Wie die Grown-Man-Rap-Welle das Album neu aufwertet
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2020

Kolumne

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Wie die Grown-Man-Rap-Welle das Album neu aufwertet

Luca Thoma
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Wie die Grown-Man-Rap-Welle das Album neu aufwertet
Quelle:
Moritz Keller
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Lange wurde es totgesagt und totgeschrieben, doch die alten Hasen holen das Konzeptalbum wieder ins Game zurück.

Ende 2018 schienen sich alle einig zu sein: Das Album hat ausgedient. Da physische CDs und Platten bald nur noch in Museumsvitrinen zu bewundern sind und die Streaming-Dienste mit ihren Playlisten den Markt zunehmend dominieren, mache das Konzeptalbum keinen Sinn. Als Künstler sei es von nun an ratsam, auf Singles zu setzen.

Ein Jahr später Ende 2019 sah das Resümé anders aus: Totgesagte leben länger — das Album meldete sich eindrücklich zurück. Nicht nur in den Staaten und Deutschland, auch in der Schweiz kamen 2019 und 2020 wieder einige starke Alben auf den Markt, die mehr als eine willkürliche Anordnung von Singles darstellten, sondern durch Konzept und roten Faden zu überzeugen wussten. Medienschaffende und Fans überschlugen sich regelrecht vor Begeisterung.

Woher kommt die neue Faszination fürs Album? Ein wichtiger Faktor in den letzten beiden Jahren war der Umstand, dass sich viele der alten Hasen im Game zurückmeldeten. Dabei zeigten sich diese Künstler nicht saturiert und gelangweilt, sondern suchten neue musikalische Wege, verbanden Altes und Neues. Man denke etwa an Trettmann, Max Herre oder auch die Orsons.

Auch in der Schweiz sind Albumkünstler wieder auf dem Vormarsch. Die Chlyklass etwa meldete sich eindrücklich mit einem neuen Langspieler zurück, auf welchem die Berner zeigten, dass sie keinen Funken Charisma verloren haben und ihr Crewlife auch als «Erwachsene» geniessen. Da wäre natürlich auch Tommy Vercetti, der mit seinem lang erwarteten Album «No 3 Nächt bis Morn» Fans wie Kritiker begeisterte. Darauf scheut sich der selbsternannte «Schnäbiprinz» nicht davor, Themen wie das Vatersein und das regelmässige Windelwechseln ins Zentrum seiner Kunst zu stellen — und es funktioniert. Neben der Berner Fraktion lässt sich auch der Hustle von Maurice Polo dieser Kategorie von Kunst zuordnen — mit einem Extrapunkt für innovative Soundbilder.

«Alte Rapper, die coole Musik machen? Ein Trendwort musste her: Grown-Man-Rap.»

Alte Rapper, die coole Musik machen? Ein Trendwort musste her: «Grown-Man-Rap.» Die Vokabel galt lange als Schimpf- und Stigmawort für HipHop-Opas, Street-Prediger und hängengebliebene Backpacker, doch durch die neue Welle an starker Kunst wurde sie massiv aufgewertet.

Dass vom «Grown Man» und nicht der «Grown Woman» die Rede ist, lässt sich wohl durch den Fakt erklären, dass die meisten aktiven Künstler im Scheinwerferlicht, die über 35 Jahre auf dem Buckel haben, männlich sind. Das Äquivalent zum «Grown Man of HipHop» wäre die «Grande Dame des Raps» – shoutout Big Zis. Nun ist der «Grown-Man-Rap» zur Metapher für die Neuentdeckung des Albums geworden.

«Altersbedingt wird der Fokus weg von Partys und Exzessen zu neuen Themenfeldern gelenkt.» 

Was macht die Kunst dieser «Grown-Man-Rapper» aus? Zum einen lenken diese Künstler, mitunter altersbedingt, den Fokus weg von Partys und Exzessen hin zu neuen Themenfeldern, die ihrem Alltag als Familienväter und OGs geschuldet sind. Dabei behandeln sie auch grosse philosophische Themen wie Liebe, Vertrauen oder Tod, allerdings nicht mit dem belehrenden Gestus eines HipHop-Opas, sondern durch exakte, smarte Worte, durch eine gewisse Weisheit und Umsichtigkeit, durch eine bewusste Reduktion grosser Themen auf einfache Schlagworte und Metaphern. So entsteht Kunst.

Natürlich bleiben hier viele Fragen offen. Hält die Grown-Man-Rap-Welle an? Es ist zu hoffen, da immer mehr talentierte MCs in die Jahre kommen. Kann man auch als 20-Jähriger «Grown-Up-Rap» machen? Wahrscheinlich schon: Kunst ist keine Frage des Alters, aber Künstler wie JAMAL, davey6000, Luuk oder Hainan haben in den letzten Monaten bewiesen, dass man auch tolle Alben machen kann, die nicht in die «Grown Man»-Kategorie passen. Die wichtigsten Elemente für ein gutes Album bleiben am Ende des Tages Charakter, gute Geschichten, ein stimmiges Soundbild und eine ordentliche Spur Authentizität. Bitte mehr davon!

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