Wow, wenn das mal nicht spitzfindig und provokant ist. Die Kollegen von der «Noizz» haben Ende Juni eine Kolumne veröffentlicht, die Deutschrap mit Schlager vergleicht. Da dieser ja so etwas wie der grosse Bruder von CH-Rap ist, könnte man die These ja gleich auch auf die Schweiz ausdehnen.
Erst einmal die Gründe für diese steile These: Zum einen kommerzialisiere sich Rap immer stärker. Der Autor nennt etwa die Pizza von Capital Bra als Beispiel dafür. Zum anderen werde die Musik durch Autotune und Reggaeton-Drums immer tanzbarer. Der Markenfetisch der Rapper, die den lieben langen Tag mit Chains und Rolis posieren, zeige zudem, dass Rap immer oberflächlicher werde – Pop halt. Zum Schluss unterstellt der Journalist Deutsch-Rap dieselben «stumpfen, identisch geschalteten Weltbilder und Wertesysteme» wie dem Schlager.
«Die Behauptungen zeigen, dass nicht Rap das Problem ist,sondern eine schablonenartige und oberflächliche Sicht auf Rap.»
Gerade die letzte Behauptung zeigt, dass nicht Rap an sich das Problem ist, sondern eine schablonenartige, oberflächliche, ja respektlose Sicht auf Rap, die die Tiefenstrukturen der HipHop-Kultur verkennt. Natürlich ist es leicht, auf erfolgreiche Rapper wie Capi oder Samra mit dem Finger zu zeigen und diesen Sellout, Markenkult oder die immer gleichen Songs vorzuwerfen. Damit fokussiert ein Beobachter zum einen aber nur die Spitze des Rap-Eisbergs – verkennt also alle anderen durchaus erfolgreichen Rapper, die auch ohne Bling-Bling und mit Message Erfolg haben – und zieht zum anderen ein Fazit aus einer kurzen Zeitaufnahme.
«Ich hatte manchmal die Befürchtung, Rap in Deutschland und der Schweiz sei wirklich tot.»
Ich denke dabei an das Jahr 2018: Bonez und Raf hatten das Game von hinten aufgerollt und auf den Kopf gestellt, die Spotify-Playlisten hatten den Musikmarkt und die Charts auf den Kopf gestellt und allen ging der ewiggleiche Aftrotrap-Aufguss, mit dem Newcomer Playlist-Hopping spielten, derart auf die Nerven, dass ich manchmal die Befürchtung hatte, Rap in Deutschland und der Schweiz sei wirklich tot.
«Solange sich gutes Geld verdienen lässt, werden auch immer wieder dieselben Songs nach dem Schema F produziert.»
Mittlerweile, nur zwei Jahre später, strotzt das Game wieder vor Vielfalt – man denke nur an die Drill-Welle, die 80er-Anleihen eines Apaches oder der neue 2000er-Film eines Shindy oder Elias. Daher muss ich mich selbst auch an der Nase nehmen und zum Schluss kommen: Rap zu früh abzuschreiben, ist ein grosser Fehler. Solange sich gutes Geld verdienen lässt, werden Künstler wie Samra, Capi, DaBaby und wer sonst auch immer eine gewisse Zeit lang immer wieder dieselben Songs nach dem Schema F produzieren.
[artikel=1]
Luciano als Aushängeschild des deutschen Drill-Entwurfs:
«Alles ist eine Frage des Diggens.»
Die Streamingzahlen zeigen ja auch, dass sie viele Menschen damit glücklich machen – nicht jeder und jede möchte sich ständig irgendwelche Avantgarde-Soundexperimente reinpfeifen. So oder so: Auf jede Phase der Stagnation folgt eine Wiedergeburt und auch wenn Chart-Rap auf die immer gleichen Muster zurückgreift, brodeln immer – ich wiederhole: immer – gute Soundmixturen im Untergrund oder auf halbem Weg zwischen Bordstein und Skyline. Es ist nur eine Frage des Diggens.
Für mich ist also klar: Das Einzige, was Rap und Schlager gemeinsam haben, ist ihre grosse Breitenwirkung. Schlager ist für mich in erster Linie volkstümlich, heimelig, anbiedernd und unpolitisch. Rap ist nichts davon, sondern schlicht und einfach eine popkulturelle Dampfwalze, die es schafft, ganze Generationen mitzureissen.
[artikel=2]