Die Rap-Schweiz schläft. Sie schläft auf viele Artists einer kleinen Szene, welche bereits seit Jahren im Soundcloud-Untergrund am gedeihen ist. Englische Texte in der Schweiz? Das sorgt bei vielen CH-Rap-Fans für Nasenrümpfen. Namen wie Pastelfuneral, MAQ22 oder Paxslim werden deshalb praktisch nicht wahrgenommen, wenn man über Schweizer Urban-Sound redet. Längst überfällig ist es deshalb, diese Artists ins Spotlight zu stellen, denn die Redeweise ist nicht alles, was die nachfolgenden Künstler auszeichnet. Ob Indie-Exkurse, Hyperpop-Einschläge oder Off-Beat-Experimente: Sie alle verwirklichen gerade ihre ganz eigenen Visionen - und haben dabei zumindest das Potenzial, neue CH-Rap-Trends zu setzen. Mich hat der Sound angefixt. Nachfolgend deshalb eine Bestandesaufnahme, welche Künstler es mir besonders angetan haben - mitsamt Fazit, warum sie für mich dermassen viel Potenzial bergen.
Surft man auf dem Instagram-Account von Paxslim herum, lässt sich dieser Kommentar finden: «Pax makes it look easy». Fünf Worte, die das Schaffen des Thurgauers ziemlich präzise herunterbrechen. Paxslim schlurft in Ami-Manier über Trap-Beats, Stimme immer etwas benommen, Flow leicht neben dem Beat. Alles wirkt selbstverständlich - und verdammt cool. Inspiration holt er sich unter anderem von Melo-Trappern aus Übersee wie Duwapkaine oder Sahbabii, meinte der Newcomer gegenüber dem Sterilmagazin.
Den 21-jährigen Zürcher umgibt eine mystische Aura. Seine Musikvideos sind schwierig zu deuten, sein Sound ist ebenso schwierig zu greifen. Dass wir langsam aber sicher ins Post-Genre-Zeitalter schlittern, zeigt MAQ22 beispielslos. Egal in welche Schublade man seine Kunst packen will, es ist nicht zu verkennen, dass er dem Zeitgeist schon einige Schritte voraus ist. Die Frage ist nur, ob die Schweiz hinterherspurtet oder an der nächsten Verzweigung abbiegt.
Sein Debüt ist über das Berliner Kult-Label Life from Earth erschienen. Trotz seines beachtlichen Erfolgs mit «White Rose» hat Jaron Ivy, damals noch Jaron Yung God, die Lanes geswitcht. Neuer Name, neues Umfeld und deutsche Lyrics gegen Englisch ausgetauscht. Es ist 2021 und schmiegsam säuselt der Zürcher, oft mit Unterstützung von seinen Label-Mates von Babylon Music, über die eigens produzierten Beats. Vier Songs sind bereits unter neuem Namen erschienen. Und jeder einzelne unterstreicht das musikalische Gespür von Jaron Ivy.
Konstant neben dem Beat, genau dort rappt Cambridge Nino. Er lässt sich sicher nicht vom Takt befehlen, wie er zu rappen hat. Stattdessen springt er mit Weirdo-Flow auf konfusen Beat-Konstrukten herum. Die skizzenhaften Soundcloud-Tracks, die dabei bis jetzt entstanden, sind bereits catchy - und lassen erahnen, was von diesem Rap-Rookie noch kommen wird.
Die ersten Kapitel seiner Geschichte liegen bereits einige Jahre zurück. Back in '17 beindruckte er als die M4music-Jury dermassen, dass er gleich die Auszeichnung als vielversprechendster Artist einsackte. Die 20 Minuten titelte darauf entsprechend «über Nacht zum nationalen Geheimtipp». Kurz darauf erschien das Debüt-Album «Solar», ein erster Achtungserfolg. Seine Formel, Urban-Music mit Electro-Klängen verfliessen zu lassen, funktioniert heute noch genau wie vor vier Jahren. Mit seinem aktuellen Projekt, der EP «Demons & Dreams», zeigte er, dass er auch mit Akustik-Gitarren und Indie-Einflüssen umgehen kann. Sein Talent will Naim nicht ungenutzt lassen. Vor einem Jahr ist der Künstler mit angolanischen Wurzeln nach Berlin gezogen. Dass das Connecten mit internationalen Acts geklappt hat, lässt ein Blick auf seine Instagram-Follower-Liste erahnen. Dort finden sich (neben dem Who-is-who der CH-Rap-Szene) Namen wie beispielsweise Yun Mufasa oder Sweetboyblondey.
Im Internet lässt sich nur ein Song von Hectic finden - und dieser ist ein erstes Ausrufezeichen. Ein Song, der auch 1:1 aus den Staaten kommen könnte. Ami-Swag x Newcomer-Hunger = Versprechen für die Zukunft?
Chris Karell hat einen langen Weg hinter sich, der sich langsam aber sicher auszahlt. 2018 haben wir Chris Karell als Next-Up-Artist vorgestellt. Das ganze Interview kannst du hier nachlesen. Zwei Jahre später folgte das Debütalbum «The Space Between». Sein erfolgreichster Song zählt mittlerweile über 200‘000 Aufrufe, monatliche Spotify-Hörer*innen hat er über 30‘000. Man hat das Gefühl, Chris Karell steht eine Breakthrough-Single (oder einen Kontakt in der Branche) vor dem grossen Erfolg. Trotz dieser Zahlen ist der Berner nur auf dem Radar weniger CH-Rap-Hörer*innen. Spotify weiss: Die Fans von Chris Karell liegen nicht innerhalb unserer Landesgrenzen. Sie befinden sich in Oslo, Chicago, Amsterdam und so weiter...
Über dieses Zürich-based Trio finden sich nur wenige Infos im Netz. Was aber sicher ist: Ihr Sound wird nicht allen gefallen. Zu abgespaced ist ihr Konzept, welches sich irgendwo zwischen Sci-Fi, Horror und Videospiel-Ästhetik bewegt. Zu konfus die Produktionen. Zu unkonventionell die Flows. Aber wer sich das neue Album «The Game» anhört, taucht in eine neue Welt ein. So abgedroschen es auch klingen mag: So etwas hat die Welt noch nicht gehört. Alt-Rap, der sich dieses Label auch verdient.
Der Vocalist und Produzent mit dem wohl strahlendsten Lächeln schafft es mit seinen Songs eine nahbare Introspektion zu erschaffen. Auf seinen sphärischen Instrumentalen lässt er die Hörer*innen in seinen Kopf, trägt vor, was ihn beschäftigt. Während Mental Health nach wie vor eher ein Tabu-Thema ist, kehrt Pastelfuneral sein Innerstes gegen aussen. Mit seiner progressiven Handschrift und dem versierten Producer-Handwerk macht er sich selbst zu einem Namen mit welchem in Zukunft zu rechnen ist.
Während hiesiger Rap gefühlt stagniert, blüht der Untergrund gerade. Schenkt man den Newcomern, welche nicht mit der 0815-Trap-Formel arbeiten oder über austauschbare Boom bap-Type-Beats Standardbars kicken, Beachtung, muss man sich keine Sorge machen, um das Fortbestehen unseres Lieblingsgenres. Was jetzt noch fehlt, ist die Audience....
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