«Meisterwerk», «spannende Texte», «Sensation»: Das mediale Echo auf das neue Album von Milchmaa war überwältigend. Egal ob die NZZ, SRF, die WOZ oder auch dieses nischige HipHop-Magazin – der gesamte Feuilleton hat «-muat» frenetisch Beifall geklatscht. Sogar in Deutschland wurde dem Bündner auf laut.de Respekt gezollt. Zu Recht, denn der Bündner Rapper hat nach langer Pause eine Scheibe veröffentlicht, die Schweizer Rap anno 21 mal wieder aufzeigt, dass echte Charakterköpfe mit dringlichen, liebevoll geschriebenen Lyrics eine Seltenheit geworden sind.
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Doch obwohl der Langspieler der Bündner Freestyle-Legende ausführlich in allen denkbaren Medien besprochen wurde, hat sich diese Aufmerksamkeit nicht in besonders prickelnden Verkaufszahlen oder in einer drastisch vergrösserten Fanbase niedergeschlagen. In der ersten Chartwoche stieg das Album auf Platz 17 ein und rutschte in der zweiten Woche bereits auf Rang 61 herab. Sein Fazit: «ernüchternd». Und als der Bündner seine Hörer Ende April auf Facebook nach ihrem Lieblingssong fragte, antworteten ihm sage und schreibe 4 (!) Nasen.
Es geht mir hier nicht darum, in der Wunde zu bohren. «Numbers do the talking» ist wohl für kaum einen Schweizer MC ein Motto, das ich ihm oder ihr ans Herzen legen würde und der Mini-Flop in den Charts rüttelt auch nicht an Milchmaas Standing als Ausnahme-Künstler in der Schweizer Rapszene. Er war schliesslich schon immer mehr der go-to-guy für Musikliebhaber und Rap-Nerds als der gefeierte Star der breiten Masse. Vielmehr zeigt dieser enorme «Gap» zwischen medialer Aufmerksamkeit und dem mageren Erfolg jedoch eindrücklich auf, dass die klassische Album-Promo 2021 für die meisten Künstler*innen ausgedient zu haben scheint.
Früher war es ziemlich einfach: Man produzierte ein Album, releaste 2, 3 Singles im Vorfeld, sicherte sich über das Netzwerk oder die Labelstrukturen einige Interviews und Artikel in den etablierten Medien und kündigte eine Tour an. Nun konnte man getrost die Füsse hochlegen und abwarten, viel mehr gab es schlicht nicht zu tun. Mittlerweile haben die Künstler*innen durch die sozialen Medien jedoch völlig neue Möglichkeiten, sich selbst und ihre Kunst zu promoten. Doch das hat mittlerweile auch zu einem veränderten Anspruch bei vielen Fans geführt: Sie wollen nicht «nur» Musik, sie wollen Stories, Nähe zu den Artists, Fun, Entertainment – und das rund um die Uhr.
Wie man sich diese Mechanismen zu eigen machen, einen Hype kreieren und richtig viel Aufmerksamkeit generieren kann, hat EAZ praktisch zeitgleich zu Milchmaas Album-Flop gezeigt. Die Streetrap-Ikone aus Wetzikon hätte ihren neuen Song «Bonnie & Clyde 2» kommentarlos auf Spotify und Youtube schmeissen können, doch der gewitzte Geschäftsmann überlegte sich einen Promo-Stunt: Er streute Ende Februar eine kurze Hörprobe der Single auf TikTok, die bei seinen Fans die Vorfreude steigerte.
Noch bevor der Song herauskam, kursierten auf der Plattform etliche Videos mit EAZ-Anhänger*innen, die zu den «geleakten» Takten Hanteln pumpten, tanzten oder Lip-Sync-Choreos ausprobierten. Das war natürlich kein völlig neuer Geniestreich – Drake und Loredana lassen grüssen – führte aber dazu, dass die halbe Rap-Schweiz die Single bei ihrer Veröffentlichung auf dem Schirm hatte und bescherte «Bonnie & Clyde 2» innert kurzer Zeit die über 100'000 Streams. Sensationell.
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Wer an dieser Stelle mit dem Argument intervenieren möchte, dass die Gegenüberstellung von derart unterschiedlichen Artists dem berühmten Vergleich von Äpfeln und Birnen gleichkommt: Der Wetziker ist natürlich nicht der einzige MC, der die sozialen Medien geschickt zu nutzen versteht. So hat etwa Mimiks, der Milchmaa in seinem Selbstverständnis als Künstler wohl deutlich näher ist, mit seinem neuen Twitter-Grind ebenfalls viel Beachtung gefunden und es geschafft, sein bisweilen etwas steifes Image gründlich aufzuweichen. Oder man denke an an die witzigen Insta-Storys von LCone, die seinen Entertainer-Status untermauerten.
Zurück also zu den vermeintlichen Äpfeln und Birnen: Natürlich hat EAZ generell eine breitere Fanbase als Milchmaa, aber die derart unterschiedlich verlaufenden Erfolgskurven ihrer Projekte sind überhaupt keine Selbstverständlichkeit. Sie zeigen jedoch, dass Promo 2021 völlig anders funktioniert als noch wenige Jahre zuvor. Damals war ein NZZ-Artikel noch Gold wert, heute kann dagegen ein TikTok-Hype der Schlüssel zum Erfolg sein. Im Grunde keine schlechte Entwicklung, denn sie kreiert neue Kanäle und hat eine emanzipatorische Komponente: Ein Wetziker Strassenrapper, über den wohl auch heute viele Feuilletonist*innen noch die Nase rümpfen würden, kann grosse Erfolge feiern, ohne auf Meinungsmacher*innen in den Medienhäusern angewiesen zu sein – und ein Kleinkunst-MC wie Milchmaa wird sich trotz der ertragsarmen Promo sehr über die Anerkennung im NZZ-Artikel gefreut haben.