Da die Szene damals noch sehr klein war, liefen sich ihre Protagonisten dennoch an Gigs und Jams über den Weg. So entstanden, den Schwierigkeiten zum Trotz, erste Synergien, die die Kantonsgrenzen sprengten.
Der Zürcher Rapper E.K.R. war neben Black Tiger der aufsehenerregendste MC dieser Pionier-Zeit. Als Milieu-Veteran erzählte er beissend-ironische und witzige Stories aus dem Zürcher Stadtquartier „Chreis 4“, den verruchtesten Strassenzügen der Schweiz. Sein unvergleichbares Storytelling liess ihn aus der Masse herausstechen, denn Mundart-Rap steckte in dieser Phase noch in den Kinderschuhen. Viele MCs eiferten an den Jams ihren Idolen aus Übersee und Deutschland nach – und nur wenigen gelang es, eigene Formen zu entwickeln oder gar ein eigenes Image aufzubauen. CH-Rap hatte den ersten, wichtigen Schritt geschafft und den Style, die Techniken aus den USA für die Schweizer Mundart adaptiert. Was noch fehlte, war eine eigene Identität.Text: Luca Thoma