Acht Jahre nach «-ic» folgt «-muat». Abermals wird ein Suffix zum Titel, abermals geht’s um die Secondo-Identität. Ein Ausschnitt des Kosmaj-Monuments für die serbischen Partisanen und eine gemusterte Balkanwolldecke zieren das Albumcover. Doch nostalgisch angehauchter Patriotismus steht nicht auf dem Programm: «Es wird Ziit das miar unbequemi Frage entlich ufwerfen, usbrechen, überlieferti Denkmuster ufbrechen», rappt Milchmaa auf «Balkan-Nathan» und richtet sich damit deutlich an seine Balkandiaspora. Mit derselben Ernsthaftigkeit entpuppt er auch die nach wie vor doppelmoralische Auslegung von Integration («Subito»), reflektiert die ambivalente Beziehung zu seinem fehlenden Vater («Montenegro») und zeigt, was «Amuat», «Demuat» und «Wehmuat» mit seiner Geschichte zu tun haben.
Digital Rap Immigrant
Mit Rap begonnen hat der 1984 geborene Churer Anfang des Jahrtausends. Als Teil der «Digital Rap Immigrants» stellen das Rappen «im Rümli» sowie Freestyle Battles und nicht YouTube-Tutorials die Lehrstätten der Kultur dar. Mit seinen EPs «Balkan Troubles» – schon damals mit Samples aus dem Raum Südosteuropas – und der Podrum-Reihe I-IV zeigte er sich als hungriger MC aus dem Churer Rheinquartier, als das Rap-Bünderland mit der Bauers-Formation bereits stark auf der Karte vertreten war. Besonders angetan war Milchmaa von den kompetitiven Wortfetzereien: Nach diversen Podestplätzen an Battle-Rap-Events Ende der 2000er machte er sich mit seinen technisch herausragenden Skills rasch einen Namen. Kaum überraschend war er ein nicht wegzudenkendes Gründungsmitglied der Freestyle Convention – ein von 2007 bis 2015 rumtourendes, legendäres Live-Format, das sich der spontanen Reimkunst auf besonders anspruchsvolle und unterhaltende Art widmete.
«Texte schreiben ist ein bisschen wie mit Lego bauen.»
Exponent, nicht Exponat
«-ic» brachte er im Jahr 2013 auf den damals noch relativ stabilen Markt für physische Tonträger. Die harte Arbeit und künstlerische Tiefe machten sich bereits im Vorfeld bezahlt: Chur belohnte ihn 2010 für sein Engagement im Bereich Musik und Integration mit dem Kulturförderpreis. Das Debutalbum handelt von seinen Wurzeln, der Gastarbeitergeschichte seiner Eltern, von seiner Diaspora-Identität. Obwohl seine Pressetexte zum Album, so Milchmaa heute, durchaus als Steilvorlage dienten, hat das Release einen weiteren, ernüchternden Preis: Statt Milchmaa als begnadeten Rapper mit spannendem Album zu portraitieren, wird Goran Vulovic, der nach der Matura Geschichte und Germanistik studierte, medial auf den Vorzeigeausländer reduziert. Das mitschwingende Narrativ: Seht, einer der sich tatsächlich integriert hat.
Zu «-muat»
Bis zum aktuellen Release vergehen acht Jahre. Milchmaa nimmt sich Zeit. Sowohl für die Kunst wie auch für die dafür notwendigen Ressourcen: Einnahmen aus «-ic» sind einige da, der Streamingboom steht erst noch bevor. Trotzdem investiert er zwei Jahre, um Kulturgelder fürs nächste Projekt zu sammeln. Schweizer Rap-Alben sind in der Regel Geldschlucker, keine Goldesel. Doch der lange Atem und sein strategisches Geschick sorgen zumindest nicht für die Flaute im eigenen Portemonnaie: «Mein Kredo war schon immer, dass ich meinen Lohn nicht in die Musik investiere. Meine Musik soll sich selbst finanzieren. Dank den Kulturgeldern war dies möglich»
Eigene Visitenkarte
«Lieber zeitnah, als zeitgemäss» sagt Milchmaa zu HSA, der dem Album den letzten Schliff verpasste. Denn «-muat» soll weder verstaubt noch nach Generika klingen: «Als Rapper in meinem Alter ist es enorm wichtig, eine eigene musikalische Visitenkarte kreiert zu haben, sonst verlierst du dich in der Irrelevanz.» Dazu geht der Churer Rapper gezielt auf Produzenten zu, lässt etwa seine Connection zur serbischen Szene walten. Dann das Kollektiv Anemonen Entertainment, seine alten Weggefährten, sie produzieren kaum für andere und haben einen speziellen Stil. DJO – «DER Schweizer Produzent, wenn es ums Sample-Flipping geht» – tut was am er besten kann, erhält dazu aber die von Milchmaa gesammelten Sample-Originale.
«Früher war ich ein krasser Kontrollfreak, heute bin ich froh, auch mal delegieren zu können.»
In der Musikalität, so Goran, liege am ehesten seine Schwachstelle. Also wird«-muat» um eine weitere, dankbare Klangfarbe reicher: Hannes Barfuss, ein junger Churer Vollblutmusiker aus dem Elektro-/Indiepop-Bereich, erhält sämtliche Songskizzen Milchmaas – und steuert neben einem überraschenden Rap-Verse mehrere Refrains bei. «Hannes ist nicht nur sehr cool drauf und hat eine charismatische Stimme, er ‘checkt’ Musik – auch Rap – auf einem enorm hohen Level.» Mit «-muat» liefert der Churer ein in sich geschlossenes Werk ab. So ist es kein Zufall, dass das Album ohne langwierige Vorab-Promo und auf einen Schlag mit den fünf relevanten und aufwändigen Videoauskopplungen erscheint: «Meine Fans sollen sofort – und nicht auf Raten – befriedigt werden.»
Der Albumtitel «-muat» ergibt sich konzeptionell aus den drei wichtigen Songs «Amuat», «Wehmuat» und «Demuat». «Wehmuat» hat offensichtlich mit deiner Diaspora-Biografie zu tun. Wie kam es zu den beiden anderen Songs? Schliesslich sind Anmut und Demut Worte, die mir gerade in Rap-Lyrics nicht sehr oft begegnen…
(grübelt) Ich glaube meine besten Texte sind diejenigen, bei denen ich nicht mehr genau weiss, wie sie entstanden sind (lacht)… Anmut gefällt mir als Wort und ist mir in der Literatur immer wieder begegnet. Ich fand den Beat dazu irgendwie anmutig und dann sind mir die Überlegungen dazu zugeflogen. Ich habe mich hauptsächlich damit auseinandergesetzt, dass in unserer Dienstleistungsgesellschaft Anmut ein bisschen verloren geht.
«Strassenarbeit besitzt mehr Anmut als mit Anzug und Krawatte vor dem PC Aktienverläufe zu beobachten»
Geht es auf «Amuat» nicht auch um Identität, um den Verlust einer kulturellen Anmut?
Nein, gar nicht. Mit «wir» meine ich uns alle. «Sie hend üs üsra Amuat beraubt» meint das tagtägliche Pendeln, am Abend erschöpft vor Netflix zu hängen, acht Stunden am Tag in einen Bildschirm zu glotzen, das alles ist nicht anmutig – und doch ist es das, was die meisten Menschen heutzutage machen müssen. Gleichzeitig haben körperliche, handwerkliche Tätigkeiten, die für mich sehr anmutig sind, in unserer Gesellschaft kaum Anerkennung verdient und werden uns dann als «Armuat verkauft».
Verstehe…
Ich erinnere mich noch gut an die verruchten Hände meines Grossvaters, die weichen Bewegungen, mit denen er die Heuballen packte und in den Stall geschleppt hat… Strassenarbeit hat mehr Anmut als mit Anzug und Krawatte vor dem PC Aktienverläufe zu beobachten. Pflegekräfte machen nicht nur einen gesellschaftlich wichtigen Job. Es ist auch anmutig, wenn du siehst, wie jemand einer älteren Frau, die sich kaum mehr bewegen kann, die Haare wäscht. Das sind schlicht schöne menschliche Momente, die ein Vielfaches davon ‘verdienen’, wie jemand, der gerade mit Mausklicks Millionen generiert.
«Mein Zenit ist erreicht – und das ist auch gut so.»
Und Demut?
Demut finde ich auch ein sehr schönes Wort und inhaltlich spannend – bei diesen beiden Worten sind ganze Gefühlspaletten dahinter. Ich möchte demütig sein, sowohl auf dem Album wie auch mir gegenüber. Es geht nichtmehr aufwärts, mein Zenit ist erreicht – und das ist auch gut so (grinst demütig). Das war ein wichtiger ‘Moment of Clarity’ für mich – wenn du dir als Rapper eingestehen kannst, dass deine besten Jahre gewesen sind. Ständig in der Wolke zu leben, ist ja auch eine typische Rapper-Krankheit – sie ist quasi genre-inherent. Irgendwann muss jedoch der Punkt kommen, an dem ein bisschen mehr Realismus und Demut angebracht ist.
Gilt das auch dem Menschen Goran?
Klar. Demut hat für mich auch viel mit Würde zu tun. In Würde zu altern beispielsweise heisst auch zufrieden und dankbar dafür zu sein, wer man ist und was man hat. Ständig nach der Krone zu streben – um wieder auf Rap zurückzukommen – wirkt verkrampft und frustriert, und ist damit nicht mehr würdevoll…
Abgesehen davon ist es auch als Hörer*in irgendwann nicht mehr so reizvoll…
Das kommt noch dazu, genau! (lacht) Bescheidenheit ist eine Tugend, die Rapper*innen über 30 nur guttun kann, ganz egal wie viel Aufmerksamkeit man kriegt.
Um nicht in die gleiche persönliche Kerbe zu schlagen, wie du es auf «Exponat» schilderst: Im Jugendtreff, in dem ich arbeite, verkehren nach wie vor wahrscheinlich mehr «-ics» – welche zumindest auf dem ersten Bildungsweg keine akademische Ausbildung anvisieren – als bei dir in der Gymi-Klasse. Dass dies nicht im eigentlichen Sinne mit der Herkunft zu tun, sondern sozialstrukturelle Gründe hat, ist klar. Was braucht es, dass wir als Gesellschaft von Diskriminierung und Marginalisierung wegkommen und Chancengleichheit wirklich umsetzen?
Du hast Recht: Chancengleichheit gibt es in der Schweiz nicht. Eltern, die ihren Kindern Gymi-Vorbereitungskurse zahlen können, steigern damit ihre Aufnahmechancen signifikant. Sozialschwache – und diese Eigenschaft korreliert mit der Migrationsgeschichte – haben keine vergleichbaren Chancen. Doch anstatt aus dieser gesellschaftsstrukturellen, politischen Perspektive – mit dieser habe ich mich auf «-ic» zur Genüge auseinandergesetzt – möchte ich aus der Perspektive heraus antworten, die ich auch auf «-muat» einnehme. Denn Integration muss von beiden Seiten her passieren, lassen wir uns fairerweise auch die andere Seite anschauen…
Jetzt bin ich gespannt…
Was muss bei uns Migranten der 2. und 3. Generation aus dem Westbalkan passieren, damit sich etwas verändert? Weshalb bleibt die Motivation vieler «-ics» aus, ein Studium abzuschliessen?
«Es geht nicht darum Kinder an die Kanti zu zwingen, sondern ihnen ihre Möglichkeiten aufzuzeigen und sie dann bei egal welchem Weg bedingungslos zu unterstützen.»
Was denkst du?
Eltern schnallen nicht nur das Schulsystem nicht, sie interessieren sich zum Teil gar nicht dafür. Da helfen strukturelle Verbesserungen auch nicht. Wir haben eine dritte, teilweise schon eine vierte Generation von Migranten aus dem Westbalkan in der Schweiz. Dass die Eltern der ersten Generation von ihren Kindern verlangen, eine Lehre zu machen und Geld nach Hause zu bringen, muss man verstehen. Ich verstehe jedoch nicht, weshalb die darauffolgenden Generationen ihren Heranwachsenden nicht andere Werte mitgeben. Es geht nicht darum, Kinder an die Kanti zu zwingen, sondern vielmehr darum, ihnen ihre Möglichkeiten und dessen Bedeutungen für ihr Leben aufzuzeigen und sie dann bei egal welchem Weg bedingungslos zu unterstützen.
Dennoch scheint die Nähe zur Bildung noch nicht gleichermassen angekommen zu sein…
Das Schweizer Bildungssystem ist dankbar: Vieles ist auf Umwegen zu erreichen. Dazu ist es ausgesprochen transparent. Wenn man möchte, kann man sich die nötigen Information und das Verständnis dazu an einem Abend zusammentragen. Hier aufzuwachsen und seine Kinder später nicht adäquat über ihre Bildungsmöglichkeiten aufzuklären kritisiere ich scharf. Einfach zu sagen, man habe die Chancengleichheit nicht gehabt, ist für die zweite und dritte Generation eine Ausrede. Dieser Teufelskreislauf der Bildungsferne kann nicht nur vom Staat aufgehoben werden.
«Ich wünsche mir einen Rezipienten, der so ist, wie ich es bin»
Auf «SETI» definierst du deine gewünschte Zielgruppe, das hört man selten. Du möchtest «kein halbstarka Azzlack-Aff», der dich über die Lautsprecher auf Klassenfahrt hört, ansprechen. Ist das nicht etwas herablassend?
Einverstanden, das ist die schlechteste Line auf dem Album. Ich finde sie wirkt etwas hochnäsig und elitär – da habe ich zugunsten des Reims gewichtet. Ich will nur vermeiden, dass jemand meine Musik hört, um cool zu wirken. Da geht es sehr schnell um den Status, den Lifestyle und weniger um die eigentliche Musik. Ich wünsche mir Rezipienten, die eher so sind, wie ich es bin; die nicht viel von Oberflächlichkeit halten und zu einem gewissen Grad vielleicht sogar Einzelgänger*innen sind.
Milchmaa ist bekannt für seine technische Finesse, führ mehrsilbige Reimketten mitsamt Message. Wie entstehen solche Kreationen konkret?
Meistens beginne ich mit einem Statement und baue darum herum. Ich überlege, auf welche Weise ich diese Aussage treffen kann und erstelle erste Listen mit Wortgruppen, die sich darauf reimen – schliesslich ist es ein bisschen wie mit Lego bauen (lacht). Also auch ein langwieriger Prozess, oft lasse ich Lines monatelang liegen, bis mir plötzlich das fehlende Wort zufliegt.
Da steckt enorm viel Zeit drin…
Es ist auch ein Fluch! CBN, einer meiner Lieblingsrapper, ich kenne ihn wirklich schon lange, hatte auch lange diesen technischen Anspruch an seine Raps. Irgendwann gab es bei ihm diesen Turnaround: Er begann simpel zu reimen und dennoch inhaltlich anspruchsvoll zu bleiben. Deshalb finde ich ihn so krass, weil er es geschafft hat, sich zu limitieren und dadurch besser wurde. Leider traue ich mich nicht dazu…
[artikel=1]
«Tartuffe» beschäftigt sich mit dem Balkan-Konflikt, der noch heute Emotionen weckt. In der ersten Strophe rappst du vor allem darüber, dass sich solche Kämpfe online austragen. Wie meinst du das?
Damit meine ich in erster Linie Begegnungen im Rahmen internationaler Fussballmeisterschaften – wie auch immer die Konstellation genau sein mag; ob Serbien gegen CH – es gibt bestimmt ein Online-Gemetzel. Richtig schlimm und befremdlich für mich. Den Nationalismus und Chauvinismus in der zweiten und dritten Generation finde ich echt schrecklich. Ich kritisiere das schon länger und wollte dem deshalb einen Titel widmen.
Jetzt wo du es sagst: In der Jugendarbeit organisierten wir damals, als die Schweiz gegen Serbien spielte, ein Public Viewing, welches hoch emotional endete. Die Kids brachten Flaggen von Albanien oder Serbien mit. Am Schluss gab es Streit und Tränen…
(verärgert) Genau das meine ich. Diese Kids sind bestimmt alle in der Schweiz geboren, oder?
Ja…
(wendet sich an sie) Warum zum Teufel rennst du überhaupt mit diesen Flaggen rum, was soll dieser Scheiss? Klar, deine Eltern kommen aus diesem Land. Aber bist du in irgendeiner Weise beteiligt am gesellschaftlichen Leben dort? Nein – es geht nur um eine leere Symbolik! Das ist verheerend, denn diese Symbolik baut auf Unterschiedlichkeit, Dominanz und darauf vermeintlich Schwächere runter zu machen. Bei der ersten Generation, die dort aufgewachsen, die vielleicht im Militär war, dem Staat gar die Ausbildung verdankt – okay, da sind gewisse patriotische Gefühle nachzuvollziehen, aber nicht bei der zweiten und dritten Generation, die oft kaum effektives Wissen über diese Geschichte und Gesellschaft dieser Staaten mitbringt.
«Es darf schlicht nicht sein, dass die dritte Generation irgendwelche Konflikte auslöst, welche die erste Generation verursachte oder beteiligt war.»
Für mich hört das Verständnis schon bei Lokalpatriotismus auf. Als würden da verschiedene Lebensrealitäten aufeinanderprallen, wenn Fans zweier Agglo-Gemeinden aufeinandertreffen, welche nur wenige Kilometer auseinanderliegen…
Absolut! Es nervt mich halt auch, weil ich selbst Kinder habe, die hier aufwachsen. Ich möchte nicht, dass meine Kinder eines Tages auf diese Weise mit diesen Kriegen aus den 90ern konfrontiert werden, wo sie wirklich gar nichts damit zu tun haben. Es ist schlicht eine Horrorvorstellung, dass mein Kind von einem anderen Kind hören muss, es wäre was-auch-immer und müsse sich für Taten aus einem Krieg, bei dem es nie dabei war, rechtfertigen. Es darf schlicht nicht sein, dass die dritte Generation Konflikte austrägt, welche die erste Generation verursachte und woran diese beteiligt war. Das ist dumm und gefährlich.
Ein Grossteil der Texte für «-muat» wurde bereits vor Jahren geschrieben. Gleichzeitig sagst du, schreiben sei ein täglicher Prozess. Das müsste also heissen, dass wir ein weiteres Release erwarten dürfen?
Nah, nein. (lacht) Gleich nach einem Release kann man das so wohl nicht sagen. Es macht auf jeden Fall nach wie vor Spass! Und sollte sich das in den nächsten Jahren ändern, würde mir Zeit, Lust oder Motivation fehlen, bin ich froh, «-muat» als potenziell letztes Album – mit dem ich voll zufrieden bin – hinterlassen zu haben.
[artikel=2]