Wie sich rechtspopulistisches Gedankengut im Rap einschleicht
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July
2020

Fler, du bist doch nicht mehr richtig HipHop

Wie sich rechtspopulistisches Gedankengut im Rap einschleicht

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July
2020

Fler, du bist doch nicht mehr richtig HipHop

Wie sich rechtspopulistisches Gedankengut im Rap einschleicht

Yosina Koster
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Wie sich rechtspopulistisches Gedankengut im Rap einschleicht
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Der Sommer 2020 ist voller Ungewissheiten – ist der Gegenstand auf diesem Bild wirklich echt oder eigentlich Kuchen? Und welche Rapper*innen die wir feiern outen sich als Nächstes als Verschwörungsanhänger*innen mit problematischem Gedankengut? Was haben die Verschwörungsmythen eigentlich mit rechtem Gedankengut zu tun und wie passt das in die HipHop-Szene?

Über Verschwörungsmythen wird in den Medien viel berichtet. Und ja, ich nenne sie «Verschwörungsmythen» statt «Verschwörungstheorien», da die kursierenden Geschichten nichts mit empirisch belegbaren und faktenbasierten wissenschaftlichen Theorien zu tun haben. Die Verschwörungsmythen dürften wohl die erste Gemeinsamkeit zwischen Bünzli-Boomern und Rapper*innen sein, denn während die CH-Rapszene soweit von bösen Verschwörungs-Outings verschont bleibt, bekennen sich in Deutschland mehr Rapper*innen zu diesem gefährlichen Phänomen. Als Paradebeispiel wird hier Fler aufgeführt, der sich in einem Interview mit Staiger nicht nur als krassen Bünzli zeigte, sondern auch mit der Solidarität zu bekannten Verschwörungsanhängern nicht zurückhielt.

«Verschwörungsmythen dürften wohl die erste Gemeinsamkeit zwischen Bünzli-Boomern und Rapper*innen sein.»

ab Min. 56:22 spricht Fler darüber, wie vorschnell mit der Aluhut-Keule geschlagen wird: 

Rapper*innen und Verschwörungsmythen – eine Liebesgeschichte mit Vergangenheit

Dass sich Rapper*innen besonders zu Verschwörungsmythen hingezogen fühlen, ist ebenfalls kein neues Thema. Unser Journalist Luca Thoma hat mit Knackeboul bereits ein aufschlussreiches Interview hierzu geführt und auch der Youtuber Walulis erklärt das Phänomen sehr gut.

[artikel=1]

Wie aber diverse deutsche Rap-Journalist*innen in einem Interview mit Malcolm Ohanwe bei Bayern 2 schon betonten, ist der Hang zu Verschwörungsmythen keineswegs ein Problem, das nur der Rap-Community zuzuschreiben ist. Rap ist, wie immer, ein Spiegel der Gesellschaft und da Verschwörungsmythen inzwischen wohl oder übel Teil dieser geworden sind, sind auch diese im Rap vertreten. Durch die grosse Reichweite der Rapper*innen fällt es hier mehr auf, als wenn die Nachbarin Frau Müller für ihre 50 Facebook-Freunde über Verschwörungsmythen postet. Auch das Ego der Rapper*innen dürfte hier eine Rolle spielen – schliesslich leben Verschwörungsmythen davon, dass sich ihre Anhänger*innen selber dafür auf die Schulter klopfen können, dass sie die einzigen Erwachten sind, die die wahren Zusammenhänge des Weltgeschehens durchblickt haben.

Knackeboul macht seit Jahren auf die Problematik der Verschwörungsmythen aufmerksam und macht auf seinem Youtube-Kanal «KnackTV» wichtige Aufklärungsarbeit. Er schafft es, das komplexe Phänomen der Verschwörungsmythen zu erklären und entkräften.

«Die Kritik am Establishment, an Machtstrukturen und an Repression der Marginalisierten ist, was HipHop im Kern der Kultur ausmacht.»

Das Rezept für Verschwörungsmythen

Eine wichtige Grundlage für unsere und jede Gesellschaft ist die gemeinsame Einigung, dass gewisse Tatsachen allgemein als «wahr» anerkannt werden, wobei ständiges kritisches Hinterfragen für diese Stabilität natürlich unerlässlich ist. Was aber, wenn plötzlich behauptet wird, dass alles was wir soweit als «wahr» anerkannt haben, doch nicht mehr wahr ist? Dieser Tabubruch ist es, der die Verschwörungsmythen ausmacht. Wird diese gesellschaftliche und wissenschaftliche Grenze überschritten, ist plötzlich alles möglich. Den Holocaust? Hat es nie gegeben. Impfstoffe? Werden aus abgetriebenen Föten gemacht und sind nur dazu da, uns Chips zu implantieren. Jede absurde Behauptung ist nun möglich, denn diese Parallelwelt hat so wenig Anknüpfungspunkte zur Realität, dass sie in sich geschlossen Sinn macht und reale Argumente keinen Zweck mehr haben, denn: Wenn es Beweise gegen die Verschwörungsmythen gibt, dann zählen sie nicht. «Die Bösen» haben die Beweise gefälscht. Wenn es keine Beweise für die Verschwörungsmythen gibt, dann zählt das auch nicht, denn «die Bösen» haben sie verschwinden lassen. Ziemlich frustrierend das Ganze.

Sido philosophiert ab Min. 19:10 übers Kinderbluttrinken, die Rothschilds und reiche, mächtige Männer: 

Einer der grossen Vorteile der Wissenschaft ist, dass sie sich konstant neuen Erkenntnissen und Methoden anpasst. Die Freiheit auch mal falsch zu liegen und Fehler zu korrigieren lässt der Wissenschaft Raum für Fortschritt. Wenn in der Wissenschaft davon ausgegangen wird, dass es nur weisse Schwäne gibt und dann ein schwarzer Schwan auftaucht, kann die Wissenschaft diese neue Information aufnehmen, sich korrigieren und sich aufgrund der neuen Erkenntnisse weiterentwickeln. Bei Verschwörungsideologien gibt es diese Option nicht, an einmal festgelegten Einstellungen wird verbissen festgehalten, widersprüchliche neue Erkenntnisse werden geleugnet: Der neu aufgetauchte schwarze Schwan ist dann einfach eine Manipulation durch die Bösen. Kein Wunder, dass diese Menschen Mühe haben mit den ständigen neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über COVID-19.

«Nach klassisch rechtsextremem Muster werden Minderheiten zum Sündenbock gemacht, kritische Stimmen werden direkt gelöscht, geblockt oder schlimmer.»

Über diesen Artikel würden die Verschwörungsanhänger*innen wahrscheinlich entweder behaupten, dass ich für meine Worte von «den Bösen» bezahlt werde oder dass ich einer Gehirnwäsche unterzogen wurde und deshalb «die Wahrheit» nicht sehen kann. Natürlich werde ich hierfür nicht bezahlt und tatsächlich basieren meine Aussagen auf persönlicher Erfahrung. Seit Monaten beobachte ich in einem Telegram-Chat die Gruppe «Corona Rebellen», die stark von Verschwörungsmythen geprägt ist. Wie es in einem solchen Chat zu und her geht, hat eine Gruppe Aktivist*innen in einem Blog sehr treffend festgehalten.

Das wahre Übel der Verschwörungsmythen

Was ist denn eigentlich so schlimm an Verschwörungsmythen? Es geht mir nicht darum, dass jedes Hinterfragen und Denken abseits des Mainstreams verteufelt werden soll. Natürlich ist es legitim, kritisch gegenüber 5G, ContactTracing oder einer Impfung zu sein. Wenn jemand einen cleveren Reim auf «Chemtrails» rappt, dann ist die Frage berechtigt, ob solche Bars im aktuellen Klima hilfreich sind, den Verschwörungsmythen verfallen, sind die Rapper*innen dahinter noch lange nicht. Genau die Kritik am Establishment, an Machtstrukturen und an Repression der Marginalisierten ist auch, was HipHop im Kern der Kultur ausmacht.

«Entschuldige für die Wortwahl, Madame! / Schmeiß’ die Kamera an, eine Welt ohne Chemtrails»

Gefährlich werden Verschwörungsmythen aber dann, wenn von der Angst profitiert wird. Genau das ist es, was in den Verschwörungsmythen-Chats jeden Tag passiert – unzählige Schreckensnachrichten füllen die Chats ununterbrochen. Und als ob das tatsächlich festgestellte Elend auf der Welt nicht ausreichen würde, kommen jede Menge erfundener Horrorstories hinzu. Hinter dieser Angstmacherei stehen Personen, die davon profitieren. Sei es finanziell, indem sie ihre Produkte bewerben, politisch oder einfach nur für den eigenen Ego-Kick. Genau das ist es, was die Bewegung rechtspopulistisch macht. Komplexe Zusammenhänge werden mit verdächtig einfachen Erklärungen präsentiert, die Angst bestimmt das Klima.

Im Vakuum des Tabubruchs wird ein Weltuntergangsszenario gemalt und die Akteur*innen dahinter prophezeien eine Lösung in Form von Umsturzfantasien und gewaltsamer Machtübernahme. Dass Gewalt und Hetze durch Verschwörungsmythen legitimiert wird, die eine Minderheit als böse Gefahr darstellt, ist eine uralte Taktik. Dass der jüdischen Community für Missstände wie die Pest oder finanzielle Krisen die Schuld zugeschoben wird, passiert mindestens schon seit dem Mittelalter. Auch Hitler hat damals von einem Verschwörungsmythos Gebrauch gemacht: der «jüdischen Weltverschwörung».

Persönliche Erfahrungen mit Antisemitismus im deutschen Rap weiss Ben Salomo im Interview zu berichten: 

[artikel=2]

Wie ihr euch bereits denken könnt, sind antisemitische Verschwörungstheorien unter dem Deckmantel der «Elitenkritik» in der Verschwörungsmythen-Szene und bei diversen deutschen Rapper*innen auch jetzt hoch im Kurs.

Nach klassisch rechtsextremem Muster werden Minderheiten zum Sündenbock gemacht, kritische Stimmen werden direkt gelöscht, geblockt oder schlimmer.
Das Komplizierte an dieser Szene ist, dass sich verschiedene Menschen und Ideologien darin vereinen. So finden sich in ihr auch viele linke Ansätze. Klar, mein linkes Zeckenherz schlägt höher, wenn es darum geht, Nestlé von den Feldern zu jagen, Kapitalismus zu kritisieren und gegen das Establishment zu sein. Und doch könnte ich mich trotz der gemeinsamen Anliegen nie auf die Seite von Menschen stellen, die vor der Taktik des Sündenbocksuchens nicht zurückschrecken und die gegen Schwächere und gegen Minderheiten schiessen, anstatt diese in Schutz zu nehmen. Dies widerspricht nicht nur meiner politischen Überzeugung sondern auch der Mentalität von HipHop.

«Wir müssen anerkennen, dass wir Rappern keine uneingeschränkte Loyalität schuldig sind und wir müssen Raum für Kritik lassen.»

Fler schützt grauen Wolf Attila

Diese beängstigende Entwicklung ist auch im deutschen Rap angekommen. Im Interview mit Staiger nimmt Fler mit grossem Einsatz den notorischen Hetzer und Verschwörungsanhänger Attila Hildmann in Schutz. Hildmann hat sich öffentlich zu den «grauen Wölfen» bekannt, einer neo-faschistischen, rassistischen und ultranationalistischen türkischen Organisation, die nicht vor Gewalt zurückschreckt. Das alleine ist mit der HipHop-Kultur absolut nicht vereinbar – statt für die Schwächeren einzustehen stellt sich Fler hier auf die Seite der Unterdrückenden.

«Fler mit grossem Einsatz den notorischen Hetzer und Verschwörungsmysthiker Attila Hildmann in Schutz.»

Aber klar, Rapper*innen wie Fler kann es eigentlich egal sein, was für Skandale sie sich hiermit einfahren. Ihre Alben verkaufen sie trotzdem und mit der Medienberichterstattung über sich haben sie sowieso schon lange abgeschlossen, was bei den vielen reisserischen Boulevard-Schlagzeilen zugegebenermassen auch kein Wunder ist und was jene Rapper*innen wohl noch weiter in die Arme der Medien-hassenden Verschwörungsmythen getrieben hat.

Gefährlich aber ist, welche Nachricht Statements wie diese von Fler an die oftmals junge Fan-Community senden. Oberflächlich lassen sich die Verschwörungsmythen im HipHop-Kontext immer noch als Form von «Fight the Power» verkaufen, nur wird das Feindbild hinter «Power» mehr und mehr jenen zugeschoben, die sowieso schon unter Marginalisierung und Repression leiden. Und genau das widerspricht grundsätzlich dem Gedanken des Hiphops.

Das ist einfach nicht HipHop

Am Anfang stand die Frage, wie das rechte Gedankengut hinter Verschwörungsmythen in die HipHop-Szene passt. Die Antwort darauf: gar nicht. Hetze auf Minderheiten und diskriminierende Mythen haben keinen Platz in dieser Szene. Müssen wir jetzt kollektiv unsere deutschen Lieblings-Rapper*innen canceln und boykottieren? Das können wir, müssen wir aber nicht. Wichtig ist, dass wir ihre Verschwörungsmythen und hetzerischen Aussagen nicht weiterverbreiten. Wir müssen anerkennen, dass wir ihnen keine uneingeschränkte Loyalität schuldig sind und wir müssen Raum für Kritik lassen. Es ist möglich, zu sagen: «Ich liebe Flers Musik nach wie vor, aber was er gerade bietet, finde ich moralisch nicht in Ordnung». Und weil rechtes, diskriminierendes Gedankengut oft nicht offensichtlich daherkommt, dürfen wir nie aufhören, uns zu fragen: Wer profitiert von dieser Erklärung? Wer wird damit ungerecht behandelt? Ist das wirklich HipHop? In diesem Sinne – Fight the Power, Eat the Rich und Power to the People.

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