Unsere Kolumne über CH-Rap in der Krise hat hohe Wellen geschlagen, zahlreiche Wortmeldungen haben uns erreicht. Unter anderem diejenige von A&R und Vorstandsmitglied im Verband der Schweizer Indie-Labels Yanik Stebler. Sein Kommentar zur ehrlichen Situationsanalyse von Luca Thoma: «Wichtiges Thema, aber inhaltlich bin ich nicht ganz einverstanden.» Er führt an, dass die Relevanz der von Spotify kurierten Playlisten, welche seit Monaten nicht mehr aktiv upgedated werden, zu kurz komme. Aber man könne sich darüber ja mal ausführlicher austauschen. Hier kommt der Nachtrag zur aufsehenerregenden Kolumne: Yanik Stebler im Interview über das Playlisten-Game, Geo Lock und Kreativitätslosigkeit im Schweizer Rap.
Yanik Stebler ist seit Jahren in der Musiklandschaft unterwegs: Als A&R betreut er Künstlerinnen und Künstler. Mit dem aufkommen der Streamingdienste hat auch das Playlisten-Pitching in seinem Berufsrepertoire an Dringlichkeit zugenommen. Einfach gesagt ist damit gemeint: Der Versuch, die neuesten Singles in den relevanten Playlisten auf Spotify, Apple Music & co. unterzubringen. Dass solche Platzierungen aus einem Musiker im Handumdrehen eine Szenegrösse machen, ist keine Seltenheit. Vor allem im deutschen Markt haben bereits zahlreiche Künstler vom Spotify-Push profitiert.
Die ganze Kolumne von Luca Thoma kannst du hier nachlesen:
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Das Problem dabei: Die einzig relevante Playlist für hiesige HipHop-Acts, «Schwiizrap» mit über 21’000 Followern, wird seit zirka einem halben Jahr nicht mehr aktualisiert. Mit verheerenden Folgen: Den Musikern wird ein eminent wichtiges Instrument weggenommen, um sich im lauten Musikmarkt behaupten zu können. Die Schweiz droht - im Vergleich zur dominant auftretenden Konkurrenz aus Deutschland, Frankreich und den USA - bei den Konsumentinnen und Konsumenten hierzulande unterzugehen.
Wird nur Rap nicht in den von Spotify kurierten Listen nicht gefeatured? Oder ist das ein generelles Problem in der Schweizer Musikbranche?
Yanik Stebler: «Durch meine Funktion als Vorstandsmitglied bei IndieSuisse (Verband der Schweizer Indie-Labels) weiss ich, dass die komplette Schweizer Musikszene betroffen ist. Die Schweiz ist sehr klein - und durch die vier Landessprachen so oder so ein spezieller Musikmarkt. Deshalb sind wir darauf angewiesen, dass die paar Plattformen, die da sind, auch richtig bewirtschaftet werden. Gerade Mundart-Künstler verlieren sonst wichtige Plattformen, da sie ihre Musik nur schwer exportieren können.»
«Die Streamingdienste machen Umsatz mit der Schweiz, also sollten Schweizer Musiker auch stattfinden dürfen.»
Was ist der Geo Lock?
«Geo Lock bedeutet, dass man die ‹Location› eines Künstlers bei Spotify zum Teil nicht mehr anpassen kann. Das heisst, dass bei manchen Schweizer Künstlern jetzt einfach fix ein Geo Lock auf die Schweiz ist, obwohl der oder die Künstlerin vielleicht in einem anderen Land den Fokus hat und dort vielleicht sogar mehr Fans hat. Dieses Problem ist neu aufgetaucht und wir wissen noch nicht so genau, welche Auswirkungen es hat. Dies betrifft - im Gegensatz zu den fehlenden Mundart-Listen - vor allem die Künstler, die auf den Export angewiesen sind. Anscheinend ist es nun schwerer, Musik aus der Schweiz den internationalen Editoren zu präsentieren und er hat wohl auch Einfluss auf die Algorithmen.»
«Gerade Mundart-Künstler verlieren wichtige Plattformen, da sie ihre Musik nur schwer exportieren können.»
Eher weniger Probleme mit Platzierungen und Export hat Pronto. Mit «Deutschrap Brandneu», Deutschrap Dancehall» und «Shisha Flow» konnte er sich gleich in mehreren internationalen Playlisten festsetzen. Das zeigt sich auch in seinen Zahlen: Über 340’000 monatliche Hörer tummeln sich im Dezember auf seinem Account. Am meisten gehört wird er unter anderem in Hamburg, Stuttgart, Frankfurt und München.
Wie ist der aktuelle Verhandlungsstand mit Spotify?
«Zumindest das zuständige Office ist sich der Situation bewusst, doch bisher wissen wir nicht genau, wie es weitergeht. Auf jeden Fall sind wir in Kontakt. Die Verbände sind nun gefordert, die Labels sollten an ihren Prozessen nichts ändern.»
Du hast auf Instagram angekündigt, in den Verhandlungen mit Spotify auf die nächste Eskalationsstufe zu gehen: Welche Druckmittel hat der Schweizer Musikmarkt zur Verfügung?
«Ich schliesse nicht aus, dass man gezielter die Öffentlichkeit beziehungsweise die Presse über das Thema informieren sollte. Ich finde, die Hörer sollten wissen, dass dies für die Musiker aktuell ein grosses Thema ist. Ausserdem fragen sich auch viele Spotify-Nutzer, wieso Mundart-Listen seit Monaten kein Update mehr erhalten. Die Schweizer Listen haben deshalb auch an Performance verloren, weil sie nicht mehr spannend sind. Hilft der Gang an die Öffentlichkeit nicht, müsste man dann zusammen mit den Musikern weitere Lösungen finden.»
«Die Anpassung der Musik zu Gunsten der Algorithmen der Streamingdienste beobachte ich auch mit Sorge, da die Kreativität darunter leidet.»
Wie erklärst du dir überhaupt, dass Spotify die Schweiz derartig ignoriert?
«Es gab bei Spotify einen Personalwechsel und seitdem ist niemand mehr so richtig zuständig für die Schweiz. Dies dauert nun eben schon ein paar Monate an.»
Wie viele der von uns diskutierten Krisensymptome schreibst du dem fehlenden Spotify-Support zu?
«Wenn eine Plattform wie Spotify Kuratoren im Team hat, welche sich intensiv mit der Schweizer Musikszene befassen, dann könnte dies eine sehr gute Sache sein. Ein gewissenhafter Kurator kann dann auch mal einen Geheimtipp platzieren, sorgfältige Playlists erstellen und er bekommt Strömungen sofort mit. Dies ist nun leider nicht der Fall. Unter dieser Situation leiden aber sowohl Newcomer wie auch Major-Artists aus jedem Genre. Deshalb sehe ich keinen direkten Zusammenhang von Spotify und der «CH-Rap-Krise». Die angesprochene Anpassung der Musik zu Gunsten der Algorithmen der Streamingdienste beobachte ich aber auch mit Sorge, da die Kreativität darunter leidet. Aber auch dies ist nichts Neues. In der Musikgeschichte war es schon immer so, dass sich populäre Musik an den Distributionsweg angepasst hat. Albumlängen an den Platz auf der Vinyl, Songlängen an die Vorgaben der Radios et cetera.»
Musik folgt momentan vielfach einem ähnlichen Muster: Das haben wir bereits in der grossen Cover-Story in der letzten Ausgabe festgestellt: Mehr dazu, wie Deutschrapper wie Capital Bra, Mero oder Bausa sich das Streaming-Game zunutze machen, kannst du hier nachlesen.
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Wo siehst du weitere Gründe für die anhaltende Baisse im Schweizer Rap-Game?
«Ich glaube, dass es der Szene immer noch an Selbstbewusstsein mangelt. Aber dies in einem so kleinen Markt aufzubauen ist eine extreme Herausforderung für die Künstler. Die Produktionen der Schweizer Künstler müssen sich mit Produktionen aus Deutschland, UK und der USA messen können. Wir haben die Grösse des Marktes, aber einfach nicht diese Mittel zur Verfügung und so entsteht ein grosser «Hustle». Langfristig gesehen werden sich in der Schweiz wohl nur «Hustler» durchsetzen, welche ihre volle Leidenschaft reinstecken. Denn der gemütliche Weg funktioniert nicht. Auf dem gemütlichen Weg entsteht nur uninspirierte Musik.»
Denkst du die Schweiz - und damit meine ich die gesamte Rap-Schweiz, nicht nur die grössten fünf Namen - hat überhaupt noch Platz auf dem lauten Streaming-Markt, der bereits in grossen Schritten Richtung Übersättigung läuft?
«Ich finde ja. Einerseits hat die Schweiz eine extrem spannende und vielseitige Musikszene. Gerade im Live-Bereich zeigt sich ja, dass man mit Mundart-Musik auch ein Hallenstadion füllen kann, beispielsweise die Pop-Band «Hecht». Events wie Rap City zeigen zudem, dass auch CH-Rapper vor 3’000 Leuten stehen können und die Leute dazu abgehen. Das Interesse ist also da. Dies sollte sich auch auf Streamingdienste niederschlagen. Rein wirtschaftlich gesehen sollte die Schweiz so oder so auch einen Platz im Streamingmarkt haben. Die Schweiz ist ein Hochpreisland und dementsprechend haben fast alle einen Premium Account, welcher zudem im Vergleich mit anderen Ländern viel kostet. Die Dienste machen also Umsatz mit der Schweiz, also sollten Schweizer Musiker auch stattfinden dürfen.»
An der Rap City Season 03 haben unter anderem Xen, Pronto oder LCone unter Beweis gestellt, wie CH-Rap abreissen kann.