Nashville ist die Hauptstadt des US-Bundesstaats Tennessee, eine Metropole der Country-Musik. Vor allem aber – und das ist der Auslöser für die phonetisch attraktive Namensgebung der EP – ist Nashville ein Instagram-Filter. Nur benutze ihn davey nie; er höre sich nämlich geiler an, als er ist. Hört man ihm auf der «nashville»-EP zu, lösen sich Begriffe wie echt und fake, gut und schlecht, Zwang und Freiheit irgendwo in diffuser Orientierungslosigkeit auf. Erzählt werden Kollektivgedanken der Millennials, die davey6000 mit wenigen Worten in scharfe Bilder packt – und das, ohne sich aussen vor zu lassen.
David, aus Luzern und Teil des 041-Kollektivs, macht schon lange Musik. Rap-technisch sozialisiert in der Zeit als Lil Wayne, DJ Khaled und T-Pain einen Umbruch des HipHop-Handwerks symbolisierten, sympathisiert er bereits früh mit der progressiven Rap-Schiene. 2012, als Luzern rund um Mimiks im Fokus der Aufmerksamkeit steht, fällt er als schmächtiger Typ mit viel Druck in der Stimme auf, weil er sowohl vom Sound wie auch rein oberflächlich, nicht ins typische Rapper-Schema passt. Damit macht er sich Hater, wie auch Fans. Letztere finden in ihm einen der spannendsten Künstler der damaligen Rap-Hochburg Luzern. Ein Avantgardist, der sich mit Stimmeinsatz, Wortwahl und Flow schnell eine eigensinnige Rapper-Figur bastelt. An der Seite von Marash gelingt es ihm 2013, das exzessive Nachtleben der Adoleszenz zu zelebrieren und gleichwohl Schattenseiten des Im-Moment-Lebens zu beleuchten. Ein Jahr später lassen die beiden Nicht-mehr-so-Newcomer mit «Disneyland» ihren Sound reifen, touren und featuren quer umher, um im Anschluss, mit einem Sony-Deal im Rücken, zwei Jahre in das erste Debutalbum zu investieren. «Gold» erscheint 2017 und will mehrere Fliegen mit einer Klatsche treffen. Bewährt harte 041-Brudi-Raps, aber auch poppige Songs zu grossen Themen, treffen auf die Absicht, den Sprung in den Pool der grösseren Reichweite zu meistern. Die Kritik am momentanen Selbst – schliesslich beglückt der Rausch am Wochenende nicht mehr wie beim ersten Mal – und die unbändige Crew-Love bleiben dabei nicht auf der Strecke. Sie bilden inhaltliche Schwerpunkte, die sich durch die gesamte Diskografie ziehen. Die Schaffensjahre mit Künstlergefährte und Freund Marash helfen davey unter anderem auch, sein persönliches Soundbild zu finden. Als einer, der auf Alben schon immer besonders die deepen und bedrückenden Songs mochte, vertieft er seine Vorliebe für düsteren, melancholischen Pop. Ein Stil, der ihm selbst zu liegen scheint.
Mit der «nashville»-EP ist es nun soweit. Die erste Resonanz stimmt davey zufrieden: Er erhält Lob von respektierten Künstlerkollegen und ist überzeugt, mit «nashville» neue Fans anzusprechen. Neben dem Seebistro in Luzern reflektiert der The Weeknd-Fan über seinen Werdegang, erzählt von seinem Studio-Flow mit Chekaa und verrät, welcher seiner älteren Songs eigentlich nicht mehr existieren müsste.
Nach all den Marash & Dave Jahren bist du nun mit Solo-Musik am Start. Wie kam es zum «nashville»-Projekt?
Grundsätzlich habe ich immer wieder mit dem Gedanken gespielt, allein Musik zu machen. Es ist aber nicht so, als hätte ich über all die Jahre nur darauf gewartet, endlich einmal an Solo-Sachen zu arbeiten. Nur schon live ist es beispielsweise einfach chilliger zu zweit…
Es gab keinen auschlaggebenden Moment?
Doch, da gab es diese Situation im letzten Juli mit Livio in Lausanne. Wir waren nach einem Festival im Hotelzimmer, haben getrunken und Musik von Post Malone und RIN gehört. Halt, was damals so aktuell war. Er hat dann gemeint, dass er eigentlich gerne solche Musik machen würde, es aber nicht zu ihm passen würde. Mir hingegen würde diese Art Musik liegen, meinte er, und sowieso wäre es längst Zeit für ein davey Solo-Album. Seither habe ich dann ernsthaft daran gedacht. Schliesslich habe ich im letzten Sommer bei Chekaa im Studio gemerkt, wie easy und flüssig mir die Musik von den Händen geht. Da es bei Marash ungefähr zeitgleich ähnlich lief, hat es einfach gepasst.
War der Zenit auch einfach erreicht, nach eurem Major-Album?
Glaube ich nicht. Obwohl wir einige unserer musikalischen Meilensteine zusammen erlebten, hatte ich nie das Gefühl, dass wir an einem Gipfelpunkt angekommen wären. Es hätte auch genauso gut eine Runde weiter gehen können mit Marash und mir. Diesen nächsten Step wollten wir jedoch auf keinen Fall erzwingen, daher passte es auch gut, unsere Solo-Phasen einzuläuten.
Nach einer EP folgt meist ein Album. Wie sieht der Masterplan aus?
Gibt es keinen. Ich schaue vor zu, wie es läuft. Ich war gerade wieder im Studio und bin froh, dass ich noch immer sehr intuitiv und produktiv vorankomme. Solange das anhält, werde ich weiter Songs aufnehmen. Schon bei «nashville» war ich so im Flow, dass es mir mit fünf Besuchen im Studio möglich war, die ganze EP umzusetzen. Oft ist es ja so, dass man das Entstandene krass feiert, die Aufnahmen zwei Wochen später jedoch nicht mehr gefallen. Das war bei den Songs für «nashville» anders: Ich bin überzeugt, zurzeit meinen Sound gefunden zu haben. Solche Phasen sollte man immer nutzen.
Nebst Chekaa hat auch der Deutsche Abaz an drei Songs mitgearbeitet. Wie lief das ab?
Die Songentwürfe sehr schnell entstanden. Chekaa und ich verbrachten dann aber einige Termine damit, daran rumzuschrauben. Solange, bis wir die Songs selbst nicht mehr hören konnten. Bei der Überlegung, wem wir die Songs für einen letzten Schliff noch zeigen könnten, kamen wir schliesslich auf Abaz, um dessen Arbeit ich nun sehr froh bin. Diese Möglichkeit finde ich sehr wertvoll, vor allem weil man nach langer, intensiver Arbeit schlicht nicht diese nötige Distanz einnehmen kann. Da braucht es manchmal jemand anderen, der etwas Frisches ausprobiert.
Wie stark warst du bei der Produktion beteiligt?
Ich war von Grund auf dabei und habe mich dementsprechend eingebracht. Es fällt zum Beispiel auf – und das höre ich auch von anderen – dass die Instrumentals nicht stark nach Chekaa klingen. Und dieser produziert ja doch schon für einige Schweizer Rapper. Schlussendlich wusste ich jeweils ziemlich genau, was mir gefiel und was ich wollte. Ich habe über die Jahre auch gelernt, welche harmonische Range ich mit meiner Stimmlage gut bedienen kann – und welche einfach nicht. Das hätte aber auch nicht bei jedem Schweizer Produzenten so gut geklappt. Chekaa checkt unglaublich gut, welchen Vibe er wie kreieren muss, damit es zu mir passt.
Es gab keine Meinungsverschiedenheiten?
Doch, bei «rockstar» haben wir ziemlich lange diskutiert. Da wollte er mit anderen Akkorden arbeiten als ich. Am Schluss habe ich es dann eingesehen und wir haben uns für seine Version entschieden (grinst). Bei «nashville» und «cool kids» hingegen waren wir krass im Flow. Für «nashville» habe ich ihm nur erzählt, dass der Song das Projekt so ein bisschen zusammenfassen soll. Schliesslich hatten wir beide Songs in etwa drei bis vier Stunden – der Vibe war einfach da.
Wächst Schweizer Rap noch?
Musikalisch ja. Es gibt viele spannende und nice Acts, die ich mir auch regelmässig anhöre. Die Qualität nimmt immer mehr zu – und das ist geil! Und das hat übrigens nichts mit Geld zu tun: Den Verdienst im Auge zu haben, macht die Musik nie besser. Sie wird besser durch den gegenseitigen positiven Einfluss. Alle Flows, Melodien oder Songideen mussten irgendwann ausprobiert werden, damit sie wiederum adaptiert werden konnten. Aus Fehlern lernen und sich am Guten bedienen – das ist der kulturelle Lauf der Dinge und hat im Übrigen nichts mit HipHop zu tun.
Wer machts zurzeit besonders gut?
Uff, jetzt muss ich ein paar Namen nennen, also gut: Josha Hewitt ist stark. Ich feiere das neue Nativ-Album, insbesondere den Song «Carbon» mit Stereo Luchs. COBEE ist nice… Pronto höre ich auch oft. Auch freue ich mich, dass Didi wieder mit neuem Shit am Start ist. Und ansonsten natürlich die üblichen 041-Verdächtigen.
Du hast bereits mit 15 Jahren erste Raps ins Netz gestellt. Inwiefern hat sich deine Musik in den zehn Jahren entwickelt?
Das aktuelle Projekt ist das Erste, bei dem ich finde, dass die Songs zwar verschieden klingen, sich jedoch ein roter Faden durch das Ganze zieht. Damals war das noch nicht so. Bei meinen ersten Sachen habe ich natürlich Diverses ausprobiert – da wusste ich noch überhaupt nicht, wohin ich wollte. Mit Marash war ich auch ziemlich experimentell unterwegs. Vor allem beim ersten Tape waren wir krass im Film. Das war geil, aber auch hart an der Grenze…
«Der negative Aspekt des In-der-Öffentlichkeit-Stehens ist grundsätzlich, dass sich Leute nur aufgrund der Aussenwahrnehmung bereits eine Meinung über mich als Person bilden.»
Du redest vom Inhalt, nicht vom Sound?
Ja… das Frauenbild war eigentlich überhaupt nicht okay. Es gibt so ein paar Songs, die dürfte es heute in dieser Form nicht mehr geben, «Spiegel» zum Beispiel.
Was waren Vor- und Nachteile von diesem bereits sehr frühen Schritt in die öffentliche Wahrnehmung?
Der negative Aspekt des In-der-Öffentlichkeit-Stehens ist grundsätzlich, dass sich Leute nur aufgrund der Aussenwahrnehmung bereits eine Meinung über mich als Person bilden. Die kann zwar auch gut sein, aber du bist kein unbeschriebenes Blatt mehr. Die Leute glauben dann, mich zu kennen und sagen mir teilweise direkt, was sie anderen nie sagen würden. Ein Vorteil hingegen war bestimmt, dass ich schon früh viele Menschen kennen lernte und mir ein Netzwerk aufbauen konnte. Obwohl ich nichts ausdrücklich bereue, hätte es mir nicht geschadet, erst mit den Marash & Dave Sachen den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen. Diesen Schritt erst einmal abzuwarten, würde ich auch jedem neuen Rapper empfehlen – gerade in der heutigen Social-Media-Zeit, wo neben Hypes auch Fails sehr schnell die Runde machen.
Da sind wir schon bei den kontemporären Themen deiner EP. Mir fällt auf, dass du oft von «wir», «man», oder «du» singst. Wieviel Dave steckt eigentlich in diesem Abbild deiner Generation?
Schwierige Frage. Also ich will weder Soziologe noch Moralapostel spielen. Es ist halt eine Momentaufnahme aus verschiedenen Bereichen meines jetzigen Lebens. Viele Leute nehmen es so wahr, als würde ich enorm viel kritisieren. In meinen Beschreibungen bin ich aber total inkludiert. Ich bin auch jeden Tag hundert Millionen Stunden auf Instagram, ich reflektiere das einfach. Es ist auch nicht so, dass ich mich hingesetzt und an besonders aktuellen Themen herumstudiert hätte. Oft kam ich mit halbfertigen Songskizzen ins Studio. Der Rest hat sich dann im Prozess ergeben.
Verstehe. War bei dieser spontanen und intuitiven Vorgehensweise das Ziel, auf eingängigere Zeilen zu stossen? Meinem Eindruck nach, gehen deine Texte viel schneller ins Ohr als auch schon.
Naja, ich weiss, was du meinst. Früher war ich auch eher noch Rapper/Sänger, während ich auf «nashville» eigentlich nur noch singe. Würde ich aber möglichst eingängige Musik machen wollen, hätte ich einfach voll den Pop-Shit gemacht. Das würde mir wahrscheinlich auch liegen. Doch ich hatte vor allem Bock auf so düsteren, trappigen Pop. Textlich ist die EP aber kompromissloser als auch schon. Insofern habe ich mir diese Eingängigkeit wieder ein bisschen genommen.
Auf «nashville» geht es um eine junge Frau, die sich hinter den Filtern der sozialen Medien versteckt. Inwiefern machst du dir Gedanken um deine Aussenwahrnehmung?
Ich mache mir diesbezüglich bestimmt weniger Gedanken als auch schon. Ich habe mich zum Glück persönlich in eine Richtung entwickelt, in der er es mir weniger wichtig erscheint, was gewisse Menschen über mich denken. Die Festigung des Selbstbewusstseins, ein Prozess den wahrscheinlich alle – so hoffe ich – irgendwann durchleben. Quasi, dass man sich auch dann noch einen «geile Siech» findet, wenn es andere nicht tun. Wobei ich denke, dass man – um komplett mit sich im Reinen zu sein – dieses Social Media Zeugs gar nicht mehr nötig haben sollte.
Als Dave im 041-Umfeld hast du schon früh angeeckt: Gesangslastig, experimentell – und auch sonst hast du nicht gerade dem gängigen Rapper-Bild entsprochen. Wie hat dich das geprägt?
Wenn du als Rapper so wie ich polarisierst, entwickelst du eine Art Abwehrmechanismus. Bei vielen Leuten hat man zum Beispiel den Eindruck, sie wären krass arrogant. Aber eigentlich versuchen sie damit nur, ihre Unsicherheit zu verstecken. Diese starke «Kein-Fick-Attitüde», die wir damals alle an den Tag legten, hatte wahrscheinlich auch diesen Ursprung. Mit dieser Haltung wird jedoch die Kontroverse um dich verstärkt, was wiederum dazu führt, dass du umso trotziger – zum Beispiel bei einer Autotune-Hook – tust, was andere verurteilen. Eine Art gegenseitige Wechselwirkung.
«Bei vielen Leuten hat man zum Beispiel den Eindruck, sie wären krass arrogant. Aber eigentlich versuchen sie damit nur, ihre Unsicherheit zu verstecken.»
Ist es dir letztlich wirklich egal, was die Hater sagen?
Wenn das so wäre, dann hätte ich es quasi geschafft. Aber das ist wahrscheinlich ein langer Weg, denn letzten Endes ist es einfach menschlich, dass man gemocht werden will. Rückblickend glaube ich aber auch, dass es für meine Kunstfigur und meinen Sound wichtig war, diese Mittelfinger-Attitüde zu entwickeln. Das hat mich schliesslich geformt. Heute bin ich zum Glück so nahe wie nie zuvor an diesem Punkt, wo es für mich nur zählt, wie zufrieden meine Leute und ich mit meiner Musik sind.
Doch es liegt bestimmt auch in deinem Interesse, wenn die Musik auch darüber hinaus ankommt. Trifft davey6000 heute den Nerv der Zeit?
Wer weiss! Wenn’s so ist, geil – wenn nicht, dann ist das halt so. Ich kann das nur begrenzt beeinflussen. Ich mache einfach Sound, der mir gefällt und hoffe natürlich, dass andere die Musik auch mögen.