Die Story des Entlarvungs-Videos ist schnell erklärt: Ein Hacker erklärt, dass er Rappern auf Bezahlung zu Fame verhilft. Für eine Zahlung von nur 50'000 Euro hackt sich der porträitierte Kriminelle mithilfe der Zugangsdaten von Spotify zu Streamingzahlen in Millionenhöhe. Ab diesem Preis würde gar eine Goldene drinliegen. Obwohl keine Namen genannt werden, deutet er an, wer sich wohl an diesem etwas unsauberen Trick bereichert haben könnte: Es sind vor allem die Künstler, welche beim Deutschrap-Label «Groove Attack» und deren Sub-Label «Groove Attack TraX» unter Vertrag stehen. Namentlich sind das Mero, Sero el Mero, Loredana. Ob die Künstlerinnen und Künstler bei diesen dubiosen Geschäften im Bilde sind, wird offengelassen: «Auch wenn sie es nicht wissen – ihre Manager wissen es.»
Auf Bekanntmachung der pikanten Details aus dem Geschäftskonzept grosser Deutschrap-Labels folgte ein riesiges Echo. Mit 1,4 Millionen Klicks thronte die Doku lange Zeit auf Platz 1 der YouTube-Trends, zahlreiche Medien griffen das Thema auf, die halbe Rapszene reagiert via Social-Media.
Am interessantesten dürfte allerdings die Stellungnahme der Beschuldigten selbst sein. Der Label-Boss Xatar meldet sich via Face-Cam zu Wort und enttarnt die Anschuldigungen als Palaber. Auch «Groove Attack TraX» lässt in einer Pressemitteilung verlauten: «Groove Attack & Groove Attack TraX stellen klar, dass wir zu keinem Zeitpunkt Klicks gekauft oder sonstige Manipulationsbestrebungen unternommen haben, um Artists künstlich zu Ruhm zu verhelfen. Der grosse Erfolg unseres Künstlers Mero hat dazu geführt, dass auf Betreiben einer der Major-Companies eine Überprüfung der Streaming-Zahlen erfolgte. Die GfK stellte fest, dass die Abrufzahlen hoch seien, konnte aber keine Auffälligkeiten feststellen.»
Eine verzwickte Sache also, denn beide Seiten erheben Anspruch auf Wahrheit, beweisen kann sich aber niemand. Man darf gespannt sein, welche Wendung der Fall in Zukunft nehmen wird. Als CH-Rap-Fan kann man sich jetzt durchaus fragen, ob die erreichten Streamingzahlen der Schweizer Artists echt sind. Wie ein Statement der GfK mitteilt, habe es tatsächlich offenbar auch schon in der Schweiz versuchte Chartmanipulationen gegeben. Allerdigs seien diese bis anhin meist vereitelt worden. Was denken die Künstler darüber? Moralisch vertretbar? Einfach nur eine notwendige Masche der Industrie? Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, haben wir uns mit dem guten Gewissen der CH-Rapszene getroffen: Dawill.
In «Digital Politics» hat Dawill seine Zuhörer bereits auf die durch Spotify und Apple Music initiierten Probleme aufmerksam gemacht. Im LYRICS-Genius haben wir den Text genauer unter die Lupe genommen.
«Musig us de Playlists si ihri Lieblingssongs u i bechume nur e Spot if I play along. Das heisst Mikrowellehits, wenig Inhalt, wenni d Autotune-Refrains muess mache, wills de Kids gfallt.»: Auf «Digital Politics” hast du bereits festgestellt, dass sich die Musik verbiegt für die Streaming-Zahlen. Fühlst du dich durch die Enthüllungen der Fake-Zahlen bestätigt?
Ich fühle mich schon etwas bestätigt. Was ich bei «Digital Politics» versucht habe anzusprechen ist, dass Streaming die Künstler verändert hat. Heute muss mit anderen Mitteln gespielt werden: Ein Song darf nicht zu lang sein, muss catchy sein, damit nicht geskipped wird. Für einen Lyricist wie mich ist es dann natürlich doppelt schwer.
Überrascht dich die Manipulation in diesem Ausmass?
Ich bin schon überrascht, wie scheinbar einfach die Zahlen manipuliert werden können. Obwohl die Musikindustrie schon früher dafür bekannt gewesen ist, an Zahlen zu drehen, wo sie nur können. Früher war es halt eher Fake-CD-Käufe oder es wurde sich in die Playlists der DJs eingekauft. Manipulationen gab es immer.
Was rätst du Künstlern, die sich überlegen, ihre Klicks zu korrigieren?
Was ich raten kann ist: «Fick auf die Zahlen. Ich weiss, es ist schwierig. Am Anfang wird man geblendet von den Zahlen. Klar, man will mithalten mit den Grossen. Es ist aber mehr Wert, eine organisch gewachsene Fanbase im Rücken zu haben. Es braucht zwar Zeit und Geduld, aber du baust dir echte Beziehungen zu deinen Leuten auf. Es bringt dir schlussendlich nichts, wenn du auf Spotify millionenschwer bist, aber die Hallen an den Konzerten leer sind. Deswegen: Lieber ein paar 100'000 Klicks auf Spotify, dafür volle Konzerte. Einfach organischer Konsum – das ist das A und O.
Hast du selber schon einmal mit dem Gedanken gespielt, Klicks zu kaufen?
Ich selbst habe mit dieser Idee gespielt, als ich frisch im Game war und gerade mein erstes Video released habe. Man denkt sich: «Shit, warum geht das so lange? Warum haben die anderen so viele Klicks? Warum läuft bei mir nichts?» Sich da etwas auf die Sprünge helfen zu wollen ist in dieser Situation normal. Das ungute Gefühl in meinem Bauch hat mich dann aber abgehalten diesen Fehler zu machen. Später habe ich dann begriffen, dass es niemandem etwas bringt, wenn man Klicks kauft. Falsche Zahlen entstehen durch falsche Zuhörer. Es gibt schlussendlich niemand, der dann wirklich ein Fan von dir ist und auf neuen Output wartet.
Leidet die Qualität der Musik unter dem Streaming-Zeitalter?
Die Qualität der Musik ist langsam aber sicher gone. Viele Künstler wollen sich der Schnelllebigkeit des Streaming-Konsums anpassen: Songs werden kürzer – wer hat den heute noch einen dritten Verse? Durch die Verknappung der Zeit schwindet auch der Raum für Experimente und neue Einflüsse. Künstler wollen auf der sicheren Seite sein, damit die Single nicht floppt. Ich habe einfach das Gefühl, dass die Tiefe der Songs leidet. Aber das ist vor allem im Rap so. Es lassen sich sicher nicht alle Künstler davon verbiegen. Viele trotzen den Bedingungen und bringen Output, der nicht massenkonform ist. Ich habe beispielsweise mit «Digital Politics» auch einen Song draussen, der keine Hook hat. Passt also auch nicht ins Schema der Streaming-Anbieter.Aber das ist spannend zu beobachten: «YSL» habe ich nur gemacht, um zu schauen, ob die Leute wirklich darauf scheissen, was ich sage. Und es ist eben so, wenn der Beat bangt, der Flow nice ist und das Lied so kurz wie möglich ist, müssen keine guten Lyrics vorhanden sein. Und siehe da: «YSL» ist mein meistgestreamtes Lied. Dementsprechend ist Streaming auch ein Spiegel der Gesellschaft. Alles ist kurzlebiger, die Aufmerksamkeitsspanne kürzer.
Wo führt uns das hin?
Wo das Ganze hinführt, weiss ich nicht. Was ich aber weiss, ist das wir uns aktuell in die falsche Richtung bewegen. Die Jungen geraten unter Druck, sich mit den Grossen zu messen. Aber mit diesen können wir uns gar nicht messen, weil die Grossen Geld haben. Damit kann man, wie man sieht, alles kaufen. Deshalb habe ich immer noch die Hoffnung, dass die Leute durch solche Dokus aufwachen und aufhören, den Zahlen Beachtung zu schenken. Bitte konzentriert euch wieder mehr auf die Musik.
Ist jetzt also die «Deutschrap-Blase» geplatzt?
Es wird weiterhin auf Spotify gestreamt werden, trotz der Doku. Es ist unaufhaltbar. Man hat es bereits seit Jahren kommen sehen. Die Musikindustrie hat einen neuen Weg gefunden, wie sie am Konsumenten und Künstler verdienen können. Sie haben einen Weg gefunden, um zu überleben in dieser Piraten-Welt… Die Blase ist sicherlich nicht geplatzt. Die Zahlen werden auch weiterhin manipuliert werden. Aber ich gebe weiterhin keine Ficks auf die Industrie. Ich baue auf meine Community – auch wenn es Jahre dauert.