Kaputte Musik für kaputte Menschen, ohne dass es Arschlochmusik ist. Das war das Ziel des Hatepop-Kollektivs auf ihrem Debüt-Album «¥UNG FUCKUP$». Es geht um das Bedürfnis, der abgefuckten Seite der eigenen Existenz Ausdruck zu verleihen, ohne dabei von diskriminierenden und toxischen Mechanismen Gebrauch zu machen. Genau diese Mechanismen sind es, die den jungen Künstler*innen oft den Genuss an der Musik verderben - und deshalb haben sie die Musik gleich selber in die Hand genommen.
Zum Glück, denn «¥UNG FUCKUP$» ist eines der interessantesten Releases der letzten Zeit. Das Album ist laut, schnell, intensiv. Nichts, was man beim gemütlichen Schneespaziergang hört. Jedenfalls nicht, ohne unterwegs jedem Schneemann am Strassenrand den Kopf abzukicken (sorry an mein Quartier an dieser Stelle). Das Album enthält auf jeden Fall Banger um Banger. Die Mischung aus Melancholie und Wut geht unter die Haut - hier geht es definitiv nicht um junge Erwachsene die am Sonntagmorgen ins Gym gehen und schon mal die dritte Säule einrichten.
Es geht um Drogen, Orientierungslosigkeit, Einsamkeit, Melancholie, Scheitern. Trotzdem ist das Album kein Downer, denn ständiger Begleiter des Albums ist die Wut. Hass gegen Yuppies, Gentrifizierung, repressive Strukturen, das elitäre Berner Traditionsunternehmen «Von Graffenried» - das Album ist ein rebellischer Angriff auf bürgerliche Machtstrukturen, die von jungen Erwachsenen Anpassung und Leistungsfähigkeit verlangen.
Es ist deshalb auch kein Zufall, dass das Kollektiv auf die diskriminierende Machterhaltungsdynamik verzichtet, die so oft im HipHop anzutreffen ist. Schliesslich sind misogyne, homophobe, klassistische oder rassistische Mechanismen seit jeher Instrumente, die zur Machterhaltung der bürgerlichen Oberschicht beitragen sollen.
Doch warum bezeichnet Jürg Halter das Kollektiv als Enttäuschung für Eltern? «Daddy mach dir Sorgä, la d’Finger nid vo Droge. Ja i weiss, für ihn bi ig längst gstorbä» ist auf dem Track «BLÆCH» zu hören. Der Bruch mit gesellschaftlichen Zwängen wird, zumindest lyrisch, konsequent bis zum Bruch mit der eigenen Familie durchgezogen. Hatepop macht klar: Sie wollen nicht gefallen, nicht die Vorzeigekinder der perfekten Leistungsgesellschaft sein. Ewige Brokeness und Drogenabhängigkeit, Irritieren durch Anecken wird zelebriert. Und das nicht, um irgendwo dazuzugehören. Im Gegenteil: Weil das Dazugehören unerträglich wäre. Kaputte Musik für kaputte Menschen.
Hatepop ist als Kollektiv organisiert. Das heisst, dass alle kreativen und ideellen Entscheidungen gemeinsam getroffen werden, auch von den Mitgliedern, die nicht aktiv als Rapper*innen oder Producer aktiv sind. Auf ihrem Debüt-Album hat das Kollektiv ein interessantes Feature zu verbuchen. Und zwar in Form der Autorin und Kolumnistin Jessica Jurassica, die im Sommer mit «Die verbotenste Frucht im Bundeshaus», einem erotischen Fan-Fiction-Roman über Bundesrat Alain Berset für Aufruhr sorgte. In ihrem Part auf dem Track «ÆLLE1N1_DEHE1MÆ» beschreibt sie die Einsamkeit mitten in der Stadt und vermittelt ein apokalyptisches Endzeitgefühl - nicht zuletzt durch ihre Göldin & Bit-Tuner-Referenz. Jessica Jurassicas Anmeldung für dieses Rap-Game ist auf jeden Fall sehr willkommen.
Als Querulant*innen positionierten sich Hatepop bereits am Tag des Releases. Das Musikportal «Klamauk» hat den Release in seine Newcomer Playlist aufgenommen. Statt sich für diese Plattform dankbar zu zeigen hat Hatepop unmissverständlich klargemacht, dass sie gar kein Interesse daran haben, auf einer Playlist zu erscheinen, die zu grossen Teilen aus männlichen Künstlern besteht und auf der sexistische Sprache normal ist. Ist das für die Betreiber*innen der Plattform frustrierend? Sicher. Geht noch mehr Hip Hop? Ich bezweifle es.
Schliesslich gibt es doch kein besseres Genre, um anzuecken, um zu nerven, um den Status Quo in Frage zu stellen. Für eine rebellische, innovative, interessante neue Rap-Generation brauchen wir genau solche Nervensägen, die die ganze Hand fressen, die sie füttert. Die alles angreifen und in Frage stellen, was nicht das LYRICS Magazin betrifft. Seich, natürlich bin ich mir bewusst, dass das LYRICS Magazin als Nächstes dran sein könnte. Aber damit müssen wir dann wohl einfach klar kommen, wenn wir nicht als verstaubte, sich an Resten einer verflossenen Zeit klammernde Institution enden wollen.* Und genau solche Bewegungen wie die des Hatepop-Kollektivs zwingen uns dazu, immer weiterzudenken. Und dafür bin ich verdammt dankbar.
*Das lässt sich wohl auf alle eingesessenen Institutionen anwenden, von Battle-Rap-Events bis zur SP.