In diesem Text geht es nicht um Yung Hurn, sondern um dich und deinen Hate
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2020

«Der Struggle ist nicht cool»

In diesem Text geht es nicht um Yung Hurn, sondern um dich und deinen Hate

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2020

«Der Struggle ist nicht cool»

In diesem Text geht es nicht um Yung Hurn, sondern um dich und deinen Hate

Yosina Koster
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In diesem Text geht es nicht um Yung Hurn, sondern um dich und deinen Hate
Quelle:
YouTube | YUNG HURN OFFICIAL
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Lesen solltest du diesen Artikel genau deshalb. Denn Yung Hurns «Shishabar Rapper» hat Diskussionen und Gedanken ausgelöst, die eigentlich nichts mehr mit ihm zu tun haben, die aber trotzdem, wieder mal, Thema sein sollten. Zeit, um über Klassismus und Fremdenfeindlichkeit zu sprechen.
twitter: @imamsabdestsuyu

An dieser Stelle könnte man natürlich diskutieren, ob Yung Hurn tatsächlich abgehoben ist, ob er sich in böser Absicht über «Shishabar Rapper» lustig macht oder ob seine Erklärung in seiner Instagram-Story, er habe eigentlich nur ironisch sich selbst gemeint, ehrlich ist oder nicht. Aber das lassen wir lieber mal sein. Denn eigentlich geht es gar nicht um Yung Hurn. Es geht viel mehr um ein Phänomen, das sich in der Rap-Szene immer wieder deutlich offenbart. Es geht darum, wie wir mit Trends umgehen, und was es sich wirklich zu haten lohnt.

Unsensibel und unsolidarisch?

Was sicher festzuhalten ist: Der Anschlag in Hanau, bei dem neun Menschen aus islamfeindlichen, antisemitischen und xenophoben Motiven grausam ermordet wurden, wurde bis heute nicht richtig aufgearbeitet. Das zeigt sich auch darin, dass im letzten Sommer eine grössere Trauerbekundung in Form einer Demonstration aufgrund der Pandemie verboten wurde, während zehntausende von Corona-Leugner*innen weiterhin ohne grössere Konsequenzen ihre Demos abhalten durften.

Twitter: @labiledeutsche

Macht sich Yung Hurn in seinem Umgang mit dem Begriff «Shishabar Rapper» nun zum Rassisten? Vielleicht. Auf jeden Fall ist die Wahl dieses Titels gerade im Lichte des Anschlags - aber nicht nur deshalb - höchst unsensibel. Yung Hurns Wahl zeugt von fehlender Empathie und Solidarität zu einer Szene, die genau so zur Rap-Landschaft gehört wie seine eigene Musik.

Shishabars zu belächeln ist nichts Neues

Ich möchte aber hier gar nicht zu viel von Yung Hurn reden, denn dieser ist nur ein einzelnes Beispiel von vielen. Kannst du dich noch daran erinnern, was in der Insta-Kommentarspalte vom Openair Frauenfeld 2019 los war, als die Acts angekündigt wurden? Dort wurde gejammert, man könne das Festivalgelände ja gleich in eine grosse Shishabar umbauen, nur weil das OAF Auftritte von Artists wie Fero47 oder Mero verkündet hatte.

«Modekonzerne nahmen die von den Kids begehrten Caps und Trainingsanzüge aus der Kollektion, denn von den Banlieues wollte niemand repräsentiert werden»

Doch zurück zu unserem Umgang mit Trends. Reden wir daher zuerst einmal darüber, woher unsere Trends überhaupt kommen und wie wir mit ihnen umgehen. Es geht darum, wie kulturelle Gewohnheiten, Kleidung, Musik, Essen, welche sich hauptsächlich in der Unterschicht entwickelt haben, zuerst belächelt und als «asozial», «ghetto» oder «trash» verurteilt werden, bis sie im Mainstream ankommen. Und vor allem, im HipHop ankommen.

Trends aus der Unterschicht

Die berühmte Fischsuppe aus Marseille beispielsweise war ursprünglich das Essen der Armen. Heute ist sie eine Delikatesse, die sich nur die Wohlhabenden leisten können. Kleider und Sneakers von Fila und Champion waren früher ein klares Zeichen dafür, dass es sich eine Familie nicht leisten konnte, ihre Kinder in Adidas und Nike zu stecken. Heute sind Champion und Fila ein Must-have für alle, die in Sachen Mode mit der Zeit gehen wollen.

«Der Struggle ist nicht cool. Armut ist lebensbedrohlich, auch in der Schweiz»

Mode wie die von Lacoste oder Ralph Lauren wurde explizit für die golfspielende, cüplitrinkende Oberschicht hergestellt. Dann begannen die Jugendlichen in den französischen Banlieues die Kleidung zu tragen. Und wie reagierten die Modekonzerne? Sie nahmen die von den Kids begehrten Trainingsanzüge und Caps als erstes aus der Kollektion, denn «von denen» wollte kein Konzern repräsentiert werden. Diese Stimmung hielt so lange, bis die Konzerne merkten, dass mittellose Jugendliche durchaus einen interessanten Markt darstellen. Seither boomen die Kollabos und die Werbungen im «urbanen» Sujet. Die Konzerne profitieren heute im grossen Stil von der Rap-Kultur der Unterschicht.

Vom Lieblingsauto der Nazis bis zur Kollabo mit der HipHop Szene - auch Porsche hat diesen Markt entdeckt: https://newsroom.porsche.com/en/scene-passion/back-to-tape/porsche-back2tape-documentary-niko-huels-backspin-roadtrip-europe-hip-hop-20491.html

All diese Beispiele entsprechen auch der Geschichte von HipHop an sich und widerspiegeln eine Kultur aus der Unterschicht, aufgebaut durch Menschen, die seit jeher marginalisiert und diskriminiert wurden. Bis heute wird Musik und Kultur des HipHops gerne belächelt, aber viele Konzerne schrecken nicht davor zurück, trotzdem fleissig Geld damit zu verdienen. Und damit meine ich nicht Labels, sondern zum Beispiel Banken, die sich in ihrer Werbung mit ein paar freshen Outfits und HipHop-Elementen bei den Jugendlichen als potenzielle Kund*innen beliebt machen wollen.

Die Glorifizierung der Armut

Diese Dynamik hat irgendwie dazu geführt, dass die Vorstellung von Armut und Mittellosigkeit zunehmend glorifiziert wird. Je nach Umfeld wurde der «Struggle» plötzlich cool, Agglo-Kids aus der Mittelschicht mit Maturadiplom reden auf ihren Mixtapes irgendetwas von Gunshots und Leben auf der Strasse. Gleichzeitig belächeln wir Rapper*innen die aus dem Nichts kommen und sich mit dem erarbeiteten Geld den Lebenstraum eines (teuren) Autos leisten. Das sieht oft in etwa so aus wie in dieser Instagram-Bio:

Instagram

News Flash: Wenn du wirklich Ghetto bist, dann ist es deine Mutter wahrscheinlich auch. Hier also ein kleiner Reminder für alle, die das wieder mal hören müssen: Der Struggle ist nicht cool. Existenzängste und Perspektivlosigkeit sind beschissen. Armut macht physisch und psychisch krank. Armut ist lebensbedrohlich, auch in der Schweiz.

«Klar kann man «Shishabar Rapper*innen» belächeln und sagen, richtiger Rap sei Haftbefehl und Kool Savas»

Heisst das nun, dass sich schlecht fühlen muss, wer Freude an den Trends hat und sich entsprechend anzieht oder diese Musik hört? Ich denke nicht. Schliesslich entwickelt sich die Musik und die Kultur dahinter genau so. Was aber problematisch ist, ist der unreflektierte Umgang damit.

Aneignung der HipHop Kultur zu Werbezwecken kann auch schiefgehen: https://www.20min.ch/story/bank-wirbt-mit-polizeifeindlichem-spruch-581878391361

Es geht nicht, dass wir Trends aus der Arbeiterklasse, aus der Unterschicht, konstant belächeln bis sie plötzlich im Mainstream angekommen sind. Bei «Shishabar Rapper*innen» verhält es sich genau so: Sich darüber lustig zu machen ist irgendwo klassistisch. Und da soziale Schicht und Migrationshintergrund leider auch heute noch viel miteinander zu tun haben, hat es auch etwas xenophobisches. Noch problematischer wird es, wenn das einst Belächelte plötzlich als Trend angeeignet wird, wenn es zu gross wird, um noch hatebar zu sein.

«Richtige Musik ist Chopin und Beethoven»
Der Kreislauf des Hates

Kommen wir zum zweiten Phänomen, das sich in der Diskussion um Yung Hurn widerspiegelt. Die Beziehung zwischen Belächeln und belächelt werden. Das Ganze geht nämlich noch viel weiter - klar kann man «Shishabar Rapper*innen» belächeln und sagen, richtiger Rap sei Haftbefehl und Kool Savas. Aber guess what? Dahinter gibt es wieder viele Menschen, die Haftbefehl und Kool Savas belächeln und meinen, richtiger Hiphop sei amerikanischer Old School rund um Biggie und Tupac. Dort wiederum gibt es Menschen, die auch Old School-HipHop für asozial halten, denn richtige Musik sei Chopin und Beethoven.

«Statt gegen diese internalisierte Misogynie anzukämpfen, habe ich lieber auf andere Frauen herabgeschaut und versucht, mich besser zu fühlen»

Viele lieben es, unter Shirin David oder Katja Krasavice Videos zu kommentieren, sie seien doch nur billige deutsche Versionen von Cardi B. Guess what, über Cardi B wiederum wird gesagt, sie sei ein billiger Versuch, Männer im HipHop zu kopieren. Und so weiter und so fort.

Dieser Kreislauf geht ewig so weiter, eine Spirale aus Komplexen und internalisierter Diskriminierung. Und der Hate bringt niemandem etwas. Was uns als Musikszene wirklich weiterbringt, ist Solidarität.

Lass deinen internalisierten Scheiss los

Und das weiss ich, weil ich das selber lernen musste. Lange habe ich grossen Wert darauf gelegt, zu betonen, ich sei «NICHT wie die anderen Frauen». Weil irgendwo in mir der Gedanke verankert war, dass es schlecht sei, eine Frau zu sein (Merci Patriarchat). Statt gegen diese internalisierte Misogynie anzukämpfen, habe ich lieber auf andere Frauen herabgeschaut und versucht, mich dadurch besser zu fühlen. Das alles gestützt auf den Gedanken, dass andere Frauen schlechter sind als ich. Dieser toxische Hate ist wie Fast Food für die Seele: Ich fühle mich kurz besser, aber langfristig schaden mir die negativen Gefühle und Minderwertigkeitskomplexe.

Aber es gibt gute Nachrichten, denn diesen Kreislauf kann man durchbrechen. Ich habe irgendwann gelernt, dass es mir nicht gut tut, mich konstant über andere Frauen zu stellen. Solidarisch gegenüber anderen Frauen zu sein hat mir langfristig geholfen, mich selbst zu akzeptieren, ohne mich über andere stellen zu müssen.

Hate-Vorschläge für die Weihnachtszeit

Deshalb schlage ich vor, dass wir mehr auf Solidarität setzen und unseren Hate für das reservieren, was wirklich hatebar ist. Zum Beispiel die Tatsache, dass im Camp Moria tausende von Menschen in diesem kalten Winter nur im Meer baden und waschen können, dass ihre Kinder in der Nacht von Ratten angeknabbert werden und dass unsere Politik zuschaut und nicht reagiert. Oder lasst uns mal die Tatsache haten, dass in Basel gerade ca. 60 Antifaschist*innen zu extremen Strafen verurteilt werden, weil sie sich 2018 einer Demo der Neonazi-Partei PNOS in den Weg gestellt hatten. Oder Hate dafür, dass es als Rapper*in fast nicht möglich ist, Fuss im Musik-Business zu fassen, ohne die Unterstützung von Red Bull anzunehmen, einem Milliardenkonzern, der Rechtsradikalen immer wieder eine Plattform für ihre Propaganda bietet.

Es gibt mehr als genug Gründe, um wütend zusein. Und es ist gut, wenn diese Wut Energie freisetzt. Für den Rest gilt es, solidarisch zu sein. Damit die HipHop-Kultur weiter floriert, müssen wir die Leistungen der unteren sozialen Schichten und der migrantischen Community anerkennen und schätzen. Statt andere Rapper*innen als «Shishabar Rapper» zu belächeln, sollten wir lieber zusammenspannen, um uns gegenseitig weiterzubringen. Deshalb im Zweifelsfall lieber einmal mehr Gönnen als Haten. Ausser bei Nazi-Rap. Fuck them.

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